Im Entscheid SSG 2024/DO/17 setzte sich das Schweizer Sportgericht mit der Frage der Anwendbarkeit des Verbots der Doppelbestrafung (“ne bis in idem”) im Verhältnis zwischen Straf- und Verbandsrecht auseinander.
Die wegen Verstosses gegen das Doping-Statut angeschuldigte Person machte vor dem Schweizer Sportgericht geltend, dass der Untersuchungsbericht von Swiss Sport Integrity (SSI) Vorwürfe enthalte, die bereits Gegenstand des abgeschlossenen Strafverfahrens im Kanton Bern waren. Sie beantragte daher, dass die strafrechtliche Verurteilung unter dem Grundsatz des Doppelbestrafungsverbots im Disziplinarverfahren zu berücksichtigen sei (Rz. 136).
Diesbezüglich hielt das Schweizer Sportgericht fest, dass es die in der Lehre vertretene Ansicht teile, wonach der Grundsatz “ne bis in idem” grundsätzlich nur innerhalb desselben Regelungssystems, also etwa innerhalb des Strafrechts oder des Verbandsrechts, zur Anwendung komme (Rz. 203 ff.).
Das Schweizer Sportgericht anerkennt zwar den Strafcharakter gewisser disziplinarrechtlicher Sanktionen, wobei insbesondere eine Sperre für Berufssportler*innen die Wirkung eines faktischen Berufsverbots habe. Entsprechend folgerte das Schweizer Sportgericht, dass bei Durchführung eines Straf- und eines Disziplinarverfahrens wegen derselben Sache bei der Strafzumessung grundsätzlich darauf zu achten sei, dass die kumulierte Strafe verhältnismässig bleibe. Eine Anrechnung der verbandsrechtlichen Sanktion im Rahmen der strafrechtlichen Strafzumessung setze jedoch voraus, dass das Disziplinarverfahren der strafrechtlichen Beurteilung zeitlich vorausgehe. Erfolge das Disziplinarverfahren hingegen erst nach dem strafrechtlichen Urteil, könne die strafrechtliche Sanktion aufgrund der Vereinsautonomie nicht angerechnet werden (Rz. 204).
Schliesslich verwies das Schweizer Sportgericht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGer 4A_386/2010 vom 3. Januar 2010, E. 9.3.2; siehe dazu auch BGer 4A_324/2014 vom 16. Oktober 2014, E. 6.2.3), wonach die Anwendung des Verbots der Doppelbestrafung unter anderem eine Identität der geschützten Rechtsgüter voraussetze und damit nicht ausgeschlossen sei, dass ein Verhalten neben strafrechtlichen auch zivilrechtliche, verwaltungsrechtliche oder disziplinarische Folgen habe. In diesem Zusammenhang betonte das Schweizer Sportgericht, dass sich die Zielsetzungen von Strafrecht und Verbandsrecht unterscheide. Während das Strafrecht dem Schutz elementarer Rechtsgüter der Gesellschaft diene, ziele das Verbandsrecht auf die Durchsetzung verbandsinterner Regelwerke und damit auf den Schutz der Interessen der Mitglieder (Rz. 205 f.).
Im sportrechtlichen Kontext verhindere das Verbot der Doppelbestrafung daher lediglich, dass Disziplinarorgane Personen wegen einer Tat verurteilen, für die bereits aufgrund einer rechtskräftigen Entscheidung eines anderen Organs innerhalb desselben
Regelungsrahmens eine Verurteilung oder ein Freispruch erfolgt sei (Rz. 207).
Gestützt auf diese Ausführungen kam das Schweizer Sportgericht zum Schluss, dass das Verbot der Doppelbestrafung nicht ausschliesse, dass dasselbe Verhalten einer angeschuldigten Person neben einer strafrechtlichen Strafe auch eine verbandsrechtliche Sanktion nach sich ziehe (Rz. 208). Entsprechend berücksichtige das Schweizer Sportgericht die strafrechtliche Sanktion bei der Festlegung der Disziplinarstrafe nicht.