6B_64/2010: Recht auf Befragung von Zeugen

Das durch Art. 29 Abs. 2 und 32 Abs. 2 BV sowie von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK garantierte Recht, Be- und Ent­las­tungszeu­gen zu befra­gen, kann nur wahrgenom­men wer­den, wenn der Antrag rechtzeit­ig und for­mgerecht gestellt wird. Ob der Beweisantrag rechtzeit­ig vorge­bracht wurde, ist unter Berück­sich­ti­gung von Treu und Glauben nach den konkreten Umstän­den des Einzelfalls zu beurteilen.

Mit Urteil 6B_64/2010 vom 26. Feb­ru­ar 2010 befasst sich das Bun­des­gericht erneut mit der Frage, Antrag auf Kon­fronta­tion mit oder ergänzen­der Fra­gen an Belas­tungszeu­gen ver­spätet ist, und heisst eine Beschw­erde gut, weil dem Beschw­erde­führer keine Möglichkeit geboten wor­den sei, zwei Belas­tungszeu­gen zu befragen.

2.4 Das Bun­des­gericht führte im oben erwäh­n­ten Urteil aus, dass ein nicht spätestens in der erstin­stan­zlichen Ver­hand­lung gestell­ter Antrag auf Kon­fronta­tion­sein­ver­nah­men ver­spätet sei, wenn der Beschw­erde­führer nach Treu und Glauben zur Antragsstel­lung Anlass gehabt hätte. Dass das kan­tonale Prozess­recht erlaubt, Zeu­genein­ver­nah­men auch im zweitin­stan­zlichen Ver­fahren durchzuführen, ste­he dem nicht ent­ge­gen (Urteil 6B_10/2009 vom 6. Okto­ber 2009 E. 2.2.5).

Im zu beurteilen­den Fall war der Beschw­erde­führer bis und mit erstin­stan­zlichem Ver­fahren anwaltlich nicht vertreten. Er macht ausser­dem zu Recht gel­tend, dass er von den Unter­suchungs­be­hör­den und dem erstin­stan­zlichen Kan­ton­s­gericht nicht darauf hingewiesen wurde, in sein­er Eigen­schaft als Angeschuldigter den Belas­tungszeu­gen Ergänzungs­fra­gen stellen zu kön­nen. Es kann daher nicht davon aus­ge­gan­gen wer­den, der Beschw­erde­führer hätte nach Treu und Glauben Anlass gehabt, bis Abschluss des erstin­stan­zlichen Ver­fahrens den Antrag auf Kon­fronta­tion­sein­ver­nah­men zu stellen. Der im vorin­stan­zlichen Ver­fahren nun­mehr anwaltlich vertretene Beschw­erde­führer rügte umge­hend die fehlende Kon­fronta­tion­s­möglichkeit mit den Belas­tungszeu­gen in der aus­führlichen Beru­fungs­be­grün­dung […]. Die Vorin­stanz the­ma­tisiert hierzu einzig die ver­fahren­srechtliche Möglichkeit ein­er zweitin­stan­zlichen Zeu­gen­be­fra­gung und erachtet sie im konkreten Fall als nicht gegeben. Die Vorin­stanz ver­let­zt die Ver­fahrens­garantie von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK, indem unter den vor­liegen­den Umstän­den dem Beschw­erde­führer die Kon­fronta­tion mit den Belas­tungszeu­gen ver­weigert wurde.