2C_127/2010: Datenherausgabe durch die FINMA an die USA: keine gesetzliche Grundlage, aber polizeiliche Generalklausel; Befangenheit von Eugen Haltiner (amtl. Publ.)

Das BGer hat nun die Begrün­dung des bere­its Ende Juli 2011 gefäll­ten Urteils i.S. Über­gabe von UBS-Kun­den­dat­en durch die FINMA an die USA veröf­fentlicht (vgl. die dama­lige Pressemit­teilung des BGer). Kurz: Die FINMA hat­te zwar keine geset­zliche Grund­lage, um die Dat­en an die USA her­auszugeben, kon­nte aber — sozusagen Hand in Hand mit dem Bun­desrat — die polizeiliche Gen­er­alk­lausel anrufen.

Zur Recht­fer­ti­gung ihres Ein­griffs in das Bankkun­denge­heim­nis und in das Grun­drecht auf Schutz der Pri­vat­sphäre hat­te sich die FINMA zunächst auf ihr Recht berufen, banken­rechtliche Schutz­mass­nah­men zu tre­f­fen (BankG 25 f.). Diese Bes­tim­mungen genü­gen jedoch man­gels hin­re­ichen­der Bes­timmtheit und Vorausse­hbarkeit den ver­fas­sungsrechtlichen Anforderun­gen an die geset­zliche Grund­lage nicht:

Art. 26 BankG gibt seinem Wort­laut nach der FINMA kein­er­lei Befug­nis, im Rah­men solch­er Mass­nah­men das Bankkun­denge­heim­nis zu durch­brechen […]. Die expliz­it genan­nten Mass­nah­men richt­en sich in erster Lin­ie an die Beauf­sichtigten, d.h. die Banken selber […].

Zwar ist die Aufzäh­lung der möglichen Mass­nah­men in Art. 26 BankG nicht abschliessend und kann die FINMA gestützt darauf auch andere Anord­nun­gen im Inter­esse der Gläu­biger und des Finanz­platzes zum Schutz der Banken vor nicht erfüll­baren Rück­zü­gen (“bank run”) tre­f­fen, doch müssen diese den sel­ben Zweck ver­fol­gen wie die in Art. 26 BankG genan­nten, näm­lich die Bank zu ret­ten bzw. zu sanieren […]. Die Schutz­mass­nah­men nach Art. 25 f. BankG sollen die Bank in die Lage ver­set­zen, weit­er­hin ihre Tätigkeit auszuüben, sei es mit verbesserten Struk­turen, sei es dadurch, dass sie von ihren Gläu­bigern nicht allzu sehr bedrängt wird  […]. Nicht alles, was zur Abwen­dung der Insol­ven­zge­fahr ein­er Bank nüt­zlich und allen­falls sog­ar ver­hält­nis­mäs­sig erscheint, kann von ihr als auf­sicht­srechtliche Schutz­mass­nahme ver­fügt wer­den. Die Anord­nun­gen müssen qual­i­ta­tiv gle­ich­er Natur sein wie die vom Geset­zge­ber in Art. 26 BankG genannten […].

Auch FINMAG 31 war für die Hand­lun­gen der FINMA keine geset­zliche Grund­lage:

Die umstrit­tene Daten­her­aus­gabe kon­nte sich unter diesen Umstän­den auch nicht auf Art. 31 FINMAG stützen, wonach die FINMA für die Wieder­her­stel­lung des ord­nungs­gemässen Zus­tandes sorgt, falls ein Beauf­sichtigter ein Finanz­mark­t­ge­setz ver­let­zt oder son­stige Missstände beste­hen: Auch in diesem Rah­men muss die FINMA — trotz des ihr eingeräumten tech­nis­chen Ermessens — geset­zeskon­form han­deln […]. Sie kann keine geschützten Kun­den­dat­en in Umge­hung der entsprechen­den Amts- oder Recht­shil­fever­fahren ins Aus­land liefern. Wür­den die entsprechen­den auf­sicht­srechtlichen Befug­nisse anders und im Sinne der Aus­führun­gen der FINMA ver­standen, beein­trächtigte dies das Geset­zmäs­sigkeit­sprinzip dauer­haft, da sie jed­erzeit im Rah­men des ordentlichen Rechts ausseror­dentliche, nicht vorausse­hbare und ihre Auf­sichts­befug­nisse nach den ein­schlägi­gen Geset­zen spren­gende Mass­nah­men anord­nen kön­nte, was rechtsstaatlich unzuläs­sig ist.

