8C_272/2021: Arbeitslosenversicherung; Kurzarbeitsentschädigung, Rückerstattung (amtl. Publ.)

Im zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­henen Urteil 8C_272/2021 vom 17. Novem­ber 2021 bestätigte das Bun­des­gericht ein Urteil des Kan­ton­s­gerichts Luzern, wonach Ferien- und Feiertagsentschädi­gun­gen bei Monat­slöh­n­ern im sum­marischen Ver­fahren auf Kurzarbeit­sentschädi­gung mit zu berück­sichti­gen sind. Die Vorin­stanz hat­te die dies­bezügliche Ver­wal­tung­sprax­is seit Ein­führung des sum­marischen Ver­fahrens auf Kurzarbeit­sentschädi­gung im Rah­men der COVID-19-Pan­demie korrigiert.

Dem Urteil lag zusam­menge­fasst fol­gen­der Sachver­halt zugrunde: Die Beschw­erdegeg­ner­in als Betreiberin eines Restau­rants habe auf­grund der Coro­na-Pan­demie bei der Arbeit­slosenkasse des Kan­tons Luzern Kurzarbeit­sentschädi­gung für den gesamten Betrieb vom 16. März bis 31. Juli 2020 beantragt. Nach Gewährung der beantragten Kurzarbeit­sentschädi­gung und Entrich­tung für die Monate März und April 2020, habe die Arbeit­slosenkasse die Rück­er­stat­tung zu viel bezahlter Beträge gefordert, da während der Gültigkeit des sum­marischen Abrech­nungsver­fahrens für Angestellte im Monat­slohn keine Feiertags- und Ferienentschädi­gung hätte aus­gerichtet wer­den dür­fen. An dieser Berech­nungsweise habe die Arbeit­slosenkasse auch für die Fol­ge­monate und in ihrem Ein­spracheentscheid fest­ge­hal­ten. Diese sei vom Kan­ton­s­gericht Luzern als Beschw­erde­in­stanz mit Urteil vom 26. Feb­ru­ar 2021 kor­rigiert worden.

Gemäss Bun­des­gericht sei somit strit­tig, ob die Vorin­stanz Bun­desrecht ver­let­zt habe, indem sie die Angele­gen­heit zur Neu­berech­nung der Kurzarbeit­sentschädi­gung für die Monate März bis Mai 2020 unter Berück­sich­ti­gung von Ferien- und Feiertagsentschädi­gun­gen für Monat­slöh­n­er an die Beschw­erde­führerin zurück­gewiesen habe. Unbe­strit­ten sei, dass Monat­slöh­n­ern nor­maler­weise die Ferien- und Feiertage arbeit­ge­ber­seit­ig nicht als eigentliche Zula­gen, son­dern in Form von Zeit entschädigt wür­den. Eben­so sei unstre­it­ig, dass im Nor­malver­fahren der Ferien- und Feiertagsanspruch als Kürzung der Soll-Jahre­sar­beit­szeit berück­sichtigt werde, wodurch ein höher­er anrechen­bar­er Stun­den­ver­di­enst resul­tiere. Insofern würde somit in Bezug auf Beschäftigte im Monat­slohn deren Ferien- und Feiertagsanspruch im Nor­malver­fahren eben­falls berück­sichtigt (E. 3.1.1).

Das Bun­des­gericht erwog, die Beschw­erde­führerin habe gemäss dem Urteil der Vorin­stanz den Auss­chluss von Ferien- und Feiertagsentschädi­gun­gen bei Monat­slöh­n­ern mit dem nach Art. 8i der Covid-19-Verord­nung Arbeit­slosen­ver­sicherung anwend­baren Sum­mar­ver­fahren und dem damit zwin­gend zu ver­wen­den­den For­mu­lar des SECO für die pauschal­isierte Abrech­nung begrün­det. Aus der Verord­nung werde gemäss der Vorin­stanz aber nicht klar, ob mit den erwäh­n­ten “Soll­stun­den” die Brut­to- oder Net­to-Soll­stun­den gemeint seien. Im Gegen­satz zum Nor­malver­fahren habe die Beschw­erde­führerin im Sum­mar­ver­fahren auf die jährliche Brut­to-Sol­lar­beit­szeit abgestellt und die Ferien- und Feiertage bei Monat­slöh­n­ern unberück­sichtigt gelassen, wom­it diese vom Arbeit­ge­ber zu entlöh­nen seien. Bei Stun­den­löh­n­ern könne der Zuschlag hinge­gen zum Lohn addiert wer­den. Diese unter­schiedliche Berech­nungsweise habe gemäss Vorin­stanz nicht aus dem Wort­laut von Art. 8i Abs. 3 Covid-19-Verord­nung Arbeit­slosen­ver­sicherung abgeleit­et wer­den könne (E. 3.2.1).

