BGer 5A_89/2024 vom 16. Dezember 2024 (zur Publikation vorgesehen)

Das Bun­des­gericht hat einen wichti­gen Grund­satzentscheid betr­e­f­fend die Behand­lung aus­ländis­ch­er Trusts im Schweiz­er Erbrecht gefällt. Das zu beurteilende liecht­en­steinis­che Treu­un­ternehmen qual­i­fizierte vor­liegend auf­grund sein­er Rechtsper­sön­lichkeit zwar nicht als Trust i.S. des Haager Trust-Übereinkom­mens (HTÜ), wies aber ver­schiedene Par­al­le­len mit Trusts auf. Entsprechend wandte das BGer die für Trusts entwick­el­ten Grund­sätze ana­log an, weshalb die Fest­stel­lun­gen für die Schweiz­er Trust-Recht­sprechung weg­weisend sind:

  1. Das Trustver­mö­gen eines irrev­o­ca­ble dis­cre­tionary trusts fällt nicht in den Nach­lass. Die zivil­rechtliche Recht­slage kann dies­bezüglich von der steuer­rechtlichen Beurteilung abwe­ichen (E. 5.)

  2. Die Ein­räu­mung der Begün­stigten­stel­lung eines irrev­o­ca­ble dis­cre­tionary trusts qual­i­fiziert als Zuwen­dung unter Leben­den (E. 6), ist aber man­gels eines durch­set­zbaren Recht­sanspruchs der Begün­stigten nicht aus­gle­ichungspflichtig (E. 7.)

  3. Ver­mö­gen­süber­tra­gun­gen an einen Trust unter­ste­hen grund­sät­zlich der Her­ab­set­zung hebelt die Anerken­nung von aus­ländis­chen Trusts das Schweiz­er Pflicht­teil­srecht nicht aus (E. 8.)

Sachver­halt und Prozessgeschichte:

Der mit let­ztem Wohn­sitz in der Schweiz ver­stor­bene Erblass­er G.A. hin­ter­liess als geset­zliche Erben drei Kinder (A.A., B.A., C.A.) sowie drei Enkel (D.D., E.D., F.D.; Kinder sein­er vorver­stor­be­nen Tochter). Die Erben kon­nten sich anlässlich ein­er Schlich­tungsver­hand­lung über die Teilung der Erb­schaft eini­gen. Gestützt auf das vom Erb­schaft­samt erstellte Inven­tar schlossen sie einen Ver­gle­ich, wonach D.D., E.D. und F.D. ihre Erban­teile gegen eine Entschädi­gung von CHF 1.8 Mio. an A.A., B.A. und C.A. abtraten.

Nachträglich stellte sich her­aus, dass der Erblass­er bis zu seinem Ableben einziger Begün­stigter eines liecht­en­steinis­chen Treu­un­ternehmens war. Gemäss den Beis­tatuten waren B.A. und C.A. nach dessen Tod am Kap­i­tal und Ertrag des Treu­un­ternehmens begün­stigt. Das Erb­schaft­samt erfasste die Ver­mö­genswerte des Treu­un­ternehmens in einem Nach­trag zum Inven­tar (net­to: rund CHF 1.33 Mio.). Im Anschluss erhoben die solothur­nischen Behör­den eine sog. Nach­lasstaxe (auf dem Nach­lass, § 217 Abs. 1 StG-SO) sowie eine «Nach­s­teuer des Ver­stor­be­nen» (vgl. Art. 153a DBG).

Die drei Enkel klagten auf Nachteilung dieser Ver­mö­genswerte sowie even­tu­aliter auf Aus­gle­ichung der Zuwen­dun­gen an das Treu­un­ternehmen. Die erste Instanz wies die Klage ab, während die Rechtsmit­telin­stanz (Oberg­ericht des Kan­tons Solothurn) die Beru­fung teil­weise guthiess. Es stellte fest, dass die Ver­mö­genswerte des Treu­un­ternehmens zum Nach­lass gehörten und bejahte even­tu­aliter die Aus­gle­ichungspflicht der Zuwen­dun­gen an das Treu­un­ternehmen. Das Bun­des­gericht hiess die von A.A., B.A. und C.A. erhobene Beschw­erde vol­lum­fänglich gut und hob den Entscheid der Vorin­stanz auf.


