5A_553/2012: Juso vs. Daniel Vasella: Persönlichkeitsverletzung durch satirische Karikatur; hier durch überwiegendes Interesse knapp gerechtfertigt

Das BGer weist eine Beschw­erde des ehe­ma­li­gen Novar­tis-CEO und Chair­man Daniel Vasel­la gegen die JUSO und Cédric Wer­muth im Zusam­men­hang mit dem Abstim­mungskampf vor der 1:12-Initiative ab. Die JUSO hat­ten damals ein Plakat veröf­fentlicht, auf dem Daniel Vasel­la zwis­chen Brady Dougan und Oswald Grü­bel zu
sehen ist, wobei die Köpfe der drei Per­so­n­en auf die Kör­p­er unbekleideter
Män­ner geset­zt sind. Brady Dougan hält vor sein­er Scham ein
Kräutertöpfchen, Oswald Grü­bel ein A4-Blatt mit dem Text “1:12” und
Daniel Vasel­la verdeckt seine Scham mit den Hän­den. Über dem Bild steht:
“1:12-Initiative — gesam­melt!” und “ABZOCKER, ZIEHT EUCH WARM AN!”;
unter­halb des Bildes find­en sich der Schriftzug “JUSO/JS/GS” und das
Parteisignet. Später veröf­fentlichte die JUSO eine weit­ere Fotomon­tage mit Daniel Vasella.

Vasel­la klagte in der Folge gegen die JUSO und Cédric Wer­muth aus Per­sön­lichkeitsver­let­zung auf Besei­t­i­gung und Unter­las­sung. Vor OGer AG unter­lag Vasel­la. Das BGer bestätigt dieses Urteil.

Unbe­strit­ten war, dass Vasel­la in sein­er Per­sön­lichkeit ver­let­zt wor­den ist:

Die unvorteil­hafte Auf­machung (schmieriger nack­ter Kör­p­er und Schamge­füh­le evozierende Kör­per­hal­tung) ist geeignet, auch wenn es sich erkennbar um eine Fotomon­tage han­delt, den Beschw­erde­führer, der sich unbe­strit­ten­er­massen nicht so abge­bildet sehen will, nach dem Empfind­en des Durch­schnit­tle­sers des Tages-Anzeigers in seinem beru­flichen und gesellschaftlichen Anse­hen her­abzuset­zen. Mithin

Strit­tig war jedoch, ob ein Recht­fer­ti­gungs­grund vor­lag. Einen solchen erblickt das BGer in der satirischen Natur der Abstimmungsplakate:

[…] Satire ist eine Form der Berichter­stat­tung und dient in einem weit­eren Sinn der Infor­ma­tion des Pub­likums […], weshalb an ihr ein öffentlich­es Inter­esse beste­ht und sie einen Recht­fer­ti­gungs­grund darstellen kann […]. Weil Satire def­i­n­i­tion­s­gemäss überze­ich­net oder ver­fremdet, kann sie nur unter erschw­erten Umstän­den ange­focht­en wer­den, wenn näm­lich die ihrem Wesen eige­nen Gren­zen in unerträglichem Mass über­schrit­ten sind […].

Auch im Rah­men der Satire ist allerd­ings eine Inter­essen­ab­wä­gung durchzuführen, wie das BGer hier festhält:

[…] Vielmehr geht es auch im Zusam­men­hang mit der Satire und ihren wesen­seige­nen Gren­zen darum, die auf dem Spiel ste­hen­den Inter­essen gegeneinan­der abzuwä­gen […]. Dabei ist namentlich zu prüfen, ob die Ziele, die der Urhe­ber der Per­sön­lichkeitsver­let­zung ver­fol­gt, und die Mit­tel, der­er er sich bedi­ent, schutzwürdig sind […]. Weit­er spielt auch der Rah­men, in welchem die Äusserung bzw. Darstel­lung erfol­gt, eine bedeu­tende Rolle [Hin­weise auf Karneval, Basler Fas­nacht etc.]. 

