4A_160/2012: Herabsetzung einer Konventionalstrafe von CHF 690’000 auf CHF 170’000 (amtl. Publ.)

In einem Prax­isüber­nah­mev­er­trag hat­ten die Parteien eine Zahlung in zwei Rat­en vere­in­bart, wobei die Zahlung unter der Bedin­gung ste­he, dass sich bei­de Parteien ver­tragskon­form und “getreu” ver­hal­ten. Der Übernehmer der Prax­is hat­te in der Folge gel­tend gemacht, Patien­ten­dat­en seien nicht richtig übergeben wor­den; der Ver­trag sei also ver­let­zt, weshalb die zweite Rate von CHF 340’000 nicht bezahlt wer­den müsse. Der Kauf­preis betrug ins­ge­samt CHF 690’000.

Das OGer ZH hat­te den bed­ingten Ver­fall des Kauf­preis­es als Kon­ven­tion­al­strafe beurteilt und sie — nach Rück­weisung durch das Bun­des­gericht, BGE 135 III 433 — von CHF 690’000 auf CHF 50’000 her­abge­set­zt (OR 163), weil die Ver­tragsver­let­zun­gen, näm­lich die Rück­be­hal­tung von zwölf Patien­tenkarten und der Entzug ein­er Zah­narzt­soft­ware für ca. drei Monate — nicht schw­er wögen und sich das Schadenspo­ten­tial in Gren­zen gehal­ten habe.

Das BGer hebt dieses Urteil auf. Zum einen hat­te das OGer nicht alle Ver­tragsver­let­zun­gen berück­sichtigt und damit die Bindung an den Rück­weisungsentscheid ver­let­zt. Zum anderen war die Her­ab­set­zung über­mäs­sig, weil die Ver­tragsver­let­zun­gen keineswegs “mar­gin­al” waren.  Auf­grund der lan­gen Ver­fahrens­dauer verzichtet das BGer indessen auf eine erneute Rück­weisung, und set­zt die Kon­ven­tion­al­strafe auf CHF 170’000 herab, aus fol­gen­den Gründen:

Gestützt auf den ange­focht­e­nen Entscheid ste­ht fest, dass die Über­gabe der Prax­is alles andere als rei­bungs­los ver­lief. Vielmehr kam es zu einem Hin und Her bezüglich der Patien­te­nak­ten. Die unbefugte Mit­nahme der nach 8 Tagen […] zurück­ge­bracht­en Akten sowie die Ent­fer­nung der Daten­bank-Soft­ware “Apol­lo­nia Y.________” wiegen insofern nicht leicht, als der Beschw­erdegeg­n­er dem eigentlichen Ver­tragszweck direkt zuwiderge­han­delt hat. […]  Auch mit Bezug auf die Ein­führung der Patien­ten ist der Beschw­erdegeg­n­er seinen ver­traglichen Pflicht­en nicht hin­re­ichend nachgekom­men […] Angesichts der von den Parteien für eine Ver­let­zung des Konkur­ren­zver­bots durch Eröff­nung ein­er Zah­narzt­prax­is im vom Konkur­ren­zver­bot umfassten Gebi­et fest­ge­set­zten Summe von Fr. 250’000.– ist eine Kürzung der als Weg­fall von Forderun­gen des Beschw­erdegeg­n­ers über ins­ge­samt Fr. 690’000.– vere­in­barten Kon­ven­tion­al­strafe zwar offen­sichtlich angezeigt […], aber keines­falls in dem von der Vorin­stanz angenomme­nen Aus­mass auf nur noch Fr. 50’000.–. Ins­ge­samt kann das Ver­hal­ten des Beschw­erdegeg­n­ers nicht als mar­gin­al betra­chtet wer­den. Dieses führte dazu, dass der Ver­trag in zen­tralen Punk­ten, der rei­bungslosen Über­nahme der Prax­is und der Ein­führung der Patien­ten, nicht einge­hal­ten wurde. Mit Blick auf die gesamten Umstände erscheint eine Kon­ven­tion­al­strafe von Fr. 170’000.– nicht als über­mäs­sig. Diese trägt ein­er­seits der Tat­sache Rech­nung, dass die Beschw­erde­führerin nicht das erhal­ten hat, was der Beschw­erdegeg­n­er ver­traglich zugesichert hat, und dass durch die nicht opti­male Über­gabe jeden­falls das Risiko ein­er erhöht­en Abwan­derung der Patien­ten bestand. Zudem han­delte der Beschw­erdegeg­n­er mit der Weg­nahme von Akten und der Löschung der Daten­bank dem Ver­tragszweck diame­tral zuwider. Ander­er­seits berück­sichtigt die Her­ab­set­zung, dass der Beschw­erdegeg­n­er keine Abwer­bung vor­nahm, die Beschw­erde­führerin trotz der man­gel­haften Ver­tragser­fül­lung die Prax­is übernehmen kon­nte und dass die Prob­leme zum Teil zumin­d­est auch mit ihrem eige­nen Ver­hal­ten zusammenhängen […]. 

En pas­sant hält das BGer fern­er fest, dass der Gläu­biger im Her­ab­set­zung­sprozess sein Inter­esse nicht zif­fer­n­mäs­sig nachzuweisen habe, denn damit würde OR 161 I umgan­gen. In BGE 133 III 43 E. 4.1 hat­te das BGer dage­gen noch fest­ge­hal­ten, vom Gläu­biger dürfe eine Bez­if­fer­ung seines Schadens ver­langt wer­den. Entwed­er ver­ste­ht das BGer unter “Inter­esse” und “Schaden” hier nicht das­selbe, oder es hat seine dies­bezügliche Recht­sprechung stillschweigend geändert.