4A_432/2015: Sozialer Untersuchungsgrundsatz; Parteien müssen Beweisantrag für ein Gutachten stellen

In ein­er gerichtlichen Auseinan­der­set­zung betr­e­f­fend Forderun­gen aus ein­er Kranken­taggeld­ver­sicherung nach VVG (Zusatzver­sicherung zur sozialen Kranken­ver­sicherung) äusserte sich das Bun­des­gericht zum sozialen Unter­suchungs­grund­satz nach Art. 247 Abs. 2 ZPO (Urteil 4A_432/2015 vom 8. Feb­ru­ar 2016).

Die Beschw­erde­führerin (Ver­sicherung) rügte vor Bun­des­gericht eine Ver­let­zung der Unter­suchungs­maxime (Art. 243 ZPO), des rechtlichen Gehörs (Art. 29 BV) und ihres Rechts auf Gegen­be­weis (Art. 8 ZGB) und daraus fol­gend eine willkür­liche Würdi­gung der objek­tiv beste­hen­den Arbeit­sun­fähigkeit. Der Ver­sicher­er müsse nicht akzep­tieren, dass auf Arbeit­sun­fähigkeit­szeug­nisse behan­del­nder Ärzte abgestellt werde, die ohne Mitwirkung der Ver­sicherung einge­holt wor­den seien. Die Ver­sicherung habe Anspruch darauf, dass die attestierte Arbeit­sun­fähigkeit durch ein gerichtlich­es Gutacht­en abgek­lärt werde (zum Ganzen E. 4 und 4.1). Ohne entsprechen­den Beweisantrag, lehnte das Bun­des­gericht jedoch einen solchen Anspruch ab.

Das Bun­des­gericht erwog Fol­gen­des (E. 4.2):

“Die Beschw­erde­führerin legt nicht dar, dass sie vorin­stan­zlich ein solch­es Gutacht­en beantragt hat. Zutr­e­f­fend ist, dass gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. f ZPO der soziale Unter­suchungs­grund­satz (Art. 247 Abs. 2 ZPO) gilt. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass die Vorin­stanz von sich aus ein Gutacht­en hätte anord­nen müssen. Bei der sozialpoli­tisch begrün­de­ten Unter­suchungs­maxime geht es darum, die wirtschaftlich schwächere Partei zu schützen, die Gle­ich­heit zwis­chen den Parteien herzustellen sowie das Ver­fahren zu beschle­u­ni­gen. Die Parteien sind jedoch nicht davon befre­it, bei der Fest­stel­lung des entschei­d­wesentlichen Sachver­halts aktiv mitzuwirken und die allen­falls zu erheben­den Beweise zu beze­ich­nen. Sie tra­gen auch im Bere­ich der Unter­suchungs­maxime die Ver­ant­wor­tung für die Sachver­halt­ser­mit­tlung. Das Gericht hat lediglich seine Fragepflicht auszuüben, die Parteien auf ihre Mitwirkungspflicht sowie das Beib­rin­gen von Beweisen hinzuweisen. Zudem hat es sich über die Voll­ständigkeit der Behaup­tun­gen und Beweise zu ver­sich­ern, wenn dies­bezüglich ern­sthafte Zweifel beste­hen (vgl. zum Ganzen Urteil des Bun­des­gerichts 4A_360/2015 vom 12. Novem­ber 2015 E. 4.2 mit Hin­weisen). Diese Grund­sätze hat die Vorin­stanz nicht ver­let­zt, wenn sie gegenüber der anwaltlich vertrete­nen Beschw­erde­führerin nicht von sich aus ein Gutacht­en einholte. […]”