SSG 2024/E/6, SSG 2024/E/7, SSG 2024/E/11 und SSG 2024/E/12: Entscheide des Schweizer Sportgerichts zu dessen Zuständigkeit

Die Stiftung Schweiz­er Sport­gericht (nach­fol­gend: “Schweiz­er Sport­gericht”) hat am 1. Juli 2024 die Geschäft­stätigkeit der Diszi­pli­narkam­mer des Schweiz­er Sports (nach­fol­gend “DK”) über­nom­men und ist sei­ther für die Beurteilung von Stre­it­igkeit­en im Zusam­men­hang mit Dop­ing- und Ethikver­stössen im Schweiz­er Sport zuständig. In den vier Entschei­den (SSG 2024/E/6; SSG 2024/E/7; SSG 2024/E/11 und SSG 2024/E/12) hat sich das Schweiz­er Sport­gericht einge­hend mit sein­er Zuständigkeit und der Abgren­zung sein­er Auf­gaben gegenüber der Stiftung Swiss Sport Integri­ty (nach­fol­gend “SSI”) auseinandergesetzt.

Alle vier Ver­fahren wur­den durch Mel­dun­gen von unter­schiedlichen Ver­bandsmit­gliedern des gle­ichen Sportver­bands wegen ange­blich­er Ethikver­stösse und/oder Missstände bei SSI ein­geleit­et. SSI stellte bei ihrer Ein­gang­sprü­fung fest, dass eine ihrer Mitar­bei­t­erin­nen bere­its mehrfach vom betrof­fe­nen Ver­band als Ath­letin für inter­na­tionale Meis­ter­schaften selek­tion­iert wor­den sei und somit die Gefahr beste­he, dass die Unter­suchun­gen von SSI durch einen Inter­essenkon­flikt beein­trächtigt wer­den kön­nten. Gestützt auf Art. 5.3 Abs. 6 des Ethik-Statuts (2022) leit­ete SSI die Mel­dun­gen daher zur Unter­suchung an das Schweiz­er Sport­gericht weiter.

Das Schweiz­er Sport­gericht beschränk­te die Ver­fahren auf die Frage der Zuständigkeit und analysierte in seinen Entschei­den einge­hend den Stiftungszweck des Schweiz­er Sport­gerichts sowie die geset­zlichen Grund­la­gen, ins­beson­dere Art. 72f und 72g SpoFöV, sowie die Statuten von Swiss Olympic, welche die Funk­tio­nen und Auf­gaben von SSI als Meldestelle und dem Schweiz­er Sport­gericht als unab­hängige Diszi­pli­narstelle klar voneinan­der abgrenzen.

Das Schweiz­er Sport­gericht hält fest, dass sein Stiftungszweck darin beste­he, ein unab­hängiges Gericht zu betreiben, das bei Stre­it­igkeit­en im Sport oder möglichen Regelver­stössen entschei­de. Sowohl die geset­zlichen Grund­la­gen (Art. 72f und Art. 72g SpoFöV) als auch die seit dem 1. Juli 2024 gel­tenden Statuten von Swiss Olympic wür­den zudem die Zuständigkeit von SSI vorse­hen für die Abklärung der gemelde­ten Sachver­halte und das Ver­fassen eines Unter­suchungs­berichts, während das Schweiz­er Sport­gericht für die Beurteilung der von SSI über­wiese­nen Fälle und für die mögliche Sank­tion­ierung zuständig sei. Da das Schweiz­er Sport­gericht fol­glich keine Unter­suchungsin­stanz sei, erachtete es sich für die Unter­suchung der vor­liegen­den Fälle grund­sät­zlich als nicht zuständig. Das Schweiz­er Sport­gericht ver­wies zudem auf Art. 72g Abs. 1 lit. a Ziff. 1 SpoFöV, wonach vorge­se­hen sei, dass die Diszi­pli­narstelle von der Meldestelle unab­hängig sei. Dies unter­stre­iche die strik­te Tren­nung der Auf­gaben­bere­iche der bei­den Stiftungen.

Schliesslich prüfte das Schweiz­er Sport­gericht, ob Art. 5.3 Abs. 6 des Ethik-Statuts (2022) den­noch als Rechts­grund­lage für die Über­tra­gung der Unter­suchungs­funk­tion von SSI an das Schweiz­er Sport­gericht aus­re­iche. Es kam jedoch zum Schluss, dass das Schweiz­er Sport­gericht zwar die Auf­gaben der DK als rechtssprechende Instanz per 1. Juli 2024 über­nom­men habe, sich aber in sein­er Funk­tion und Organ­i­sa­tion grundle­gend von der DK unter­schei­de. Der wichtig­ste Unter­schied beste­he darin, dass die DK als Vere­ins­gericht konzip­iert gewe­sen sei, während das Schweiz­er Sport­gericht nun ein unab­hängiges Gericht sei. Des Weit­eren beziehe sich Art. 5.3 Abs. 6 des Ethik-Statuts (2022) auf die Recht­slage vor der Grün­dung des Schweiz­er Sport­gerichts und vor Inkraft­treten von Art. 72f und Art. 72g SpoFöV sowie der rev­i­dierten Statuten von Swiss Olympic. Gemäss dem Grund­satz von “Lex pos­te­ri­or dero­gat legi pri­ori” sowie aus Grün­den der Nor­men­hier­ar­chie sei den ein­schlägi­gen Bes­tim­mungen der SpoFöV sowie den Statuten von Swiss Olympic gegenüber dem aus diesen Rechts­grund­la­gen erlasse­nen Ethik-Statut Vor­rang zu geben. Im Übri­gen wurde darauf hingewiesen, dass die Norm (Art. 5.3 Abs. 6 des Ethik-Statuts (2022)) im Entwurf des rev­i­dierten Ethik-Statuts vom 15. Okto­ber 2024 (das per 1. Jan­u­ar 2025 in Kraft getreten ist) gestrichen wor­den sei.

Abschliessend hielt das Schweiz­er Sport­gericht fest, dass es nicht ersichtlich sei, weshalb die Mitar­bei­t­erin von SSI nicht gemäss Art. 8 Abs. 2 Ver­fRegl SSI in den Aus­stand getreten sei oder weshalb SSI nicht gemäss Art. 3 Ver­fRegl SSI eine externe Unter­stützung oder Vertre­tung beige­zo­gen habe, um einen allfäl­li­gen Inter­essenkon­flikt zu ver­mei­den, ohne die Unter­suchung an das Schweiz­er Sport­gericht zu über­weisen. Es trat fol­glich auf das Ver­fahren nicht ein und wies den Fall zurück an SSI.

Zusam­menge­fasst erläutern die vier genan­nten Entschei­de des neu gegrün­de­ten Schweiz­er Sport­gerichts dessen Auf­gaben­bere­ich als unab­hängiges Gericht und unter­stre­ichen die Bedeu­tung ein­er klaren Auf­gaben­teilung gegenüber SSI als Melde- und Unter­suchungsstelle. Entsprechend wird auch eine Abgren­zung vom Schweiz­er Sport­gericht zur früheren DK als Organ von Swiss Olympic vorgenom­men. Mit sein­er abschliessenden Fest­stel­lung zeigt das Schweiz­er Sport­gericht zudem auf, wie SSI in Zukun­ft mit möglichen Inter­essenkon­flik­ten umzuge­hen hat.