SSG 2024/E/15: Keine Zuständigkeit des Schweizer Sportgerichts für Ethikverstösse vor dem 1. Januar 2022

Im Entscheid SSG 2024/E/15 set­zte sich das Schweiz­er Sport­gericht erst­mals mit der Frage auseinan­der, ob es zur Beurteilung von Ethikver­stössen zuständig ist, die sich vor dem Inkraft­treten des Ethik-Statuts von Swiss Olympic am 1. Jan­u­ar 2022 ereignet haben.

In diesem Zusam­men­hang befasste sich das Gericht ver­tieft mit der Ausle­gung der Über­gangs­bes­tim­mungen gemäss Art. 8.2 des Ethik-Statuts vom 1. Jan­u­ar 2022 und nahm dies zum Anlass, festzuhal­ten, dass Statuten und Regle­mente gross­er Sportor­gan­i­sa­tio­nen wie Geset­ze auszule­gen seien (Rz. 112).

Das Schweiz­er Sport­gericht leit­ete aus Art. 8.2 Abs. 1 des Ethik-Statuts vom 1. Jan­u­ar 2022 ab, dass Unter­suchungsver­fahren wegen poten­zieller Ethikver­stösse, die vor dem 1. Jan­u­ar 2022 durch einen Mit­gliedsver­band ein­geleit­et und bis dahin nicht abgeschlossen wor­den seien, von der ursprünglich befassten Instanz zu Ende zu führen und mit einem Schluss­bericht abzuschliessen seien. Die rechtliche Beurteilung der daraus resul­tieren­den Unter­suchungsergeb­nisse falle ab dem 1. Jan­u­ar 2022 in die Zuständigkeit der Diszi­pli­narkam­mer (DK) bzw. des Schweiz­er Sport­gerichts. Sei hinge­gen bere­its vor dem 1. Jan­u­ar 2022 ein Ver­fahren vor ein­er recht­sprechen­den Instanz eröffnet wor­den, verbleibe die Zuständigkeit gemäss Art. 8.2 Abs. 2 des Ethik-Statuts vom 1. Jan­u­ar 2022 bei dieser Instanz bis zum Erlass eines Endentschei­ds (Rz. 114).

Im Hin­blick auf Art. 8.2 Abs. 3 des Ethik-Statuts vom 1. Jan­u­ar 2022, wonach zur rechtlichen Beurteilung von Unter­suchungsergeb­nis­sen, bei denen noch kein Ver­fahren vor ein­er recht­sprechen­den Instanz eröffnet wor­den ist, ab dem 1. Jan­u­ar 2022 die DK bzw. das Schweiz­er Sport­gericht zuständig sei, stellte das Schweiz­er Sport­gericht fest, dass je nach Ausle­gung dieser Norm unter­schiedliche Ergeb­nisse resul­tieren. Eine sys­tem­a­tis­che Ausle­gung von Art. 8.2 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 des Ethik-Statuts vom 1. Jan­u­ar 2022 spreche gegen eine Zuständigkeit des Sport­gerichts für Vor­fälle vor dem 1. Jan­u­ar 2022, während eine sys­tem­a­tis­che Ausle­gung von Art. 8.2 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 des Ethik-Statuts vom 1. Jan­u­ar 2022 zu ein­er Zuständigkeit des Schweiz­er Sport­gerichts führen könne (Rz. 114).

Zu Art. 8.2 Abs. 4 des Ethik-Statuts vom 1. Jan­u­ar 2022 hielt das Schweiz­er Sport­gericht fest, dass diese Norm lediglich das anwend­bare materielle Recht für Ethikver­stösse vor dem 1. Jan­u­ar 2022 regle, wonach die Ethikre­gle­mente der jew­eili­gen Mit­gliedsver­bände anzuwen­den seien (Rz. 114).

Abschliessend prüfte das Schweiz­er Sport­gericht, ob Art. 8.2 des Ethik-Statuts vom 1. Jan­u­ar 2022 mit den für das Schweiz­er Sport­gericht verbindlichen Vor­gaben der SpoFöV übere­in­stimme und kam zum Schluss, dass Art. 72g Abs. 1 lit. a Ziff. 2 SpoFöV als höher­rangige und später in Kraft getretene Norm auss­chliesse, dass das Schweiz­er Sport­gericht bei Vor­fällen vor dem 1. Jan­u­ar 2022 das Ethikre­gle­ment eines Mit­gliedsver­bands anwende, wie dies in Art. 8.2 Abs. 4 des Ethik-Statuts vom 1. Jan­u­ar 2022 vorge­se­hen sei. Stattdessen könne es lediglich das Ethik-Statut von Swiss Olympic anwen­den (Rz. 116 f.)

Damit kam das Schweiz­er Sport­gericht zum Schluss, dass selb­st wenn eine Ausle­gung von Art. 8.2 des Ethik-Statuts vom 1. Jan­u­ar 2022 zum Ergeb­nis führen würde, dass das Schweiz­er Sport­gericht für Fälle zuständig sei, die sich vor dem 1. Jan­u­ar 2022 ereignet haben und bei denen zum Zeit­punkt des Inkraft­tretens noch kein Ver­fahren vor ein­er recht­sprechen­den Instanz hängig gewe­sen sei, diese Bes­tim­mung spätestens durch Art. 72g Abs. 1 lit. a Ziff. 2 SpoFöV ungültig gewor­den sei (Rz. 119).