Weit­er habe die Vorin­stanz aus­ge­führt, ergebe sich eine solche Absicht auch nicht aus den Mate­ri­alien (E. 3.2.2). Durch die fehlende Berück­sich­ti­gung der während der Kurzarbeit entste­hen­den Ferien- und Feiertagsansprüchen der Monat­slöh­n­er im Sum­mar­ver­fahren würde ein Grossteil der Arbeit­geben­den, insb. kleinere und mit­tlere, eher im Tieflohnsek­tor tätige Betriebe, gegenüber der Abrech­nung im Nor­malver­fahren schlechter gestellt. Diese nicht gewollte — und damit nach Möglichkeit zu ver­hin­dernde bzw. zu ver­ringernde — Schlechter­stel­lung durch die Prax­is der Arbeit­slosenkasse ver­let­ze das Legal­ität­sprinzip bzw. den ver­ankerten Grund­satz der Geset­zmäs­sigkeit (E. 3.2.2). Die Berück­sich­ti­gung könne mit­tels eines pauschalen Zuschlags geschehen — sei es bei der Berech­nung des “prozen­tualen wirtschaftlich bed­ingten Arbeit­saus­falls” oder bei der “Lohn­summe für die aus­ge­fal­l­enen Stun­den”, was ein ein­fach­es und rasches Sum­mar­ver­fahren nicht verun­mögliche. Soweit sich die Berech­nungsweise auf die Weisung des SECO vom 27. August 2020 und das zu ver­wen­dende For­mu­lar sowie die veröf­fentlicht­en FAQ abstütze, so kön­nten diese nicht selb­ständi­ge Ver­wal­tungsrecht­squellen herange­zo­gen wer­den. Diese wür­den hinge­gen, so die Vorin­stanz im Ergeb­nis, gegen das über­ge­ord­nete und weit­er­hin gel­tende Geset­zes­recht nach Art. 34 Abs. 2 AVIG ver­stossen. Deshalb habe die Vorin­stanz die Sache zur Neu­ver­fü­gung an die Beschw­erde­führerin zurück­ver­wiesen unter min­destens pauschal­isiert­er Berück­sich­ti­gung der Ferien- und Feiertagsentschädi­gung für alle anspruchs­berechtigten Angestell­ten hin­sichtlich der Monate März bis Mai 2020 (E. 3.2.2).

Die Beschw­erde­führerin stelle sich hinge­gen, so das Bun­des­gericht, auf den Stand­punkt, dass der mass­gebende Ver­di­enst gemäss Art. 34 Abs. 2 AHVIG einzig eine “zusät­zlich zum Grund­lohn aus­bezahlte lohn­prozen­tuale Ferien­abgel­tung” ein­schliesse, wie beispiel­sweise bei Angestell­ten im Stun­den­lohn. Weit­er habe die Beschw­erde­führerin argu­men­tiert, dass Kurzarbeit­sentschädi­gung nur für wirtschaftlich bed­ingte Aus­fall­stun­den in Betra­cht käme und nicht für ferien- oder feiertags­be­d­ingte Aus­fall­stun­den. Für den Lohn während Ferien- und Feierta­gen müssten gemäss Beschw­erde­führerin die Arbeit­geben­den aufkom­men (E. 3.3).

Das Bun­des­gericht erwog weit­er, das SECO habe in sein­er Stel­lung­nahme ergänzend aus­ge­führt, dass Art. 34 Abs. 2 AVIG nur effek­tiv mit dem let­zten Lohn aus­gerichtete Ferien- und Feiertagsentschädi­gun­gen mit ein­schliesse. Es wider­spreche der Bes­tim­mung, wenn für Arbeit­nehmende im Monat­slohn eine Ferienentschädi­gung, die effek­tiv nie zur Auszahlung gelange und daher auch nicht bei der Beitrags­be­mes­sung im Sinne der AHV-Geset­zge­bung herange­zo­gen wer­den könne, als mass­geben­der Lohn qual­i­fiziert werde. Weit­er habe das SECO aus­ge­führt, dass ein Ver­gle­ich zwis­chen dem ordentlichen mit dem sum­marischen Abrech­nungsver­fahren über die Kurzarbeit­sentschädi­gung nicht zuläs­sig sei, da die zwei unter­schiedlichen Berech­nungsmeth­o­d­en nicht zwin­gend zu einem gle­ichen Leis­tungsanspruch führen wür­den. Jedoch wür­den inner­halb der Ver­fahren alle Bezüger von Kurzarbeit­sentschädi­gung gle­ich behan­delt. So werde im Sum­mar­ver­fahren die Kurzarbeit­sentschädi­gung sum­marisch für den ganzen Betrieb und nicht pro arbeit­nehmende Per­son berech­net (E. 3.4).

