4A_50/2012: Wirkungen von ausländischen Insolvenzvorschriften auf internationale Schiedsverfahren (amtl. Publ.)

Im Entscheid 4A_50/2012 vom 16. Okto­ber 2012 befasste sich das Bun­des­gericht mit der Frage, ob eine por­tugiesis­che Partei ihre Fähigkeit ver­loren habe, Partei eines Schiedsver­fahrens zu sein, weil ein Insol­ven­zver­fahren über sie eröffnet wor­den sei.

Die Beschw­erde­führerin rügte, das Schieds­gericht habe
seine Zuständigkeit zu Unrecht bejaht.
Infolge des über sie eröffneten Insol­ven­zver­fahrens in Por­tu­gal sei die
Beschw­erde­führerin nicht fähig, Partei eines Schiedsver­fahrens zu sein.
Dies ergebe sich aus Art. 87 Abs. 1 des portugiesischen
Insol­ven­zge­set­zes (p‑IG). Nach Auf­fas­sung der Beschw­erde­führerin hat das
Schieds­gericht das por­tugiesis­che Insol­ven­zrecht falsch und unter
Mis­sach­tung der überzeu­gen­den Dar­legun­gen des von der Beschwerdeführerin
angerufe­nen Experten inter­pretiert und zu Unrecht den Ver­lust der
Fähigkeit der Beschw­erde­führerin verneint, Partei eines
Schiedsver­fahrens zu sein.

Das Bun­des­gericht klärte zunächst, nach welchem Recht sich die Rechts­fähigkeit der Beschw­erde­führerin bes­timmt (E. 3.3.2):

Die Rechts­fähigkeit ein­er Partei in einem internationalen
Schiedsver­fahren mit Sitz in der Schweiz wird gemäss bundesgerichtlicher
Recht­sprechung durch das Per­son­al- bzw. Gesellschaftsstatut, also durch
das gemäss Art. 33 f. IPRG (für natür­liche Per­so­n­en) bzw. Art. 154, 155 lit. c IPRG
(für Gesellschaften) anwend­bare Recht bes­timmt (Urteil 4A_428/2008 vom
31. März 2009 E. 3.2, publ. in: ASA Bul­letin 1/2010 S. 104 ff. mit
Hinweisen). 

Das Bun­des­gericht betonte dabei, dass das nach dem Per­son­al- bzw. Gesellschaftsstatut bes­timmte Recht allein die Rechts­fähigkeit regelt und etwaige auf Schiedsver­fahren bezo­gene Ein­schränkun­gen unbeachtlich sind (E. 3.3.4):

Weist das aus­ländis­che Gebilde nach dem Inkorporationsstatut
Rechtsper­sön­lichkeit auf, ist es in einem internationalen
Schiedsver­fahren mit Sitz in der Schweiz auch parteifähig. Allfäl­lige
spez­i­fisch auf Schiedsver­fahren bezo­gene Ein­schränkun­gen des Personal-
oder Gesellschaftsstatuts, welche die Rechtsper­sön­lichkeit des
aus­ländis­chen Gebildes unberührt lassen, sind unter dem Gesichtspunkt
der Fähigkeit, in einem Schiedsver­fahren mit Sitz in der Schweiz als
Partei aufzutreten, grund­sät­zlich unbeachtlich
(vgl. TSCHANZ, a.a.O., N.
63 zu Art. 178 IPRG).

Dann wandte sich das Bun­des­gericht dem konkreten Fall zu. Auf das Argu­ment der Beschw­erde­führerin,  ihr fehle die Fähigkeit, Partei eines
Schiedsver­fahrens zu sein, weil Art. 87 p‑IG ihr diese Fähigkeit
ent­zo­gen habe, erwiderte das Bun­des­gericht (E. 3.4.2):