Erwä­gun­gen:

Anwen­dung der für Trusts entwick­el­ten Grund­sätze (E. 4.)

Auf­grund des let­zten Wohn­sitzes des Erblassers in der Schweiz war vor­liegend unbe­strit­ten­er­massen Schweiz­er Recht auf den Nach­lass anwend­bar. In Bezug auf das Treu­un­ternehmen wandte das BGer die für Trusts entwick­el­ten Grund­sätze an, obwohl das vor­liegende Treu­un­ternehmen nicht als Trust i.S. des HTÜ qual­i­fizierte. Entsprechend sind die Erwä­gun­gen somit auch für Trusts i.S. des HTÜ wegweisend.

Das vor­liegende Treu­un­ternehmen wies zwar Charak­ter­is­ti­ka eines Trusts auf, hat­te gemäss Aus­gestal­tung der Treusatzun­gen allerd­ings eine eigene Rechtsper­sön­lichkeit und war ver­mö­gens­fähig (vgl. liecht­en­steinis­ches Per­so­n­en- und Gesellschaft­srecht (PGR) vom 20. Jan­u­ar 1926, Art. 932a ff.). Demge­genüber hat ein Trust keine Rechtsper­sön­lichkeit bzw. lautet das Trustver­mö­gen auf den Namen des Trustees (Art. 2 Abs. 2 lit. b HTÜ). Die Anerken­nung des liecht­en­steinis­chen Treu­un­ternehmens erfol­gte daher über Art. 154 IPRG, da es offen­bar nach liecht­en­steinis­chen Pub­liz­itäts- und Reg­istrierungsvorschriften for­mgültig errichtet wurde.


Das Ver­mö­gen eines irrev­o­ca­ble dis­cre­tionary trusts fällt nicht in den Nach­lass (E. 5.)

Die Vorin­stanz hat­te das Treu­un­ternehmen (zu Unrecht) sin­ngemäss als revo­ca­ble trust qual­i­fiziert, weil der Erblass­er zu seinen Lebzeit­en einziger Begün­stigter des Trusts geblieben sei und sich somit nicht endgültig sämtlich­er Rechte in Bezug auf das Treu­un­ternehmen und Treuver­mö­gen entäussert habe (E. 5.1.).

Das BGer qual­i­fizierte das Treu­un­ternehmen demge­genüber sin­ngemäss als irrev­o­ca­ble dis­cre­tionary trust. Es erwog, dass der Erblass­er das Treu­un­ternehmen und das Treuver­mö­gen zu Lebzeit­en gegrün­det bzw. geäufnet hat­te. Gemäss den Treusatzun­gen habe der Erblass­er unwider­ru­flich und vor­be­halt­los auf jegliche Rechte am Treu­un­ternehmen und am Treuver­mö­gen verzichtet. Damit seien die betr­e­f­fend­en Ver­mö­genswerte bere­its zu Lebzeit­en aus dem Ver­mö­gen des Erblassers aus­geschieden und fie­len nicht in seinen Nach­lass (E. 5.4.2.). Ausser­dem räumten die Treusatzun­gen dem Treuhän­der­rat betr­e­f­fend die Art, den Umfang und die Zahlungsmodal­itäten der Begün­s­ti­gun­gen freies Ermessen ein. Ins­beson­dere ver­boten sie dem Erblass­er und den Begün­stigten die Ein­sitz­nahme im Treuhän­der­rat, was soweit ersichtlich stets respek­tiert wurde.  (E. 5.4.3.2).