Dafür darf die FINMA den Grund­satz der polizeilichen Gen­er­alk­lausel (PGK) anrufen, obwohl diese nur für den Bun­desrat gilt:

Zwar wäre die FINMA als Ver­wal­tungs­be­hörde mit Blick auf die mit der Durch­brechung des Bankkun­denge­heimniss­es ver­bun­de­nen Auswirkun­gen nicht befugt gewe­sen, gestützt auf die polizeiliche Gen­er­alk­lausel in ihrem Fach­bere­ich die Doku­menten­her­aus­gabe in eigen­er Ver­ant­wor­tung zu ver­fü­gen; sie kon­nte sich im konkreten Fall aber auf die polizeiliche Gen­er­alk­lausel berufen, weil sie den Bun­desrat laufend über die Sit­u­a­tion informiert hat­te und inhaltlich let­ztlich gemein­sam mit ihm han­delte. […] Die FINMA hat mit Wis­sen bzw. auf Anweisung und Drän­gen des Bun­desrats hin ver­fügt, wobei dieser die konkret vorge­se­hene Mass­nahme — die umstrit­tene Daten­her­aus­gabe — gebil­ligt hatte […]. 

Die Voraus­set­zun­gen der PGK erachtete das BGer als erfüllt:

Der Bun­desrat und die FINMA sahen sich vor­liegend mit der amerikanis­chen Dro­hung, gegen die UBS Anklage zu erheben, ein­er Gefahr gegenüber, welche wegen der Sys­tem­rel­e­vanz der Bank geeignet erschien, den nationalen und inter­na­tionalen Finanz­markt zu erschüt­tern. […] Es ging bei der umstrit­te­nen Mass­nahme mit der wirtschaftlichen Funk­tions­fähigkeit darum, ein für dieses fun­da­men­tales Rechtsgut zu erhal­ten. In Aus­nahme­si­t­u­a­tio­nen — wie hier — kann auch die ökonomis­che Sta­bil­ität und der Schutz des Finanz­mark­ts ein entsprechend schützenswertes polizeilich­es Gut darstellen, da bei­de klas­sis­che Polizeigüter wie das Eigen­tum oder Treu und Glauben im Geschäftsverkehr umfassen, welche bei einem Zusam­men­bruch des Finanzsys­tems mas­siv beein­trächtigt wür­den […]. Da die Gefahren­ab­wehr und die Funk­tions­fähigkeit der Märk­te bzw. das wirtschaftliche Gle­ichgewicht eng zusam­men­hän­gen, ging es beim finanz­mark­trechtlichen Funk­tion­ss­chutz, wie er von der FINMA mit Zus­tim­mung des Bun­desrats wegen der Sys­tem­rel­e­vanz der UBS hier wahrgenom­men wurde, nicht um eine wirtschaft­spoli­tis­che, son­dern in erster Lin­ie um eine wirtschaft­spolizeiliche Mass­nahme. Es kann darin eine gestützt auf die beste­hen­den, tra­di­tionell anerkan­nten Polizeigüter (in Abgren­zung zu diesen) erweit­erte Polizeiauf­gabe gesehen […].
Die dro­hende Gefahr war mit Blick auf die möglichen Kon­se­quen­zen für das Finanzsys­tem auch schw­er: Die UBS ist für die Schweiz­er Wirtschaft von sys­temis­ch­er Bedeu­tung […]. Auf dem Spiel stand bei einem allfäl­li­gen Unter­gang der UBS mitunter das Risiko ein­er schw­eren volk­swirtschaftlichen Krise.
[…]
Richtig ist, dass die Bankenkom­mis­sion (bzw. die Finanz­mark­tauf­sicht) — wie das Bun­desver­wal­tungs­gericht aus­ge­führt hat — die Dro­hun­gen der U.S.-Behörden, Anklage gegen die UBS zu erheben, bere­its “einige Zeit vor dem 18. Feb­ru­ar 2009” kan­nte und die EBK sich auf­grund dieser delikat­en Sit­u­a­tion schon im Jahr 2008 im Aus­tausch mit dem EFD befand. Dies schloss jedoch eine unmit­tel­bare und sofort zu begeg­nende Gefahr bei Erlass der umstrit­te­nen Ver­fü­gung nicht aus: […] Die entsprechende Gefahr war damit zwar latent vorausse­hbar, wurde in ihrer Eskala­tion mit der Anklageer­he­bung gegen Raoul Weil anfangs 2009 indessen zuse­hends konkreter und drin­gen­der.[…] Die Tat­sache, dass die FINMA vorauss­chauend ver­schiedene Optio­nen geprüft und dem Bun­desrat unter­bre­it­et hat­te, schloss nicht aus, dass sie am 18. Feb­ru­ar 2009 mit dessen impliziter Zus­tim­mung die polizeiliche Gen­er­alk­lausel anrufen kon­nte. Diese gilt nicht nur, wenn sich die Behör­den durch eine Sit­u­a­tion über­raschen lassen, son­dern auch wenn sie — wie hier — zuvor (erfol­g­los) alles ver­suchen, die Gefahr durch andere (geset­zeskon­forme) Mass­nah­men im Rah­men des Sub­sidiar­ität­sprinzips abzuwenden.

