6B_775/2009: Widerhandlung gegen Lotteriegesetz durch TV-Gewinnspiele

Das Bun­des­gericht hat die Beschw­erde des Geschäfts­führers X. der Fernseh-Pro­duk­tions­fir­ma Y. AG abgewiesen (Urteil 6B_775/2009 vom 18. Feb­ru­ar 2010), mit der er sich gegen seine Verurteilung wegen Wider­hand­lung gegen das Lot­teriege­setz wandte.

Die Fir­ma Y. AG pro­duzierte inter­ak­tive Unter­hal­tungssendun­gen, die in schweiz­erischen TV-Sendern aus­ges­trahlt wur­den. Dabei kon­nten die Zuschauer durch die richtige Beant­wor­tung der in den Sendun­gen gestell­ten Fra­gen Geld gewin­nen. Die Teil­nahme war auf ver­schiedene Weise möglich: durch Anruf auf eine Mehrw­ert­di­en­st­num­mer zum Preis von Fr. 1.50 pro Anruf bzw. Anrufver­such, über Inter­net und WAP (Wire­less Appli­ca­tion Pro­to­col) sowie durch Ein­sendung ein­er Postkarte. Die Mit­spiel­er über die Mehrw­ert­di­en­st­num­mer, Inter­net und WAP wur­den nach dem Zufall­sprinzip aus­gewählt und durchgeschal­tet bzw. zurück­gerufen. Bei Teil­nahme mit­tels Postkarte wurde die Tele­fon­num­mer des Ein­senders nach Ein­gang der Karte in ein Zufallssys­tem einge­speist, worauf diese Zuschauer an einem bes­timmten, späteren Tag am Spiel teil­nehmen konnten. 

Das Oberg­ericht ZH verurteilte den Geschäfts­führer X. gemäss Art. 38 Abs. 1 LG i.V.m. Art. 333 Abs. 3 StGB zu ein­er Busse von 7.000 CHF bzw. ein­er Ersatzfrei­heitsstrafe von 70 Tagen. Zudem zog es die Anbi­eter­an­teile der Fir­ma Y. AG an den Mehrw­ert­di­en­st­num­mern, die zuvor in ein­er Höhe von 311.284,30 CHF vom Statthal­ter­amt ZH ges­per­rt wor­den waren, im Teil­be­trag von 200.000 CHF ein und set­zte den restlichen Betrag zur Deck­ung der Ver­fahren­skosten ein.

Das Bun­des­gericht bestätigte die Vorin­stanz, weil nach dem mass­geben­den sub­jek­tiv­en Ein­druck des Durch­schnittszuschauers für die kosten­losen Teil­nah­memöglichkeit­en via Inter­net und WAP zumin­d­est in bes­timmten Kon­stel­la­tio­nen und Phasen des TV-Gewinn­spiels nicht die gle­ichen Gewin­naus­sicht­en gegeben waren wie für die kostenpflichtige Teil­nahme durch Wahl der Mehrw­ert­di­en­st­num­mer. Denn es sei der Ein­druck ver­mit­telt wor­den, dass für die ver­schiede­nen Teil­nah­mewege nicht diesel­ben Chan­cen bestün­den, mit der Mod­er­a­torin ver­bun­den zu wer­den und die Antwort über­mit­teln zu kön­nen. Daher sei der objek­tive Tatbe­stand von Art. 38 Abs. 1 LG erfüllt:

4.3 […] Die fraglichen Gewinn­spiele sind […] als unter das Lot­terie­ver­bot fal­l­ende lot­terieähn­liche Unternehmungen zu qual­i­fizieren […]. Auch wenn der Durch­schnittszuschauer allen­falls erken­nen kon­nte, dass er über die angegebene Inter­net- beziehungsweise WAP-Adresse gratis am TV-Gewinn­spiel teil­nehmen kon­nte, so ver­mochte er doch nicht zu erken­nen, dass diese Gratis­teil­nah­memöglichkeit­en in jed­er Phase des Spiels die gle­ichen Gewin­n­chan­cen boten wie die Teil­nahme durch Anruf auf die Mehrw­ert­di­en­st­num­mer zum angegebe­nen Preis von Fr. 1.50 pro Anruf beziehungsweise Anrufver­such. Bevor ein Mit­spiel­er mit der Mod­er­a­torin ver­bun­den wurde, um seine Lösung mitzuteilen, ertönte in der Sendung ein Tele­fon­klin­geln. Allein schon dies musste beim Durch­schnittszuschauer den Ein­druck erweck­en, dass nur die Benützer der Mehrw­ert­di­en­st­num­mer eine reelle Chance hat­ten[…]. Der Durch­schnittszuschauer musste auf­grund der Auf­machung und Gestal­tung des TV-Gewinn­spiels sub­jek­tiv den Ein­druck gewin­nen, dass die Chan­cen, mit der Mod­er­a­torin in der Fernsehsendung ver­bun­den zu wer­den, um die Wet­tbe­werb­slö­sung mitzuteilen, bei Wahl der Mehrw­ert­di­en­st­num­mer let­ztlich gröss­er seien als bei Teil­nahme über Inter­net und WAP. Zudem ent­standen im Ver­lauf des TV-Gewinn­spiels zahlre­iche Sit­u­a­tio­nen […], bei denen sich der durch­schnit­tliche Zuschauer und selb­st ein Zuschauer mit über­durch­schnit­tlichen Ken­nt­nis­sen in diesem Gebi­et schon man­gels entsprechen­der Infor­ma­tio­nen nicht vorstellen kon­nte, wie er daran über­haupt und gar chan­cen­gle­ich mit dem Benützer der Mehrw­ert­di­en­st­num­mer teil­nehmen kon­nte. […] Unab­hängig davon gewann er im Ver­lauf des Spiels und namentlich in der Phase, in welch­er die Mod­er­a­torin ankündigte, es bleibe nur noch wenig Zeit zum Mit­spie­len, den Ein­druck, dass die Chance, mit der Mod­er­a­torin ver­bun­den zu wer­den, durch einen Anruf auf die Mehrw­ert­di­en­st­num­mer im let­zten beziehungsweise gün­stig erscheinen­den Moment doch noch gewahrt wer­den könne, zumal sich der Zuschauer nicht im Einzel­nen vorstellen kon­nte, ob und inwiefern seine allfäl­lige vorgängige Anmel­dung beispiel­sweise via Inter­net noch irgend­wie im Spiel sei und er daher weit­er­hin die Chance auf einen Rück­ruf habe.