In seinen eige­nen Erwä­gun­gen hielt das Bun­des­gericht fest, es gäbe keine stich­halti­gen Gründe, weshalb die bish­erige, gefes­tigte Prax­is der Arbeit­slosenkassen im Rah­men des Nor­malver­fahrens zur Berech­nung der Kurzarbeit­sentschädi­gung in Frage zu stellen sei (E. 5.1). In Bezug auf das Sum­mar­ver­fahren erwog das Bun­des­gericht, dass mit der in Art. 8i Covid-19-Verord­nung Arbeit­slosen­ver­sicherung fest­ge­hal­te­nen Meth­ode der sum­marischen Berech­nung gewisse Unter­schiede im resul­tieren­den Anspruch auf Kurzarbeit­sentschädi­gung gegenüber dem Nor­malver­fahren bewusst in Kauf genom­men wür­den. Diese seien auf das sum­marische Ver­fahren ohne Abrech­nung pro Arbeit­nehmer zurück­zuführen und hinzunehmen (E. 5.2). Die Auf­fas­sung der Vorin­stanz, dass für die Prax­is der Beschw­erde­führerin — mithin eine über die sys­tem­be­d­ingte Ungle­ich­be­hand­lung hin­aus­ge­hende Benachteili­gung von Angestell­ten im Monat­slohn gegenüber den­jeni­gen im Stun­den­lohn — eine Rechts­grund­lage fehle, sei gemäss Bun­des­gericht jedoch bun­desrecht­skon­form und bedürfe kein­er Kor­rek­tur (E. 5.3.1). Die Vorin­stanz habe zutr­e­f­fend dargelegt, dass Art. 34 Abs. 2 AVIG hin­sichtlich der zu berück­sichti­gen­den Lohnbe­standteile auch während der Gel­tungs­dauer von Art. 8i Covid-19 Verord­nung Arbeit­slosen­ver­sicherung nicht gän­zlich auss­er Kraft geset­zt wor­den sei (E. 5.3.2).

Unter Reka­pit­u­la­tion der Recht­sprechung zu Art. 34 Abs. 2 AVIG (E. 5.4.1 f.), erwog das Bun­des­gericht, dass sowohl hin­sichtlich der Bemes­sung des ver­sicherten Ver­di­en­stes als auch der Ermit­tlung der Beitragszeit im Sinne des Gle­ich­be­hand­lungs­ge­bots nicht zwis­chen Lohn­bezug während der Ferien oder Feiertage und eigentlichem Ferien- oder Feiertagszuschlag unter­schieden werde (E. 5.4.3). Gle­ichzeit­ig sei ein real­er Bezug der freien Tage Voraus­set­zung für die Berück­sich­ti­gung der Ferien- und Feiertagsentschädi­gung beim ver­sicherten Ver­di­enst oder der Beitragszeit. Diese Grund­sätze der Gle­ich­be­hand­lung von Lohn­bezug während der Ferien oder Feiertage und eigentlichem Ferien-/Feiertagszuschlag, mithin dass sich die Art und Weise des Lohn­bezugs hin­sichtlich Ferien und Feiertage nicht auf das zif­fer­n­mäs­sige Ergeb­nis auswirken soll, seien auch bei der Berech­nung der Kurzarbeit­sentschädi­gung nicht auss­er Acht zu lassen (E. 5.4.3).

Somit müssten im Sinne des Gle­ich­be­hand­lungs­ge­bots diejeni­gen Ver­sicherten, die während des Ferien­bezugs ordentlichen Lohn für nicht geleis­tete Arbeit erhal­ten, gle­ichgestellt sein mit Ver­sicherten, denen (ob im Monats- oder Stun­den­lohn angestellt) eine Ferienentschädi­gung zukommt. Dieser Grund­satz sei auch im Sum­mar­ver­fahren zu beacht­en. Eine Abwe­ichung zum Nor­malver­fahren recht­fer­tige sich in Bezug auf das im Rah­men der Covid-19-Verord­nung einge­führte Sum­mar­ver­fahren nicht, son­dern ver­let­ze vielmehr das Geset­zmäs­sigkeit­sprinzip. Eine solche Ungle­ich­be­hand­lung lasse sich wed­er aus Art. 34 Abs. 2 AVIG noch aus Art. 8i Covid-19-Verord­nung Arbeit­slosen­ver­sicherung ableit­en. Wie die Ferien und Feiertage der Monat­slöh­n­er im Sum­mar­ver­fahren bei der Berech­nung der Kurzarbeit­sentschädi­gung zu berück­sichti­gen seien, habe die Vorin­stanz unter Hin­weis auf eine notwendi­ge ver­tiefte Analyse durch die Ver­wal­tung expliz­it offen­ge­lassen und nur denkbare Möglichkeit­en beispiel­haft aufgezeigt (E. 6.1 mit weit­eren Hinweisen).

Das Bun­des­gericht kam dem­nach zum Schluss, die von der Vorin­stanz ange­ord­nete Kor­rek­tur der Berech­nungsweise ver­let­ze kein Bun­desrecht und für die in Abwe­ichung zum Nor­malver­fahren voll­ständi­ge Nicht­berück­sich­ti­gung der Ferien und Feiertage bei Monat­slöh­n­ern im Sum­mar­ver­fahren beste­he keine hin­re­ichende Regelung auf Geset­zes- oder Verord­nungsstufe (E. 6.2).