Das BGer erachtet die Mass­nahme schliesslich auch als ver­hält­nis­mäs­sig:

Die von der FINMA ange­ord­nete Her­aus­gabe der Daten­sätze war geeignet und erforder­lich, die mit ein­er Illiq­uid­ität der UBS dem Wirtschafts­stan­dort Schweiz dro­hende schwere Gefahr abzuwen­den, und ver­stiess, nach­dem die anderen Optio­nen (Amt­shil­fe, diplo­ma­tis­che Ver­hand­lun­gen usw.) ohne Erfolg geblieben waren, nicht gegen das Über­massver­bot. […] Dass die UBS die Not­lage let­ztlich mit ihrem wider­rechtlichen Geschäfts­ge­baren geschaf­fen hat, hin­derte die FINMA und den Bun­desrat nicht daran, die Sit­u­a­tion im über­wiegen­den Inter­esse der Schweiz in einem ganz spez­i­fis­chen Umfeld (vorüberge­hend) auf­sicht­srechtlich zu bere­ini­gen, zumal die betrof­fe­nen Kun­den ihrer­seits nicht als an den entsprechen­den Machen­schaften völ­lig unbeteiligte Dritte gel­ten kon­nten. Dass es denkbar gewe­sen wäre, dass UBS-Angestellte, die einem amerikanis­chen Edi­tions­be­fehl Folge geleis­tet hät­ten, auf­grund der Not­stand­sregeln allen­falls straf­los geblieben wären, stand ein­er Inter­ven­tion der FINMA in Koor­di­na­tion mit dem Bun­desrat nicht ent­ge­gen, da auf das staatliche Han­deln in ein­er Not­si­t­u­a­tion nicht verzichtet wer­den muss bzw. darf, nur weil die Sit­u­a­tion auch durch ein — nach schweiz­erischem Recht frag­würdi­ges — Han­deln eines Pri­vat­en bere­inigt wer­den könnte […]. 

Ins­ge­samt kam das BGer also zu fol­gen­dem Ergeb­nis:

Mit gewis­sen Stim­men in der Dok­trin ist davon auszuge­hen, dass der Fall notrechtlichen Charak­ter hat und rechtsstaatlich eine Aus­nahme bleiben muss, “begrün­det durch den Son­der­fall der exis­ten­ziellen Bedro­hung ein­er für schweiz­erische Massstäbe sys­tem­rel­e­van­ten Bank” […]

Schliesslich stellt das BGer fest, dass der Eugen Haltin­er in den Aus­stand hätte treten müssen: 

Eugen Haltin­er als ehe­ma­liger Präsi­dent der EBK und der FINMA war zum Zeit­punkt, als das Qual­i­fied-Inter­me­di­ary-Abkom­men (QI) einge­führt wurde, Mit­glied des Exec­u­tive Boards der UBS Schweiz, welch­es über die Umset­zung­sprob­leme bei diesem und allfäl­lige Lösungsan­sätze informiert und an gewis­sen von den amerikanis­chen Behör­den bean­stande­ten Ausle­gun­gen bzw. Entschei­den beteiligt war. Diese Imp­lika­tion war objek­tiv geeignet, bei der hier bean­stande­ten Her­aus­gabev­er­fü­gung den Anschein ein­er Befan­gen­heit zu begrün­den. […] Als ehe­ma­liges Kader­mit­glied hätte er an den entsprechen­den EBK- und FIN­MA-Geschäften nicht mitwirken dür­fen, zumal sein Name 2008 auf ein­er Liste von Per­so­n­en aufge­taucht war, deren Ver­wick­lung in das gren­züber­schre­i­t­ende Geschäft der UBS ver­mutet wurde.

Jedoch:

[…] Der entsprechende Entscheid der FINMA kann nicht mehr rück­gängig gemacht wer­den. Es beste­ht somit kein aktuelles prak­tis­ches Inter­esse mehr daran, diesen aufzuheben […]