1B_195/2009: Vorzeitiger Strafantritt nur bei lückenlosem Geständnis?

Das Bun­des­gericht hat mit Urteil vom 6. Novem­ber 2009 (1B_195/2009) ein Gesuch um vorzeit­i­gen Strafantritt bewil­ligt, das zuvor von der zuständi­gen Haftrich­terin abgewiesen wor­den war.

Die Vorin­stanz hat­te erwogen, das Gesetz sehe den vorzeit­i­gen Strafantritt für Angeklagte vor, die ein lück­en­los­es Geständ­nis abgelegt haben und nur noch auf ihr Urteil bzw. den Strafvol­lzug warten. Der Beschw­erde­führer sei jedoch nur in einem Anklagepunkt geständig, anson­sten habe er die ihn belas­ten­den Per­so­n­en in den Kon­fronta­tion­sein­ver­nah­men der Lüge bezichtigt bzw. von seinem Aus­sagev­er­weigerungsrecht Gebrauch gemacht. Es sei Kol­lu­sion­s­ge­fahr gegeben, da nicht aus­geschlosssen wer­den könne, dass der Beschw­erde­führer die ihn belas­ten­den Per­so­n­en zu seinen Gun­sten bee­in­flusste, zumal im vorzeit­i­gen Strafvol­lzug „Aussenkon­tak­te nicht hin­re­ichend kon­trol­liert wer­den“ könnten. 

Das Bun­des­gericht ver­warf diese Argu­men­ta­tion und hiess die Beschw­erde mit fol­gen­der Begrün­dung gut:

6. Dass die Bewil­li­gung des vorzeit­i­gen Strafantrittes nach Zürcher Strafver­fahren­srecht zwangsläu­fig von einem „lück­en­losen Geständ­nis“ des Angeklagten abhängig sein sollte, find­et im kan­tonalen Straf­prozess­ge­setz keine Stütze […]. Eine solche Voraus­set­zung wäre denn auch sach­lich nur schw­er zu recht­fer­ti­gen. Sie stünde im Span­nungsver­hält­nis zu fun­da­men­tal­en Vertei­di­gungsrecht­en, namentlich dem Recht des Angeschuldigten, sich nicht selb­st zu belas­ten oder die Aus­sage zu ver­weigern (§ 11 und § 154 StPO/ZH). […] Für den vorzeit­i­gen Strafantritt ist grund­sät­zlich das Haftregime der Unter­suchungs- bzw. Sicher­heit­shaft mass­gebend (BGE 133 I 270 E. 3.2.1 S. 277). Auch im vorzeit­i­gen Strafvol­lzug muss daher ein Min­dest­mass an Sicher­heit, darunter auch eine gewisse Beschränkung und Kon­trolle von Aussenkon­tak­ten, gewährleis­tet sein. Eine entsprechende dif­feren­zierte Behand­lung von straf­prozes­sualen Häftlin­gen und Gefan­genen im ordentlichen Strafvol­lzug (etwa hin­sichtlich Urlaubs- und Besuch­sregelung oder Kon­trolle des Brief- und Tele­fon­verkehrs usw.) hält vor der Ver­fas­sung stand (vgl. BGE 133 I 270 E. 3.2.1 S. 278 […]). Art. 84 Abs. 2 Satz 1 StGB bes­timmt (selb­st für den ordentlichen Strafvol­lzug), dass Aussenkon­tak­te kon­trol­liert und zum Schutz der Ord­nung und Sicher­heit der Strafanstalt beschränkt oder unter­sagt wer­den kön­nen. Zwar wäre eine Überwachung von Besuchen (ohne Wis­sen der Beteiligten) im ordentlichen Strafvol­lzug in der Regel nicht zuläs­sig (Art. 84 Abs. 2 Satz 2 StGB). Zur Sich­er­stel­lung ein­er Strafver­fol­gung behält das Gesetz jedoch „straf­prozes­suale Mass­nah­men“ aus­drück­lich vor (Art. 84 Abs. 2 Satz 3 StGB). Bei Berück­sich­ti­gung sämtlich­er Umstände erscheint die Ver­weigerung des vorzeit­i­gen Strafantrittes im vor­liegen­den konkreten Fall unverhältnismässig.