Im Urteil 6B_1108/2021 vom 27. April 2023 definierte das Bundesgericht die Kriterien für einen leichten Fall des unrechtmässigen Bezugs von Sozialleistungen oder Sozialhilfe gemäss Art. 148a StGB. Aus einem leichten Fall folgt bei der Begehung einer solchen Straftat durch einen Ausländer insbesondere keine Landesverweisung (vgl. Art. 66a Abs. 1 lit. e StGB).
Gemäss Art. 148a Abs. 1 StGB wird, wer jemanden durch unwahre oder unvollständige Angaben, durch Verschweigen von Tatsachen oder in anderer Weise irreführt oder in einem Irrtum bestärkt, sodass er oder ein anderer Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe bezieht, die ihm oder dem andern nicht zustehen, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft. Nach Abs. 2 ist die Strafe in leichten Fällen eine Busse. Diesfalls stellt der Tatbestand somit nur eine Übertretung dar (E. 1.3).
Das Gesetz selber regelt nicht, wann es sich nur um einen leichten Fall (Art. 148a Abs. 2 StGB) handelt (E. 1.4). Im Interesse der Rechtssicherheit ist es grundsätzlich sinnvoll, gewisse zahlenmässige Grenzen festzulegen. Gleichzeitig gilt es, den Vorgaben der Botschaft des Bundesrates gerecht zu werden und weitere verschuldensrelevante Umstände in die Beurteilung miteinzubeziehen. Unter Berücksichtigung der Botschaft und von Lehrmeinungen legte das Bundesgericht neu einen Deliktsbetrag von 3’000 Franken fest, bei dessen Unterschreitung immer von einem leichten Fall auszugehen ist (E. 1.5.5). Liegt der Deliktsbetrag über 36’000 Franken, handelt es sich in der Regel nicht mehr um einen leichten Fall (E. 1.5.6), ausser es liegen im Sinne einer Ausnahme ausserordentliche, besonders gewichtige Umstände vor, die eine massive Verminderung des Verschuldens bewirken (E. 1.5.9). Im Zwischenbereich ist eine vertiefte Prüfung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (E. 1.5.7).
Bei einem arglistigen Vorgehen der Täterschaft muss sodann unabhängig vom Deliktsbetrag geprüft werden, ob der Tatbestand des Betrugs (Art. 146 StGB) erfüllt ist und unter Umständen eine Landesverweisung auszusprechen ist. Art. 148a StGB wird im Bereich des unrechtmässigen Bezugs von Sozialleistungen anwendbar, wenn das Betrugsmerkmal der Arglist nicht gegeben ist (E. 1.5.8).
Im vorliegenden Fall hatte sich ein ausländischer Sozialhilfeempfänger 18’400 Franken Freizügigkeitsguthaben durch einmaligen Bezug auszahlen lassen, ohne dies den Sozialen Diensten zu melden. Der Beschuldigte hatte damit rechnen müssen, dass die Auszahlung geprüft und entdeckt werden würde. Auf dessen Aufforderung hin hatte er später Belege zur Auszahlung der Freizügigkeitsleistung freiwillig vorgelegt. Nach Ansicht des Bundesgerichts war die aufgewendete kriminelle Energie damit insgesamt als verhältnismässig gering einzustufen. Im Ergebnis war deshalb von einem leichter Fall auszugehen. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde des Betroffenen gut und kam zum Schluss, dass aufgrund des leichten Falls auch keine Landesverweisung in Betracht kommt (E. 1.6).