Im Entscheid 4A_544/2021 vom 6. Januar 2022 bestätigte das Bundesgericht seine Rechtsprechung, wonach es sich bei der Verteilung der Gerichts- und Parteikosten um eine Frage des Verfahrensrechts und nicht des materiellen Rechts handelt. Entsprechend steht die Rüge, das Schiedsgericht habe die Kosten willkürlich verlegt, im Rahmen von Art. 393 lit. e ZPO nicht offen; einzig ein Verstoss gegen den verfahrensrechtlichen Ordre public kann eingewendet werden.
Die B. AG (Bestellerin) leitete ein Schiedsverfahren gegen die A. AG (Unternehmerin) ein. Sie beantragte einerseits, dass ein Dritter die Arbeiten ausführen solle, die sie der Unternehmerin anvertraut hatte, und andererseits Schadenersatz in Höhe von CHF 2’351’210.60. Die Unternehmerin beantragte die Abweisung der Klage und widerklageweise die Zahlung von CHF 153’429.98, was dem Restbetrag der von ihr geleisteten Arbeiten entsprach. Das Schiedsverfahren unterstand der SIA-Norm 150:2018 und der Schweizerischen Zivilprozessordnung. Der Einzelschiedsrichter verurteilte die Unternehmerin zur Bezahlung von CHF 165’206.- und die Bestellerin zur Bezahlung von CHF 153’429.90. Die Gerichtskosten, deren Höhe in Ziff. 7 des Dispositivs festgelegt wurde, wurden hälftig geteilt (Ziff. 8 des Dispositivs). Es wurden keine Parteikosten zugesprochen (Ziff. 10 des Dispositivs).
Gegen Ziff. 8 und 10 des Dispositivs erhob die Unternehmerin Beschwerde in Zivilsachen ans Bundesgericht. Die Beschwerdeführerin warf dem Einzelschiedsrichter vor, die Gerichtskosten hälftig geteilt zu haben, obwohl die Bestellerin lediglich 7% des beantragten Betrags erhalten habe. Dies stelle einen willkürlichen Verstoss gegen Art. 38 Abs. 2 der SIA-Norm 150:2018 dar, wonach die Verfahrenskosten ausgangsgemäss zu verteilen seien, wenn keine Partei vollständig obsiegt. Das Ergebnis, zu dem der Einzelschiedsrichter gelangt sei, sei zudem unvereinbar mit den in einem Rechtsstaat anerkannten Werten und verstosse gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Ähnlich argumentierte die Beschwerdeführerin in Bezug auf den Entscheid des Einzelschiedsrichters, ihr keine Parteientschädigung zuzusprechen.
Das Bundesgericht führte aus, dass die Art der Verteilung der Gerichtskosten durch das Schiedsgericht und die Frage, ob und in welcher Höhe Parteikosten zuzusprechen seien, grösstenteils der Beurteilung des Bundesgerichts entzogen seien. Denn die Verteilung der Gerichts- und Parteikosten sei kein Beschwerdegrund gemäss der abschliessenden Aufzählung in Art. 393 ZPO.
Art. 393 lit. e ZPO (wonach ein Schiedsspruch angefochten werden könne, wenn er im Ergebnis willkürlich sei, weil er auf offensichtlich aktenwidrigen tatsächlichen Feststellungen oder auf einer offensichtlichen Verletzung des Rechts oder der Billigkeit beruht) betreffe nur Verletzungen des materiellen Rechts. Da die Kostenverteilung eine Frage des Prozessrechts sei, könne sich die Beschwerdeführerin nicht auf Art. 393 lit. e ZPO berufen. Vielmehr sei in analoger Anwendung der Rechtsprechung betreffend Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG eine Beschwerde gegen Verfahrensfehler nur möglich, wenn diese gegen den verfahrensrechtlichen Ordre public verstiessen.
Das Bundesgericht ergänzte, dass Art. 393 lit. f. ZPO vorliegend nicht einschlägig sei, da er sich nur mit der Höhe der Entschädigungen und Auslagen der Mitglieder des Schiedsgerichts befasse und nicht mit deren Verteilung und den Parteikosten.
Weiter erklärte das Bundesgericht, dass auf die Beschwerde nicht einzutreten sei, soweit die willkürliche Anwendung der SIA-Norm 150:2018 auf die Kostenverteilung gerügt werde. Denn die Prüfung des Bundesgerichts im Rahmen von Art. 393 lit. e ZPO sei auf die Prüfung der willkürlichen Anwendung des materiellen Rechts beschränkt. Darüber hinaus habe die Beschwerdeführerin lediglich ausgeführt, dass der Kostenentscheid gegen den verfahrensrechtlichen Ordre public verstosse, weil er Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 29 Abs. 1 BV und das Recht auf ein faires Verfahren verletze. Indes qualifiziere nicht jede Verletzung der EMRK oder des Verfassungsrechts per se als Verletzung des Ordre publics. Vielmehr hätte die Beschwerdeführerin aufzeigen müssen, inwiefern diese Verletzungen eine Verletzung des verfahrensrechtlichen Ordre publics darstellen würden.
Zwar stimme es, dass der Einzelschiedsrichter die Hauptklage nur in geringem Umfang, die Widerklage hingegen vollumfänglich gutgeheissen habe. Jedoch habe der Einzelschiedsrichter bei der Kostenverteilung berücksichtigt, dass die Parteien je zu 50 % für die mangelhafte Vertragsausführung verantwortlich gewesen seien. Diesen Überlegungen in einem Bereich, in dem der Einzelschiedsrichter über grosses Ermessen verfüge, entgegne die Beschwerdeführerin lediglich mit einer arithmetischen Berechnung (Tragung von 50% der Kosten durch die Beschwerdeführerin, obwohl die Bestellerin nur 7 % des beantragten Betrags zugesprochen erhalten habe). Dadurch habe die Beschwerdeführerin jedoch nicht nachgewiesen, dass die Lösung des Einzelschiedsrichters gegen den verfahrensrechtlichen Ordre public verstosse.
Das Bundesgericht kam folglich zum Schluss, dass der Entscheid im Ergebnis nicht gegen den verfahrensrechtlichen Ordre public verstiess, und wies die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
Bericht verfasst von Francesca Borio / Michael Feit