Im Entscheid 4A_612/2020 vom 18. Juni 2021 befasste sich das Bundesgericht mit der Frage, ob die Voraussetzung der Ausschöpfung der nützlichen Rechtsmittel auch für internationale Schiedsverfahren gilt.
2019 delegierte die Internationale Biathlon-Union (IBU) ihre Disziplinarbefugnisse in Sachen Doping an die CAS Anti-Doping Division (CAS ADD), die infolgedessen als «Disciplinary Tribunal» amtete und damit das Anti-Doping Hearing Panel der IBU (ADHP) als erste Instanz ersetzte. Im Februar 2020 leitete die IBU bei der CAS ADD ein Schiedsverfahren gegen einen ehemaligen Biathlon-Athleten ein, weil dieser zwischen 2010 und 2014 eine verbotene Substanz oder Methode verwendet und damit Art. 2.2 des Anti-Doping Reglements der IBU (Version 2009) verletzt haben solle. Der Einzelschiedsrichter des CAS erklärte sich für zuständig und hiess das Gesuch der IBU gut. Im Urteil hielt der Einzelschiedsrichter fest, dass der Entscheid bei der Appeal Arbitration Division des CAS (CAS AAD) angefochten werden könne (R47 ff. des Verfahrensreglements des CAS). Infolgedessen reichte der Athlet Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht ein und beantragte die Aufhebung des Entscheids der CAS ADD. Parallel dazu zog der Athlet den Entscheid auch an die CAS AAD weiter.
Das Bundesgericht liess die Frage offen, ob der Entscheid des Einzelschiedsrichters als eine Entscheidung des Organs eines Sportverbands zu qualifizieren sei, wie es die IBU geltend machte, oder als echter Schiedsspruch, wie der Athlet argumentierte. Denn die Beschwerde in Zivilsachen ans Bundesgericht sei in beiden Konstellationen unzulässig:
Sofern es sich um einen Disziplinarentscheid handeln sollte, wäre dieser Entscheid von gleicher Rechtsnatur wie die zuvor von der ADHP getroffenen, mithin kein Rechtsprechungsakt, sondern ein Verwaltungsakt des Verbandes. Dieser könne nicht direkt vor Bundesgericht angefochten werden, sondern müsse, sofern schweizerisches Recht anwendbar sei, gestützt auf Art. 75 ZGB entweder vor einem staatlichen Gericht oder einem vom Verband unabhängigen Schiedsgericht gebracht werden. Vorliegend könne der Entscheid vor der CAS AAD angefochten werden, einem unabhängigen Gericht, was der Athlet auch getan habe. Nur der Entscheid der CAS AAD könne dann ans Bundesgericht gezogen werden.
Sofern es sich um einen Schiedsspruch handeln sollte, prüfte das Bundesgericht, ob für die Zulässigkeit der Beschwerde ans Bundesgericht die Voraussetzung der Ausschöpfung der vorangehenden Instanzen erfüllt sein müsse.
Zweck dieser Regelung sei es, dass sich das Bundesgericht vorbehältlich einiger von der Rechtsprechung zugelassener Ausnahmen (z.B. BGE 143 III 462, 140 III 520) nur einmal mit einer Sache befassen müsse. Diese Regel sei in der internen Schiedsgerichtsbarkeit ausdrücklich in Art. 391 ZPO normiert, der vorsieht, dass die Beschwerde erst nach Ausschöpfung der in der Schiedsvereinbarung vorgesehenen schiedsgerichtlichen Rechtsmittel zulässig sei (sog. Grundsatz der Subsidiarität). Es sei nicht einzusehen, weshalb diese Voraussetzung im Rahmen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit nicht erfüllt sein müsse. Diese Auffassung entspreche auch der Ansicht der herrschenden Lehre.
Zwar sei weder in Art. 77 BGG noch in Art. 190 IPRG die Voraussetzung der Ausschöpfung der nützlichen schiedsgerichtlichen Rechtsmittel ausdrücklich normiert. Dies stelle jedoch keinen ausreichenden Grund dar, um die Regel im Falle einer Anfechtung eines internationalen Schiedsspruchs nicht anzuwenden. Art. 75 Abs. 1 BGG könne als Rechtsgrundlage für die Voraussetzung der Ausschöpfung der schiedsgerichtlichen Instanzen analog angewendet werden, zumal Art. 77 Abs. 2 BGG die Anwendung dieser Bestimmung nicht ausdrücklich ausschliesse. Entsprechend sei in Bestätigung von BGer 4A_490/2017 vom 2. Februar 2018 eine Beschwerde ans Bundesgericht im Rahmen eines internationalen Schiedsverfahrens nur möglich, wenn sämtliche nützliche Rechtsmittel ausgeschöpft seien.
Dies sei vorliegend nicht der Fall, da der Athlet den Entscheid des Einzelschiedsrichters an die CAS AAD anfechten könne. Es sei nicht einzusehen, weshalb die einfache Behauptung des Athleten, dass die CAS AAD keine unabhängige Instanz sei und die Beschwerde an die CAS AAD demnach eine leere, zwecklose Formalität darstelle, es dem Athleten erlauben würde, eine Instanz zu überspringen. Allfällige Rügen betreffend die fehlende Unabhängigkeit und die vom Athleten ebenfalls geltend gemachte Unzuständigkeit der Abteilungen des CAS könne der Athlet jedenfalls gegen den noch zu fällenden Entscheid der CAS AAD mit einer Beschwerde in Zivilsachen geltend machen.
Das Bundesgericht trat folglich nicht auf die Beschwerde ein.
Verfasst von Francesca Borio / Michael Feit