4A_183/2020: Anfechtung Anfangsmietzins, Orts- und Quartierüblichkeit, Beweislast (amtl. Publ.)

Gegen­stand dieses neuesten Leit­entschei­ds war eine Miet­zin­ser­höhung um knapp 44% anlässlich eines Mieter­wech­sels, welche die Ver­mi­eterin mit “Anpas­sung an die orts- und quartierüblichen Ver­hält­nisse” begrün­dete. Die Zürcher Gerichte beurteil­ten diese Miet­zin­ser­höhung als miss­bräuch­lich. Das Bun­des­gericht hob dieses Urteil auf und wies die Sache zur Neubeurteilung zurück.

Das Bun­des­gericht erin­nerte zunächst daran, dass die Kon­trolle des Anfangsmi­et­zins­es nur mith­il­fe der absoluten Meth­ode vorgenom­men wer­den könne. Dabei werde über­prüft, ob die Ver­mi­eterin mit Blick auf die zu tra­gen­den Kosten oder die Mark­t­preise keinen über­set­zten Ertrag erziele. Bei Altliegen­schaften, wie vor­liegend, habe demge­genüber das Kri­teri­um der Orts- und Quartierüblichkeit Vor­rang (E. 3.1.1). Die quartierüblichen Miet­zinse dürften nicht auf­grund eines Gesamtein­drucks bes­timmt wer­den. Vielmehr müsse sich der Richter an die in Art. 11 VMWG vorgegebe­nen und in der Recht­sprechung präzisierten Kri­te­rien hal­ten, näm­lich entwed­er an offizielle Sta­tis­tiken, die den jüng­sten Entwick­lun­gen der Miet­zinse Rech­nung tra­gen, oder anhand min­destens fünf Ver­gle­ich­sob­jek­te, die in Bezug auf die in Art. 11 Abs. 1 VMWG genan­nten Aspek­te mit dem strit­ti­gen Mieto­b­jekt ver­gle­ich­bar seien. Zudem sei die jüng­ste Entwick­lung der Miet­zinse der Ver­gle­ich­sob­jek­te mit Blick auf den Ref­erenzzinssatz und den Lan­desin­dex der Schweiz­erischen Kon­sumenten­preise zu berück­sichti­gen (E. 3.1.2).

Sodann ver­wies das Bun­des­gericht auf die in BGE 139 III 13 fest­gelegten Grund­sätze bei der Beurteilung der Miss­bräuch­lichkeit von Anfangsmi­et­zin­sen (E: 3.2.1–3.2.2). Es klärte die in der Lehre umstrit­tene Trag­weite der beweis­rechtlichen Erwä­gun­gen dieses Urteils, näm­lich dass bei ein­er erhe­blichen Erhöhung des Miet­zins­es gegenüber dem Vormi­etver­hält­nis die Ver­mi­eterin nicht nur eine ver­stärk­te Mitwirkung­sobliegen­heit tre­ffe. Vielmehr sei von ein­er tat­säch­lichen Ver­mu­tung der Miss­bräuch­lichkeit auszuge­hen und es obliege der Ver­mi­eterin, die auf Ver­gle­ich­se­le­mente stützen­den Gegen­be­weise zu erbrin­gen (E. 3.3.1). Weit­er klärte das Bun­des­gericht, dass nicht bere­its bei ein­er Erhöhung um 10% von ein­er erhe­blichen Erhöhung des Anfangsmi­et­zins­es und damit von ein­er begrün­de­ten Ver­mu­tung der Miss­bräuch­lichkeit auszuge­hen sei, son­dern erst bei ein­er “mas­siv­en Erhöhung des Miet­zins­es von deut­lich über 10%, welche nicht durch die Entwick­lung des Ref­erenzzinssatzes bzw. der Schweiz­erischen Kon­sumenten­preise erk­lärt wer­den könne (E. 3.3.2).