Vor diesem Hin­ter­grund fand das BGer auch keine Hin­weise darauf, dass ein unwirk­samer sog. sham trust vor­lag, bei welchem sich der Erblass­er de fac­to die Ver­fü­gungs­macht vor­be­hält (E. 5.4.3.1.). Auch die Voraus­set­zun­gen eines Durch­griffs waren vor­liegend nicht erfüllt (Abhängigkeit der juris­tis­chen Per­son von der beherrschen­den Per­son bzw. Iden­tität der Inter­essen; rechtsmiss­bräuch­liche Beru­fung auf die rechtliche Selb­ständigkeit der juris­tis­chen Person).

Selb­st der Umstand, dass die solothur­nischen Behör­den das Treuver­mö­gen mit­tels ein­er «Nachbesteuerung des Ver­stor­be­nen» besteuerten, änderte nichts daran, dass die betr­e­f­fend­en Ver­mö­genswerte nicht in den Nach­lass fie­len. Gemäss den Fest­stel­lun­gen des Bun­des­gerichts könne die zivil­rechtliche Recht­slage dur­chaus von der steuer­rechtlichen Beurteilung abwe­ichen (E. 5.4.3.2.). Damit ver­warf es das Argu­ment der Enkel, wonach eine Nachbesteuerung des Erblassers voraus­set­ze, dass ihm die besteuerten Ver­mö­genswerte im Todeszeit­punkt zuzurech­nen gewe­sen und somit in den Nach­lass gefall­en seien (vgl. Art. 560 ZGB).


Die Ein­räu­mung der Begün­stigten­stel­lung eines irrev­o­ca­ble dis­cre­tionary trusts ist ein Rechts­geschäft unter Leben­den, unter­ste­ht aber nicht der Aus­gle­ichungspflicht (E. 6., 7.)

Die Vorin­stanz hat­te (zu Unrecht) erwogen, dass die Ein­räu­mung der Begün­stigten­stel­lung von B.A. und C.A. als Ver­fü­gung von Todes wegen zu qual­i­fizieren sei, welche die Schweiz­er For­mvorschriften ver­let­ze (E. 6.1.). Das BGer qual­i­fizierte die Ein­räu­mung der Begün­stigten­stel­lung demge­genüber als Rechts­geschäft unter Leben­den:

Mass­gebend für die Unter­schei­dung ist bekan­ntlich der Zeit­punkt, in welchem das Rechts­geschäft seine Wirkun­gen ent­fal­ten soll (Belas­tung des Ver­mö­gens = Rechts­geschäft unter Leben­den; Belas­tung des Nach­lass­es = Ver­fü­gung von Todes wegen). Das BGer ver­glich die vor­liegende Kon­stel­la­tion mit ein­er Todes­fal­lver­sicherung, die nach sein­er Recht­sprechung als Rechts­geschäft unter Leben­den zu qual­i­fizieren ist. Ähn­lich wie beim Abschluss ein­er Todes­fal­lver­sicherung habe der Erblass­er zu Lebzeit­en ein Treu­un­ternehmen errichtet, das Treuver­mö­gen aus seinem Ver­mö­gen finanziert und für den Todes­fall (Zweit-)Begünstigte beze­ich­net (E. 6.4.2., 6.4.3.).

Die Ein­räu­mung der Begün­stigten­stel­lung unter­liegt gemäss Fest­stel­lun­gen des BGers nicht der Aus­gle­ichungspflicht (Art. 626 ZGB; E. 7.).

Das BGer ver­warf die Argu­men­ta­tion der Beschw­erde­führer, welche sich auf die Rechts­fig­ur des sog. «aus­gle­ichungsrechtlichen Durch­griffs» stützten (siehe BGE 149 III 145, vgl. Kom­men­tierung auf swiss­blawg). Sie hat­ten vorge­bracht, dass die Ver­mö­gen­süber­tra­gung an das Treu­un­ternehmen in Verbindung mit der Ein­räu­mung der Begün­stigten­stel­lung ver­gle­ich­bar sei mit den in BGE 149 III 145 als aus­gle­ichungspflichtig qual­i­fizierten Zuwen­dun­gen ein­er vom Erblass­er beherrscht­en Aktienge­sellschaft an dessen Nachkommen.

