Im Entscheid 4A_100/2022 vom 24. August 2022 behandelte das Bundesgericht ein Revisionsgesuch gegen einen Schiedsspruch vom Dezember 2014.
Das Bundesgericht erklärte einleitend, dass die neuen Bestimmungen über die Revision internationaler Schiedssprüche für Revisionsverfahren gelten würden, die nach dem 1. Januar 2021 beim Bundesgericht eingereicht werden, auch wenn der angefochtene Schiedsspruch vor diesem Datum erlassen wurde.
Die Gesuchstellerin (ermächtig nach Art. 260 SchKG zur Geltendmachung anstelle der Masse der konkursiten Schiedsbeklagten) begründete ihr Revisionsgesuch damit, sie habe Umstände entdeckt, die Anlass zu berechtigten Zweifeln an der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit des von der Schiedsbeklagten bezeichneten Schiedsrichters S.R. gäben.
Nach Art. 190a Abs. 1 lit. c IPRG kann eine Partei die Revision eines Schiedsentscheids verlangen, wenn ein Ablehnungsgrund gemäss Art. 180 Abs. 1 lit. c IPRG trotz gehöriger Aufmerksamkeit erst nach Abschluss des Schiedsverfahrens entdeckt wurde und kein anderes Rechtsmittel zur Verfügung steht. Das Bundesgericht führte aus, dass die Partei, die einen Schiedsrichter ablehnen will, den Ablehnungsgrund geltend machen muss, sobald sie davon Kenntnis hat. Diese aus dem Prinzip von Treu und Glauben fliessende Regel beziehe sich sowohl auf Ablehnungsgründe, die der Partei tatsächlich bekannt waren, als auch auf solche, von denen sie bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte Kenntnis erlangen können.
Gemäss Bundesgericht komme die Revision wegen angeblicher Befangenheit eines Schiedsrichters aus diesen Gründen nur in Bezug auf einen Ablehnungsgrund in Betracht, den die gesuchstellende Partei während des Schiedsverfahrens bei Anwendung der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt nicht entdecken konnte. Die Parteien seien dabei gehalten, Nachforschungen — insbesondere im Internet — anzustellen, um Elemente zu ermitteln, die ein mögliches Risiko der Abhängigkeit oder Parteilichkeit eines Schiedsrichters aufdecken können. Für die Festlegung des Umfangs der Nachforschungspflicht und für die Beurteilung, ob die betreffende Partei dieser Pflicht nachgekommen ist, bleiben die Umstände des konkreten Einzelfalls entscheidend.
Die Revision von Schiedsentscheiden nach Art. 190a Abs. 1 lit. c IPRG setze demnach nicht nur voraus, dass ein Ablehnungsgrund gemäss Art. 180 Abs. 1 lit. c IPRG erst nach Abschluss des Schiedsverfahrens entdeckt worden sei; die gesuchstellende Partei habe darüber hinaus aufzuzeigen, dass der Ablehnungsgrund trotz gehöriger Aufmerksamkeit nicht rechtzeitig entdeckt und bereits im Schiedsverfahren geltend gemacht werden konnte.
Die Gesuchstellerin brachte vor, in dem zu Beginn des Schiedsverfahrens vorliegenden Curriculum Vitae (CV) des von der Schiedsbeklagten bezeichneten Schiedsrichters S.R. habe sich kein Hinweis auf eine mögliche Verbindung zwischen diesem und der Gesuchsgegnerin, der damaligen Gegenpartei im Schiedsverfahren, gefunden. “Soweit ersichtlich” habe S.R. im Rahmen seiner Nominierung als Mitschiedsrichter auch keinen möglichen Interessenkonflikt mit Bezug auf die Gesuchsgegnerin offengelegt. Nunmehr bestünden jedoch “klare Hinweise” darauf, dass es zur damaligen Zeit eine enge Beziehung zwischen S.R. und der Gesuchsgegnerin gegeben habe. So führe dieser in seinem aktuellen CV unter anderem einen Fall vor dem High Court of England and Wales auf, in dem er die Gesuchsgegnerin vertreten habe, wobei dieses Verfahren vom August 2013 bis Februar 2015 gedauert habe. Der aktuelle Eintrag in seinem CV gebe Anlass zur Annahme, dass dieser zumindest in beratender Funktion direkt in diesem Verfahren involviert gewesen sei. Aus dem entsprechenden Urteil des High Court ergebe sich zudem, dass zwischen den Parteien dieses Gerichtsverfahrens im November 2013 auch ein Schiedsverfahren des London Court of International Arbitration (LCIA) anhängig gemacht worden sei. Aufgrund der Angaben von S.R. in seinem CV unter der Kategorie “International Arbitration” bzw. “Current and recent examples of his work als Counsel” sei — obwohl keine Parteien genannt werden — davon auszugehen, dass er die Gesuchsgegnerin auch im betreffenden LCIA Schiedsverfahren vertreten habe. Ausserdem ergebe sich aus online verfügbaren Datenbanken, dass zwischen S.R. bzw. dessen Chamber und den Rechtsvertretern (Solicitors) der Gesuchsgegnerin im vorliegend strittigen Schiedsverfahren in der Schweiz, enge Verbindungen bestanden hätten.
Das Bundesgericht bemerkte, dass aufgrund der Ausführungen im Revisionsgesuch nicht einleuchten würde, inwiefern die behaupteten Verbindungen zwischen dem von der Schiedsbeklagten bezeichneten Schiedsrichter bzw. dessen Chamber und den Rechtsvertretern (Solicitors) der Gesuchsgegnerin bei gehöriger Aufmerksamkeit nicht bereits im Schiedsverfahren hätten geltend gemacht werden können. Die Gesuchstellerin bringe selber vor, dass sich die nunmehr vorgebrachten Informationen aus allgemein verfügbaren Datenbanken über englische Gerichtsentscheide ergeben. Entsprechende Nachforschungen über bisherige Vertretungsverhältnisse hätten demnach bereits im Rahmen des Schiedsverfahrens nahegelegen. Es gehe nicht an, diese Gründe erst nach Jahren im Rahmen eines Revisionsverfahrens vorzubringen.
Zudem führe die Gesuchstellerin selber aus, der von der damaligen Schiedsbeklagten bezeichnete Schiedsrichter habe deren Rechtsvertreter mit E‑Mail vom November 2013 angefragt, ob er die Schiedsklägerin in einer anderen Sache (ohne Bezug zum Schiedsverfahren) vertreten dürfe. Der Rechtsvertreter habe diesem mitgeteilt, die Schiedsbeklagte sei “nicht glücklich” darüber, dass S.R. Instruktionen der Schiedsklägerin entgegennehmen solle, während er gleichzeitig Mitschiedsrichter im fraglichen Schiedsverfahren bleibe. Daraufhin habe der Rechtsvertreter der Schiedsbeklagten am gleichen Tag eine E‑Mail betreffend die Swiss Rules und die Möglichkeit der Ablehnung des Schiedsrichters verfasst. Es sei der Schiedsbeklagten demnach klar gewesen, dass ein Interessenkonflikt vorlag bzw. entstehen könnte. Sie sei daher gehalten gewesen, das Verhalten des von ihr bezeichneten Schiedsrichters und dessen Verhältnis zu den Verfahrensparteien genauer abzuklären und gegebenenfalls im Schiedsverfahren ein Ablehnungsgesuch zu stellen. Entsprechend fehle es an einer Voraussetzung für eine Revision nach Art. 190a Abs. 1 lit. c IPRG.