9C_469/2021: Erwerbsersatz bei Mutterschaft (amtl. Publ.)

Im zur Pub­lika­tion vorge­se­henen Entscheid 9C_469/2021 vom 8. März 2022 bestätigte das Bun­des­gericht ein Urteil des Ver­wal­tungs­gerichts des Kan­tons Bern, wonach eine Par­la­men­tari­erin ihren Anspruch auf Mut­ter­schaft­sentschädi­gung ver­liert, wenn sie während der Zeit des Mut­ter­schaftss­chutzes an Par­la­ments- und Kom­mis­sion­ssitzun­gen teilnimmt.

Dem Urteil lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde: Die Beschw­erde­führerin war seit Dezem­ber 2011 als Nation­al­rätin und seit Juli 2012 als Selb­ständi­ger­wer­bende tätig. Nach der Geburt ihrer Tochter meldete sie sich bei der Aus­gle­ich­skasse des Kan­tons Bern für eine Mut­ter­schaft­sentschädi­gung an für die Zeit von der Geburt der Tochter im Jahr 2018 bis 30. März 2019. Die Aus­gle­ich­skasse forderte rück­wirk­end die aus­gerichteten Taggelder ab dem Ses­sion­sstart am 4. März 2019 zurück.

Strit­tig war zunächst, ob die Tätigkeit als Nation­al­rätin eine Erwerb­stätigkeit im Sinne des EOG darstelle. Das Bun­des­gericht erwog, es sei nicht ersichtlich, inwiefern der Begriff der Erwerb­stätigkeit im EOG ein ander­er sein solle als im AHVG, zumal Ersteres expliz­it auf das AHVG ver­weise (E. 3.1). Erwerb­stätigkeit im sozialver­sicherungsrechtlichen Sinne meine, so das Bun­des­gericht, die Ausübung ein­er auf die Erzielung von Einkom­men gerichtete bes­timmte, per­sön­liche Tätigkeit, durch welche die wirtschaftliche Leis­tungs­fähigkeit erhöht werde (E. 5.1). Uner­he­blich sei indessen, ob die betr­e­f­fende Per­son sub­jek­tiv eine Erwerb­sab­sicht für sich in Anspruch nehme. Diese müsse vielmehr auf­grund der konkreten wirtschaftlichen Tat­sachen nachgewiesen sein.

Das Bun­des­gericht erwog weit­er, dass bei der Ausübung ein­er poli­tis­chen Tätigkeit in der Bun­desver­samm­lung zwar grund­sät­zlich nicht das Erzie­len eines Einkom­mens im Vorder­grund ste­hen möge, son­dern die Ausübung von poli­tis­chen Recht­en, diese aber den­noch eine umfassende Arbeit­sleis­tung bein­halte, die entschädigt werde. In Anbe­tra­cht des Zeitaufwan­des, der mit einem Par­la­ments­man­dat ver­bun­den sei, sei immer­hin von einem Halb­beruf­s­par­la­ment auszuge­hen und bei der entsprechen­den Entschädi­gung könne nicht (mehr) von ein­er Aufwan­dentschädi­gung aus­ge­gan­gen wer­den (E. 5.2.2). Dem­nach stelle das Par­la­ments­man­dat eine Erwerb­stätigkeit dar; daran ändere auch nichts, dass sich die Beschw­erde­führerin bei der Ausübung ihres poli­tis­chen Man­dats nicht vertreten lassen und das demokratis­che Recht der Mitwirkung nur durch eine effek­tive Präsenz wahrnehmen könne (E. 5.2.3).

Unter Ver­weis auf die bish­erige Recht­sprechung und Prax­is bestätigte das Bun­des­gericht, dass auch das Einkom­men von Mit­gliedern ein­er Leg­isla­tive unter Art. 7 lit. i AHVV falle, mithin beste­he auch kein Anlass von dieser Prax­is abzuwe­ichen (E. 5.3).

Weit­er war zwis­chen den Parteien strit­tig, ob der Anspruch auf Mut­ter­schaft­sentschädi­gung nach dem 31. März 2019 wieder auflebe (E. 6). Das Bun­des­gericht verneinte dies unter Ver­weis auf den klaren Wort­laut von Art. 16d Abs. 3 EOG, wonach der Anspruch auf Mut­ter­schaft­sentschädi­gung vorzeit­ig ende, wenn die Mut­ter ihre Erwerb­stätigkeit wieder­aufnehme, sowie das Fehlen von Hin­weisen in den Mate­ri­alien auf eine entsprechende Absicht des Geset­zge­bers (E. 6.2). Mit der Begrün­dung, es liege eine nicht ver­gle­ich­bare Sit­u­a­tion zwis­chen Mut­ter und Vater vor, lehnte das Bun­des­gericht die Argu­men­ta­tion der Beschw­erde­führerin ab, die Mut­ter­schaft­sentschädi­gung solle nach der sech­swöchi­gen Erhol­ungsphase der Mut­ter ana­log zur Vater­schaft­sentschädi­gung tage- oder wochen­weise beansprucht wer­den kön­nen (E. 6.1). Darin sei auch keine Diskri­m­inierung zu erblick­en (E. 6.2.3).

Zulet­zt bestätigte das Bun­des­gericht die Erwä­gun­gen der Vorin­stanz, wonach die Ausübung des poli­tis­chen Amtes auch den Entschädi­gungsanspruch in Bezug auf die pri­vatwirtschaftliche Tätigkeit habe enden lassen (E. 7). Eine vorzeit­ig aufgenommene Teilzeitar­beit, so das Bun­des­gericht, entspreche ein­er Erwerb­stätigkeit i.S.v. Art. 16d Abs. 3 EOG und es sei mit Bun­desrecht vere­in­bar, dass Art. 25 EOV diese Rechts­folge unab­hängig vom Beschäf­ti­gungs­grad ein­treten lasse. Da vor­liegend das Einkom­men der Beschw­erde­führerin den Höch­st­be­trag für ger­ingfügi­gen Lohn von CHF 2’300 gemäss Art. 34d Abs. 1 AHVV über­schrit­ten habe, habe der gesamte Anspruch auf Mut­ter­schaft­sentschädi­gung geen­det, und zwar unab­hängig von der allfäl­li­gen Rück­kehr in die selb­ständi­ge Tätigkeit (E. 7.1).