Das BGer stellte fest, dass das Treuver­mö­gen angesichts der (sin­ngemässen) Qual­i­fika­tion des Treu­un­ternehmens als irrev­o­ca­ble dis­crec­tionary trust nicht unmit­tel­bar den Begün­stigten angerech­net wer­den könne. Die blosse Ein­räu­mung der Begün­stigten­stel­lung stelle keine aus­gle­ichungspflichtige Zuwen­dung i.S.v. Art. 626 ZGB dar. Es erwog, dass den Begün­stigten vor­liegend kein durch­set­zbar­er Recht­sanspruch auf Zuwen­dun­gen aus dem Treuver­mö­gen zuste­he, da Art, Umfang und Zahlungsmodal­itäten der Begün­s­ti­gun­gen im freien Ermessen des Treuhän­der­rats standen. Ins­beson­dere kon­nte der Treuhän­der­rat die Beis­tatuten – und damit sog­ar die Begün­stigtenord­nung – jed­erzeit abän­dern oder aufheben. Entsprechend habe der Tod des Erblassers keinen Ein­fluss auf die Rechtsstel­lung der Begün­stigten gezeit­igt. An dieser Fest­stel­lung ändere auch der Umstand nichts, dass nach der all­ge­meinen Lebenser­fahrung davon auszuge­hen sei, dass der Treuhän­der­rat im Sinne des orig­inären Wil­lens des Treuge­bers han­deln werde (E. 7.4.4.; d.h. konkret Auschüt­tun­gen an die Zweit­begün­stigten vornehmen wird).

Grund­sät­zlich seien Zuwen­dun­gen aus einem Trust aus­gle­ichungspflichtig, soweit Nachkom­men diese bere­its zu Lebzeit­en erhal­ten haben. Das­selbe müsse gel­ten, wo die Begün­stigten eines Trusts einen durch­set­zbaren Recht­sanspruch auf Auss­chüt­tung von Kap­i­tal und / oder Ertrag zuste­ht, wie dies z.B. bei beinem fixed inter­est trust grund­sät­zlich der Fall sei (E. 7.4.4.).

Man­gels eines entsprechen­den Tat­sachen­fun­da­ments liess das BGer offen, wie es sich vor­liegend ver­hal­ten hätte, wenn der Treuhän­der­rat bere­its zu Lebzeit­en regelmäs­sige Zuwen­dun­gen an den Erblass­er getätigt und diese «Prax­is» nach dessen Tod zugun­sten der zweit­begün­stigten Nachkom­men fort­ge­führt hätte (E. 7.5.4.). Rel­e­vant wäre im Lichte vorste­hen­der Erwä­gun­gen wohl primär, ob eine solche «Prax­is» einen durch­set­zbaren Recht­sanspruch der Begün­stigten entste­hen liess.


Grund­sät­zlich unter­liegen Ver­mö­gen­süber­tra­gun­gen an einen Trust der Her­ab­set­zung (E. 8.)

Da die Beschw­erdegeg­n­er (DD., E.D., F.D.) vor­liegend keine Her­ab­set­zungsansprüche gel­tend macht­en, set­zte sich das BGer damit nicht im Detail auseinan­der. Es stellte immer­hin fest, dass gemäss der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung «auss­er Frage» ste­he, dass Ver­mö­gen­süber­tra­gun­gen an Treu­un­ternehmen oder an einen Trustee (bei einem Trust i.S. des HTÜ) im Grund­satz der Her­ab­set­zung unter­liegen und der Schweiz­er Pflicht­teilss­chutz durch die Anerken­nung von Trusts i.S. des HTÜ nicht aus­ge­he­belt werde (vgl. Art. 15, 16, 18 HTÜ).