Bei der vor­liegen­den Erhöhung von knapp 44% sei dies der Fall und es greife die Ver­mu­tung der Miss­bräuch­lichkeit. Mit Bezug auf den von der Ver­mi­eterin zu erbrin­gen­den Gegen­be­weis präzisierte das Bun­des­gericht sodann die Bedeu­tung ein­er lan­gen Dauer des Vormi­etver­hält­niss­es (E. 3.5.2) und erwog, dass all­ge­mein bei ein­er Dauer von 15–20 Jahren von einem langjähri­gen Vormi­etver­hält­niss­es auszuge­hen sei (E. 3.5.3). Ein solch­es langjähriges Vormi­etver­hält­nis führe nicht dazu, dass die Ver­mu­tung der Miss­bräuch­lichkeit bei mas­siv­en Miet­zin­ser­höhun­gen nicht mehr anwend­bar sei. Vielmehr sei dem lan­gen Vormi­etver­hält­nis bei der Beurteilung Rech­nung zu tra­gen, ob der Ver­mi­eter begrün­dete Zweifel an der Ver­mu­tung der Miss­bräuch­lichkeit geweckt habe (E. 3.5.4).

Dabei klärte das Bun­des­gericht, in Präzisierung der missver­ständlichen For­mulierung in BGE 139 III 13, dass von der Ver­mi­eterin nicht der volle Beweis für die Nicht­miss­bräuch­lichkeit des ange­focht­e­nen Miet­zins­es zu ver­lan­gen sei, da dies eine Umkehr der Beweis­last oder eine rechtliche Ver­mu­tung voraus­set­zen würde. Vielmehr reiche aus, wenn die Ver­mi­eterin beim Gericht begrün­dete Zweifel an der Richtigkeit der tat­säch­lichen Ver­mu­tung der Miss­bräuch­lichkeit des Anfangsmi­et­zins­es wecke (E. 4.2). Begrün­dete Zweifel könne der Ver­mi­eter mith­il­fe von Sta­tis­tiken weck­en (E. 4.3.1), wobei auch dem Umstand eines langjähri­gen Vormi­etver­hält­niss­es Rech­nung zu tra­gen sei (E. 4.3.2). Der kan­tonale Richter habe die vom Ver­mi­eter dargelegten Indizien, ein­schliesslich der Ver­gle­ich­sob­jek­te, unter Berück­sich­ti­gung sein­er all­ge­meinen Lebenser­fahrung und sein­er Ken­nt­nis des lokalen Mark­tes zu würdi­gen. Komme er zum Schluss, der Ver­mi­eter habe begrün­dete Zweifel an der Ver­mu­tung geweckt, ent­falle diese und es obliege dem Mieter, mith­il­fe von 5 Ver­gle­ich­sob­jek­ten bzw. ein­er amtlichen Sta­tis­tik die Miss­bräuch­lichkeit des Anfangsmi­et­zins­es nachzuweisen. Gelinge es dem Ver­mi­eter ander­er­seits nicht, begrün­dete Zweifel zu weck­en, gelte zugun­sten des Mieters die Ver­mu­tung der Miss­bräuch­lichkeit, wom­it dem Ver­mi­eter — im Sinne eines Beweis­es des Gegen­teils — der Beweis der Orts- und Quartierüblichkeit des Anfangsmi­et­zins­es offen ste­he. Die Anforderun­gen an die Ver­gle­ich­sob­jek­te seien dabei die gle­ichen wie für den dem Mieter obliegen­den Beweis der Miss­bräuch­lichkeit des Anfangsmi­et­zins­es. Der Ver­mi­eter habe fünf Ver­gle­ich­sob­jek­te zu brin­gen, die mit dem Ver­gle­ich­sob­jekt betr­e­f­fend die rel­e­van­ten Aspek­te ver­gle­ich­bar sein müssten (E. 4.3.3).

Vor­liegend habe, so das Bun­des­gericht schliesslich, die Vorin­stanz nicht geprüft, ob der Ver­mi­eter begrün­dete Zweifel an der, auf­grund der Miet­zin­ser­höhung von knapp 44% gel­tenden Ver­mu­tung der Miss­bräuch­lichkeit begrün­dete Zweifel geweckt habe. Vielmehr sei die Vorin­stanz zu Unrecht davon aus­ge­gan­gen, dass bei Nach­weis der Ver­mu­tungs­ba­sis (Anschein der Miss­bräuch­lichkeit) stetes ohne Weit­eres auf die Miss­bräuch­lichkeit des Anfangsmi­et­zins­es zu schliessen sei (E. 4.5). Entsprechend hob das Bun­des­gericht das Urteil auf und wies die Sache zu neuer Entschei­dung an die Vorin­stanz zurück, welche nun entschei­den muss, ob der Ver­mi­eter begrün­dete Zweifel an der Richtigkeit der Ver­mu­tung der Miss­bräuch­lichkeit geweckt hat (E. 5).