Zunächst hält das BGer zum Begriff der Satire fest, dass die Satire kumu­la­tiv drei Tatbe­stand­se­le­mente voraussetzt:

  • Aggres­sion; nicht gegen eine bes­timmte Per­son, son­dern gegen einen Repräsen­tan­ten eines bes­timmten Ver­hal­tens oder auch gegen eine Ord­nung oder Institution
  • sozialer Zweck: Die dargestellte Wirk­lichkeit wird mit ein­er über­ge­ord­neten Norm kon­fron­tiert bzw. ein Wider­spruch wird aufgedeckt wird. 
  • Stilmit­tel: Die erwäh­nte Kon­fronta­tion wird mit bes­timmten Stilmit­teln vol­l­zo­gen, z.B. durch die Karikatur.

Ob die Satire geschmack- oder humor­voll ist, ist dabei belanglos.

Das BGer sieht diese drei Voraus­set­zun­gen hier als gegeben an:

  • Aggres­sion: Die Agres­sion im Sinn ein­er kämpferischen oder “engagierten” Darstel­lung richte sich gegen Vasel­la nicht als Indi­vidu­um, son­dern als (so das BGer) “Repräsen­tant ein­er Man­agerk­lasse, welche in den Augen der Ini­tianten abzockt und als Spitzen­ver­di­ener von der Ini­tia­tive beson­ders stark betrof­fen wäre.” 
  • sozialer Zweck: Die strit­tige Darstel­lung diene “der Mei­n­ungs­bil­dung im Zusam­men­hang mit ein­er Volksini­tia­tive” zur Beschränkung von über­ris­sen ange­se­henen Managergehältern
  • Stilmit­tel: Das ästhetis­che Ele­ment — dessen den Tatbe­stand begren­zende Funk­tion im vor­liegen­den Urteil nicht klar wird — liege vor,da ein klar­er Bezug zwis­chen der Nacktheit
    und dem Text (“zieht euch warm an”) erkennbar sei; es könne daher von ein­er “mit Text unter­legten Karikatur als visuelle® Erschei­n­ungs­form der Satire” aus­ge­gan­gen werden.

Damit lag aus Sicht des BGer ein Fall von Satire vor. Bei der geforderten Inter­essen­ab­wö­gung habe das OGer AG seinen Ermessensspiel­raum aus fol­gen­den Grün­den nicht überschritten: 

  • Satire ist per se nicht notwendig für eine bes­timmte Botschaft; 
  • Satire darf mit Spott arbeiten;
  • Ehrver­let­zun­gen wer­den in der poli­tis­chen Auseinan­der­set­zung nach einem etwas milderen Massstab beurteilt;
  •  das The­ma der höch­sten Löhne sei ein beson­ders aktuelles Thema;
  • Vasel­la habe sich im Zusam­men­hang mit der The­matik der Spitzen­löhne geäussert und sich dadurch “bis zu einem gewis­sen Grad” selb­st ins Blick­feld der betr­e­f­fend­en Diskus­sion gerückt;
  • der Aus­sagek­ern der strit­ti­gen Plakate sei let­ztlich nur, dass sich eine durch drei promi­nente Wirtschafts­führer symbolisierte
    Man­agerk­lasse lohn­mäs­sig in anstös­siger Weise bere­ichere (“Abzock­er”)
    und es dieser an den Kra­gen gehen kön­nte (“zieht euch warm an”); andere Aus­sagen seien nicht enthal­ten, ins­beson­dere nicht durch die klar als Fotomon­tage erkennbare Nacktheit.

Das BGer zieht fol­gen­den Schluss:

Wenn er gemein­sam mit zwei weit­eren Expo­nen­ten […] auf die ein­gangs beschriebene Weise dargestellt wor­den ist, so wurde der Spiel­raum aus­gereizt, ist aber die Gren­ze des in der poli­tis­chen Auseinan­der­set­zung Zuläs­si­gen noch nicht überschritten, […]

 Der vor­liegende Fall ist vom Von-der-Hei­de-Urteil (5A_376/2013; dazu unser Beitrag) zu unter­schei­den, wo der Hohn nicht Stilmit­tel war, son­dern Selbstzweck.