In diesem zur Publikation vorgesehenen Urteil 4A_482/2024 vom 12. August 2025 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob in einem arbeitsrechtlichen (vereinfachten) Zivilverfahren bis CHF 30’000 die soziale Untersuchungsmaxime (“maxime inquisitoire sociale”; Art. 247 Abs. 2 ZPO) auch dann gilt, wenn der klagende Arbeitnehmer von einer berufsmässigen Vertretung nach Art. 68 Abs. 2 lit. d ZPO vertreten wird.
Zum Verständnis: Die Untersuchungsmaxime verpflichtet das Gericht, den Sachverhalt zu ermitteln und Beweise zu erheben (Art. 55 Abs. 2 ZPO). Demgegenüber gilt bei der Verhandlungsmaxime, dass die Parteien die relevanten Tatsachen darlegen und die entsprechenden Beweismittel bezeichnen müssen (Art. 55 Abs. 1 ZPO).
Sachverhalt
Ein Arbeitnehmer (Beschwerdeführer) klagte nach seiner Kündigung gegen seine Arbeitgeberin auf rund CHF 8’000 für nicht vergütete Reisezeiten und Spesen. Vertreten war er durch eine gewerkschaftliche Sekretärin ohne juristische Ausbildung. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, da der Kläger seine Ansprüche nicht genügend substanziiert habe, und behandelte ihn prozessual wie bei anwaltlicher Vertretung, wodurch die soziale Untersuchungsmaxime eingeschränkt angewendet wurde. Das Kantonsgericht Freiburg hob den ersten Entscheid zwar auf und verlangte eine vollständige Sachverhaltsabklärung von Amtes wegen, bestätigte später jedoch die erneute Abweisung. Der Kläger gelangte daraufhin ans Bundesgericht.
Wesentliche Erwägungen
Das Bundesgericht erinnerte daran (siehe BGer 4A_145/2021), dass Gewerkschaftssekretäre als beruflich qualifizierte Vertreter gelten und damit denselben Anforderungen unterliegen wie Rechtsanwälte (E. 3.2). Entsprechend werden auch Gewerkschaften, Mieter- und Arbeitgeberverbände als beruflich qualifizierte Vertreter anerkannt (E. 3.4.4.2).
Gestützt darauf kam das Bundesgericht zum Schluss, dass die Auslegung von Art. 247 Abs. 2 ZPO (soziale Untersuchungsmaxime) in Verbindung mit Art. 68 Abs. 2 lit. d ZPO (berufsmässige Vertretung) ergibt, dass in Zivilverfahren, die der sozialen Untersuchungsmaxime unterstehen bei Vertretung durch einen beruflich qualifizierten Vertreter Zurückhaltung bei der Sachverhaltsermittlung geboten ist, und zwar in gleicher Weise wie im ordentlichen Zivilverfahren (E. 3.5).
Sodann hielt das Bundesgericht fest, dass die Vorinstanz (Kantonsgericht Freiburg) in ihrer Beurteilung kein Bundesrecht verletzt habe, wenn sie davon ausging, dass die erste Instanz Art. 247 Abs. 2 ZPO korrekt angewendet hatte. Der Beschwerdeführer habe seine Klage mit erheblichen Sachverhaltsmängeln eingereicht, diese nicht ergänzt und sei durch eine beruflich qualifizierte Vertreterin unterstützt worden. Unter diesen Umständen war das Gericht nicht verpflichtet, ihn von Amtes wegen zur Ergänzung aufzufordern, sodass die Vorinstanz die soziale Untersuchungsmaxime zu Recht nur zurückhaltend angewendet habe (E. 3.7).
Weiterführende Links:
Beitrag meiner Kollegin Patricia Meier (BGer 4A_145/2021)