4A_232/2014, 4A_610/2014: Werkvertrag, Umfang des Leistungsverzichts gemäss Art. 366 Abs. 1 OR (amtl. Publ.)

Gegen­stand dieses Urteils bildete ein Werkver­trag, bei welchem die Unternehmerin mehrere Leis­tun­gen erbrin­gen musste. Da sie sich mit einem Teil der Leis­tun­gen in Verzug befand, trat die Bestel­lerin vom gesamten Werkver­trag zurück.

Das Bun­des­gericht kon­nte sich in der Folge erst­mals zur Frage äussern, ob der Bestel­lerin gestützt auf Art. 366 Abs. 1 OR einzig ein Anspruch zuste­ht, auf die nicht rechtzeit­ig erbrachte Teilleis­tung zu verzicht­en, oder ob sie, obwohl die Unternehmerin mit einem anderen Teil der Leis­tung nicht in Verzug ist, den­noch auf die gesamte Leis­tung verzicht­en darf. Es kam zum Schluss, dass die mit einem Gesamtverzicht ver­bun­de­nen Nachteile über­wiegen wür­den, weshalb die Bestel­lerin nicht berechtigt war, auf sämtliche Teilleis­tun­gen zu verzicht­en (E. 16.2.4).

Das Bun­des­gericht ver­glich diese Fal­lkon­stel­la­tion zunächst mit der Sit­u­a­tion bei Sukzes­sivliefer­ungsverträ­gen bzw. beim Verzug mit Zahlungsrat­en. Es wies darauf hin, dass in einem solchen Fall der Gläu­biger nur für die bere­its ver­fal­l­enen Rat­en nach Art. 107 OR vorge­hen könne. Von diesem Grund­satz dürfe allerd­ings in Aus­nah­me­fällen abgewichen wer­den, näm­lich wenn auch die kün­ftige Ver­tragser­fül­lung als gefährdet erscheine oder wenn der Gläu­biger auf­grund ein­er beson­deren Ver­trags­bes­tim­mung auch mit Bezug auf nicht ver­fal­l­ene Rat­en zur Ausübung der Rechte nach Art. 107/109 OR ermächtigt ist (BGE 119 II 136, E. 3). Voraus­ge­set­zt sei die Teil­barkeit der Leis­tung im tech­nis­chen Sinn; allerd­ings reiche die tech­nis­che Teil­barkeit alleine nicht aus, son­dern let­ztlich sei der Ver­tragszweck und die Inter­essen­lage mass­ge­blich (E. 16.2).

Das Bun­des­gericht bejahte vor­liegend die tech­nis­che Teil­barkeit aus mehreren Grün­den (E. 16.2.1):

  • Für die ver­schiede­nen Leis­tun­gen seien unter­schiedliche Zwis­chen­ter­mine vere­in­bart worden;
  • Die Leis­tun­gen hät­ten auch durch ver­schiedene Unternehmer erbracht wer­den können; 
  • Die Gegen­leis­tung sei eben­falls teil­bar gewe­sen, unab­hängig davon, dass ein Pauschal­preis vere­in­bart wor­den sei, zumal ein Gutachter den Anteil der einzel­nen Leis­tun­gen habe bez­if­fern können;
  • Betr­e­f­fend die Inter­essen­lage und den Ver­tragszweck habe kein Wille nachgewiesen wer­den kön­nen, einen nicht teil­baren Ver­trag abzuschliessen. Nichts Entschei­den­des ergebe sich aus der Zusam­men­fas­sung der ver­schiede­nen Leis­tun­gen in einem Gesamtver­trag und unter einem BKP sowie aus der Vere­in­barung des­sel­ben Endtermins.

Betr­e­f­fend die Gefährung sei, so das Bun­des­gericht weit­er, namentlich auf die Gründe der erfol­gten Pflichtver­let­zung abzustellen. Im vor­liegen­den Fall verneinte das Bun­des­gericht eine solche Gefährdung, da die Unternehmerin mit jen­em Teil der Leis­tun­gen in Verzug ger­at­en sei, wo sie keine Erfahrung besessen habe und auf ihren Drit­tliefer­an­ten angewiesen gewe­sen sei. Es sei deshalb nicht zuläs­sig, auf­grund des Verzugs bei ein­er Teilleis­tung tel quel auf eine Gefährdung auch mit Bezug auf die andere Teilleis­tung zu schliessen, welche in casu das Fachge­bi­et der Unternehmerin betrof­fen habe und wo sie auf keine Drit­tliefer­an­tin angewiesen gewe­sen sei (E. 16.2.2).

Schliesslich ver­weist das Bun­des­gericht auf die im Werkver­trag beste­hende beson­dere Inter­essen­lage, da der Unternehmer das Werk typ­is­cher­weise nach den indi­vidu­ellen Wün­schen des Bestellers fer­tige und es deshalb nur eine beschränk­te Verkehrstauglichkeit aufweise. Ein Gesamtverzicht sei daher für den Unternehmer regelmäs­sig mit erhe­blichen Nachteilen ver­bun­den, weshalb ein Gesamtverzicht dem Unternehmer nicht ohne Weit­eres aufge­bürdet wer­den dürfe (E. 16.2.3).