Selb­st wenn
Art. 87 p‑IG eine por­tugiesis­che Insol­venz­masse daran hin­derte, in einem
por­tugiesis­chen Schiedsver­fahren als Partei aufzutreten, bliebe dies
ohne Ein­fluss auf deren Parteifähigkeit in einem internationalen
Schiedsver­fahren mit Sitz in der Schweiz
. Denn hierzu ist einzig
entschei­dend, dass das por­tugiesis­che Recht der Beschwerdeführerin
Rechtsper­sön­lichkeit ein­räumt
, dieser mithin Rechte und Pflichten
zuge­ord­net wer­den kön­nen (oben E. 3.3.3). Dies ist vor­liegend unstreitig
der Fall, was auch die Beschw­erde­führerin zugibt, wenn sie ausführt:
“Die Beschw­erde­führerin macht ger­ade nicht gel­tend, dass insolvente
Per­so­n­en nicht rechts­fähig seien”. In der Tat bes­timmt Art. 5 des
por­tugiesis­chen Geset­zbuch­es über Han­dels­ge­sellschaften (Códi­go das
sociedades com­er­ci­ais), dass Han­dels­ge­sellschaften über
Rechtsper­sön­lichkeit ver­fü­gen. Die Rechtsper­sön­lichkeit bleibt gemäss
Art. 141 Abs. 1 lit. e i.V.m. Art. 146 Abs. 2 des näm­lichen Gesetzbuches
auch dann unberührt, wenn eine Gesellschaft infolge Konkurses
liq­ui­diert wird. Aus Art. 87 Abs. 2 p‑IG, wonach Schiedsver­fahren, die
bei Konkurs­eröff­nung hängig sind, weit­erge­führt wer­den kön­nen, ergibt
sich schliesslich, dass die Rechts­fähigkeit ein­er Insol­venz­masse selbst
in laufend­en Schiedsver­fahren nach por­tugiesis­chem Recht nicht tangiert
wird.

Aus all dem fol­gt, dass eine portugiesische
Insol­venz­masse bis zur voll­ständi­gen Liq­ui­da­tion weit­er­hin Trägerin von
Recht­en und Pflicht­en ist, also Rechtsper­sön­lichkeit geniesst
. Damit ist
sie in einem Schiedsver­fahren nach dem 12. Kapi­tel IPRG aber auch
parteifähig
(oben E. 3.3.3). Selb­st wenn aus Art. 87 Abs. 1 p‑IG eine
wie auch immer geart­ete “Schied­sun­fähigkeit” für künftige
(por­tugiesis­che) Schiedsver­fahren abgeleit­et wer­den kön­nte, wäre diese
mithin für die Parteifähigkeit nach schweiz­erisch­er lex arbitri
unbeachtlich, solange die Insol­venz­masse über Rechtspersönlichkeit
ver­fügt
, was hier unstre­it­ig ist. 

Die Beschw­erde­führerin stützte ihre Argu­mente auf das soge­nan­nte Viven­di-Urteil (4A_428/2008). Das Bun­des­gericht hielt dem ent­ge­gen (E. 3.5.3):

Denn die Beschw­erde­führerin geht
jeden­falls fehl, wenn sie im Viven­di-Urteil ein Präjudiz für den
vor­liegend zu entschei­den­den Fall aus­machen will. Ent­ge­gen dem, was die
Beschw­erde­führerin zu sug­gerieren ver­sucht, hat das Bun­des­gericht im
Urteil 4A_428/2008 näm­lich nicht in all­ge­mein­er Weise “bestätigt”, dass
die Bes­tim­mung eines aus­ländis­chen Insol­ven­zge­set­zes, welche die
Unwirk­samkeit ein­er Schiedsvere­in­barung im Insol­ven­z­falle vor­sieht, dazu
führe, dass die Gemein­schuld­ner­in die “Fähigkeit” ver­liere, “an einem
Schiedsver­fahren als Partei teilzunehmen”. Das Viven­di-Urteil ist
vielmehr im spez­i­fis­chen Kon­text des pol­nis­chen Rechts und der dazu
entwick­el­ten Dok­trin zu sehen
, wie sie in den Gutacht­en polnischer
Recht­spro­fes­soren zum Aus­druck gebracht wurde. Es kann weder
ver­all­ge­mein­ert noch kön­nen die dor­ti­gen Aus­führun­gen zum polnischen
Recht auf andere Recht­sor­d­nun­gen über­tra­gen wer­den
. Ins­beson­dere kann
die Beschw­erde­führerin aus dem Umstand, dass der pol­nis­che Art. 142 pKSG
eben­so wie der hier umstrit­tene por­tugiesis­che Art. 87 p‑IG keinen
aus­drück­lichen Hin­weis auf die Rechts- bzw. Parteifähigkeit enthält,
nicht ableit­en, dass auch Art. 87 p‑IG gle­ich wie die pol­nis­che Norm
ver­standen wer­den muss. Dies umso weniger, als eine solche Auslegung
wed­er in der por­tugiesis­chen Recht­sprechung noch in der portugiesischen
Dok­trin vorherrschend ist, wie die Vorin­stanz überzeu­gend nachgewiesen
hat. 

Fol­glich wies das Bun­des­gericht die Beschw­erde ab.