Im Entscheid 4A_593/2015 (frz.) beschäftigte sich das Bundesgericht mit der Haftung einer Bank für Börseninformationen, die sich nachträglich als objektiv falsch herausstellen. Das Bundegericht verneinte eine entsprechende Haftung der Bank.
Dem Prozess lag eine Bankkundenbeziehung zwischen zwei Gebrüdern und einer Schweizer Bank (mutmasslich Fortis Banque [Suisse] SA, Anm.) zugrunde. Bei den Gebrüdern handelte es sich um finanzkundige Grossindustrielle und Multimillionäre. Der Streit drehte sich um ein von diesen erworbenes sehr grosses Aktienpaket einer Obergesellschaft [mutmasslich Fortis SA/NV, Belgien] der Schweizer Bank. Diese Aktien hatten die Gebrüder über ein Investitionsvehikel zwischen September 2007 und September 2008 auf Empfehlung der Schweizer Bank erworben. Für den Erwerb gewährte die Schweizer Bank Kreditrahmen von über EUR 100 Mio. Trotz Rettung der [mutmasslich] Fortis durch den belgischen, niederländischen und luxemburgischen Staat verloren die Aktien im Zuge der Finanzkrise massiv an Wert, was vorliegend zu einem eingeklagten Schaden von mehr als EUR 162 Mio. führte.
Das Bundesgericht beschäftigte sich zunächst mit der Qualifikation des zwischen der Schweizer Bank und der Kundin bestehenden Vertragsverhältnisses im Zusammenhang mit dem Erwerb der ersten Aktientranche. Dabei ging es ausführlich auf seine bisherige Rechtsprechung zur Trias Vermögensverwaltung, Anlageberatung und reine Konto-/Depotführung («execution only») und die entsprechend abgestuften Informationspflichten einer Bank ein (E. 7.1.1 ff.).
Entgegen der Vorinstanz, die von einem “execution only”-Verhältnis ausgegangen war, bejahte das Bundesgericht im Zusammenhang mit dem anfänglichen Erwerb der Aktien einen stillschweigenden Anlageberatungsvertrag. Dies vor allem gestützt auf den Umstand, dass die Vertreter der Kundin nicht nur mit dem direkten Dossierverantwortlichen der Schweizer Bank Gespräche geführt hatten, sondern auch mit deren oberstem geschäftsführendem Organ sowie einem Verantwortlichen der ausländischen Muttergesellschaft (E. 7.3.1).
Das Bundesgericht verneinte jedoch eine objektive Haftung der Bank für die Informationen, die sich nachträglich als falsch herausgestellt haben (freie Übersetzung aus dem Französischen):
«7.3.2. Der [Bankkundin] kann indes nicht gefolgt werden, wenn sie vorbringt, dass die Schweizer Bank aufgrund dieses Anlageberatungsvertrags für die inhaltlich unzutreffende Information einzustehen hätte, die sie ihr über die Gruppe H. gegeben hat, aufgrund einer objektiven Haftung für die Informationen, die sich als falsch herausgestellt haben. Denn es besteht […] im Bereich von Börsentransaktionen immer ein Risiko, dessen sich der Kunde bewusst sein muss. Der Investor muss wissen, dass er sich nicht sicher auf einen Rat bezüglich eines zukünftigen und ungewissen Ereignisses verlassen kann; er hat die Risiken selber zu tragen, wenn er dem Rat der Bank folgt, es sei denn, der falsche Rat sei offensichtlich unvernünftig gewesen. Dies gilt umso mehr im vorliegenden Fall, zumal die [wirtschaftlich] Berechtigten der Kundin erfahrene Investoren und von sachkundigen professionellen Beratern umgeben sind, auf ein starkes Wachstum ihres Kapitals abzielen und dabei ein erhöhtes Risiko in Kauf nehmen, wie sich aus dem Kundenprofil […] ergibt. Überdies […] hat die Schweizer Bank keine spezifischen Zusicherungen zur Gesundheit dieses [Aktien-]Titels abgegeben […]. Die Bank hat weder Zusicherungen zu diesem Titel abgegeben, noch sich zur Übernahme des Risikos der Anlage verpflichtet, welche die Kundin letztlich auf eigene Gefahr ausgewählt hat. Entsprechend behauptet die [Kundin] zu Unrecht, dass die Bank aufgrund des Anlageberatungsvertrags verantwortlich für eine objektiv falsche Information sei und dass dies ein Verschulden ohne Möglichkeit eines Entlastungsbeweises darstelle.»
Ebenso verneinte das Bundesgericht mangels spezifischer Vereinbarung eine Pflicht der Bank, die Entwicklung der von der Kundin getätigten Anlagen laufend zu überwachen bzw. die Kundin zu beraten und sie zu warnen (freie Übers. aus dem Frz.):
«E. 7.3.3. […] Der Umstand, dass die Bank Dokumente mit allgemeinen Informationen zur Aktie H. abgab, wobei diese ebenfalls von Dritten stammten und […] lediglich allgemeine Erwartungen des Instituts oder Dritter über bestimmte Aktien darstellten, führt zu keinen Informations‑, Beratungs- oder Warnpflichten der Bank. Als Anlageberaterin kann sie nur haftbar werden, soweit sie von ihrer Kundin um präzise Auskünfte angefragt wurde oder diese solche nach Treu und Glauben erwarten durfte, was zu behaupten und zu beweisen der Kundin obliegt. […]»
Das Bundesgericht prüfte sodann, ob die Bank in drei spezifischen Zeitpunkten ihre Pflichten verletzt hatte, verneinte jedoch entsprechende Pflichtverletzungen. Ausschlaggebend war mitunter der Umstand, dass die Vertreter der Schweizer Bank die schlechte finanzielle Situation der Muttergesellschaft nicht kannten (E. 8.2.2. und 8.3.2).
Schliesslich verneinte das Bundesgericht auch eine Pflichtverletzung der Bank gestützt auf die Figur der Vertrauenshaftung bzw. gestützt auf die Theorie der Wissenszurechnung (E. 9).