Das BGer weist eine Beschwerde des ehemaligen Novartis-CEO und Chairman Daniel Vasella gegen die JUSO und Cédric Wermuth im Zusammenhang mit dem Abstimmungskampf vor der 1:12-Initiative ab. Die JUSO hatten damals ein Plakat veröffentlicht, auf dem Daniel Vasella zwischen Brady Dougan und Oswald Grübel zu
sehen ist, wobei die Köpfe der drei Personen auf die Körper unbekleideter
Männer gesetzt sind. Brady Dougan hält vor seiner Scham ein
Kräutertöpfchen, Oswald Grübel ein A4-Blatt mit dem Text “1:12” und
Daniel Vasella verdeckt seine Scham mit den Händen. Über dem Bild steht:
“1:12-Initiative — gesammelt!” und “ABZOCKER, ZIEHT EUCH WARM AN!”;
unterhalb des Bildes finden sich der Schriftzug “JUSO/JS/GS” und das
Parteisignet. Später veröffentlichte die JUSO eine weitere Fotomontage mit Daniel Vasella.
Vasella klagte in der Folge gegen die JUSO und Cédric Wermuth aus Persönlichkeitsverletzung auf Beseitigung und Unterlassung. Vor OGer AG unterlag Vasella. Das BGer bestätigt dieses Urteil.
Unbestritten war, dass Vasella in seiner Persönlichkeit verletzt worden ist:
Die unvorteilhafte Aufmachung (schmieriger nackter Körper und Schamgefühle evozierende Körperhaltung) ist geeignet, auch wenn es sich erkennbar um eine Fotomontage handelt, den Beschwerdeführer, der sich unbestrittenermassen nicht so abgebildet sehen will, nach dem Empfinden des Durchschnittlesers des Tages-Anzeigers in seinem beruflichen und gesellschaftlichen Ansehen herabzusetzen. Mithin
Strittig war jedoch, ob ein Rechtfertigungsgrund vorlag. Einen solchen erblickt das BGer in der satirischen Natur der Abstimmungsplakate:
[…] Satire ist eine Form der Berichterstattung und dient in einem weiteren Sinn der Information des Publikums […], weshalb an ihr ein öffentliches Interesse besteht und sie einen Rechtfertigungsgrund darstellen kann […]. Weil Satire definitionsgemäss überzeichnet oder verfremdet, kann sie nur unter erschwerten Umständen angefochten werden, wenn nämlich die ihrem Wesen eigenen Grenzen in unerträglichem Mass überschritten sind […].
Auch im Rahmen der Satire ist allerdings eine Interessenabwägung durchzuführen, wie das BGer hier festhält:
[…] Vielmehr geht es auch im Zusammenhang mit der Satire und ihren wesenseigenen Grenzen darum, die auf dem Spiel stehenden Interessen gegeneinander abzuwägen […]. Dabei ist namentlich zu prüfen, ob die Ziele, die der Urheber der Persönlichkeitsverletzung verfolgt, und die Mittel, derer er sich bedient, schutzwürdig sind […]. Weiter spielt auch der Rahmen, in welchem die Äusserung bzw. Darstellung erfolgt, eine bedeutende Rolle [Hinweise auf Karneval, Basler Fasnacht etc.].
Zunächst hält das BGer zum Begriff der Satire fest, dass die Satire kumulativ drei Tatbestandselemente voraussetzt:
- Aggression; nicht gegen eine bestimmte Person, sondern gegen einen Repräsentanten eines bestimmten Verhaltens oder auch gegen eine Ordnung oder Institution
- sozialer Zweck: Die dargestellte Wirklichkeit wird mit einer übergeordneten Norm konfrontiert bzw. ein Widerspruch wird aufgedeckt wird.
- Stilmittel: Die erwähnte Konfrontation wird mit bestimmten Stilmitteln vollzogen, z.B. durch die Karikatur.
Ob die Satire geschmack- oder humorvoll ist, ist dabei belanglos.
Das BGer sieht diese drei Voraussetzungen hier als gegeben an:
- Aggression: Die Agression im Sinn einer kämpferischen oder “engagierten” Darstellung richte sich gegen Vasella nicht als Individuum, sondern als (so das BGer) “Repräsentant einer Managerklasse, welche in den Augen der Initianten abzockt und als Spitzenverdiener von der Initiative besonders stark betroffen wäre.”
- sozialer Zweck: Die strittige Darstellung diene “der Meinungsbildung im Zusammenhang mit einer Volksinitiative” zur Beschränkung von überrissen angesehenen Managergehältern
- Stilmittel: Das ästhetische Element — dessen den Tatbestand begrenzende Funktion im vorliegenden Urteil nicht klar wird — liege vor,da ein klarer Bezug zwischen der Nacktheit
und dem Text (“zieht euch warm an”) erkennbar sei; es könne daher von einer “mit Text unterlegten Karikatur als visuelle® Erscheinungsform der Satire” ausgegangen werden.
Damit lag aus Sicht des BGer ein Fall von Satire vor. Bei der geforderten Interessenabwögung habe das OGer AG seinen Ermessensspielraum aus folgenden Gründen nicht überschritten:
- Satire ist per se nicht notwendig für eine bestimmte Botschaft;
- Satire darf mit Spott arbeiten;
- Ehrverletzungen werden in der politischen Auseinandersetzung nach einem etwas milderen Massstab beurteilt;
- das Thema der höchsten Löhne sei ein besonders aktuelles Thema;
- Vasella habe sich im Zusammenhang mit der Thematik der Spitzenlöhne geäussert und sich dadurch “bis zu einem gewissen Grad” selbst ins Blickfeld der betreffenden Diskussion gerückt;
- der Aussagekern der strittigen Plakate sei letztlich nur, dass sich eine durch drei prominente Wirtschaftsführer symbolisierte
Managerklasse lohnmässig in anstössiger Weise bereichere (“Abzocker”)
und es dieser an den Kragen gehen könnte (“zieht euch warm an”); andere Aussagen seien nicht enthalten, insbesondere nicht durch die klar als Fotomontage erkennbare Nacktheit.
Das BGer zieht folgenden Schluss:
Wenn er gemeinsam mit zwei weiteren Exponenten […] auf die eingangs beschriebene Weise dargestellt worden ist, so wurde der Spielraum ausgereizt, ist aber die Grenze des in der politischen Auseinandersetzung Zulässigen noch nicht überschritten, […]
Der vorliegende Fall ist vom Von-der-Heide-Urteil (5A_376/2013; dazu unser Beitrag) zu unterscheiden, wo der Hohn nicht Stilmittel war, sondern Selbstzweck.