Auch den sub­jek­tiv­en Tatbe­stand von Art. 38 Abs. 1 LG sah das Bun­des­gericht als gegeben an. Es liege wed­er ein Sachver­halt­sir­rtum (Art. 13 StGB) vor, d.h. eine irrtüm­liche Vorstel­lung, dem Durch­schnittszuschauer sei auf­grund der Hin­weise in der Fernsehsendung klar gewe­sen, dass über die angegebene Inter­net- und WAP-Adresse gratis und in sämtlichen Phasen des Spiels mit den gle­ichen Gewin­naus­sicht­en wie durch die Wahl der Mehrw­ert­di­en­st­num­mer am TV-Gewinn­spiel teilgenom­men wer­den könne. Noch sei ein Recht­sir­rtum (Art. 21 StGB) gegeben, d.h. die irrtüm­liche Annahme, dass das fragliche TV-Gewinn­spiel auch zuläs­sig sei, wenn die Gewin­naus­sicht­en der Teil­nehmer über Inter­net und WAP objek­tiv oder nach dem sub­jek­tiv­en Ein­druck des Durch­schnittszuschauers nicht in sämtlichen Phasen des Spiels gle­ich gross sind wie die Gewin­naus­sicht­en des Benützers der Mehrwertdienstnummer.

5.3 […] Das TV-Gewinn­spiel war […] nach sein­er Auf­machung und Aus­gestal­tung darauf angelegt, dass die Spiel­er zum Tele­fon grif­f­en und die Mehrw­ert­di­en­st­num­mer wählten. Die Hin­weise darauf, dass auch über Inter­net und WAP am Spiel teilgenom­men wer­den kon­nte, trat­en demge­genüber in den Hin­ter­grund, was offen­sichtlich und damit auch dem Beschw­erde­führer 1 klar war. Unter diesen Umstän­den musste der Beschw­erde­führer 1 mit der Möglichkeit rech­nen, dass der Durch­schnittszuschauer und selb­st ein Zuschauer mit über­durch­schnit­tlichen Ken­nt­nis­sen trotz der mehrfachen Hin­weise auf die alter­na­tiv­en Teil­nah­memöglichkeit­en über Inter­net und WAP sub­jek­tiv den Ein­druck gewin­nen kon­nte, dass […] die Gewin­naus­sicht­en bei Wahl der Mehrw­ert­di­en­st­num­mer zumin­d­est in gewis­sen Spiel­si­t­u­a­tio­nen und namentlich auch gegen Ende ein­er Spiel­runde let­ztlich gröss­er seien als bei der Teil­nahme über Inter­net und WAP. Ein den Vor­satz auss­chliessender Sachver­halt­sir­rtum liegt daher nach der im Ergeb­nis zutr­e­f­fend­en Auf­fas­sung der Vorin­stanz nicht vor.

Dem Beschw­erde­führer 1 war die Prob­lematik von Gewinn­spie­len der fraglichen Art bekan­nt. Er wusste, dass diese lot­terierechtlich nur zuläs­sig sind, wenn daran auch gratis, d.h. ohne Leis­tung eines Ein­satzes, mit gle­ichen Gewin­naus­sicht­en wie bei Benützung ein­er Mehrw­ert­di­en­st­num­mer teilgenom­men wer­den kon­nte. Es war ihm klar, dass diese Chan­cen­gle­ich­heit selb­stre­dend in sämtlichen Phasen des Spiels und nicht nur objek­tiv, son­dern auch nach dem sub­jek­tiv­en Ein­druck des Durch­schnittszuschauers beste­hen musste. […] Ein Recht­sir­rtum liegt daher […] eben­falls nicht vor.

Schliesslich befand das Bun­des­gericht auch die Höhe der einge­zo­ge­nen Anbi­eter­an­teile als rechtmässig:

6.4 Inwiefern aber der einge­zo­gene Ver­mö­genswert im Betrag von Fr. 200’000.– bun­desrechtswidrig zu hoch sei, wie die Beschw­erde­führerin 2 im Weit­eren gel­tend macht, ist nicht ersichtlich. Die Vorin­stanz geht von Brut­toein­nah­men von Fr. 4’646’344.– und von einem (Netto)Erlös von Fr. 241’016.– aus. Im konkreten Fall sei die Anwen­dung eines strik­ten Brut­to­prinzips aus ver­schiede­nen Grün­den nicht ange­bracht. Unter Berück­sich­ti­gung des Grund­satzes der Ver­hält­nis­mäs­sigkeit sei vom Erlös von Fr. 241’016.– als Einziehungsver­mö­gen auszuge­hen. Jedoch sei auf­grund der teil­weise unter­schiedlichen Zahlen­belege allfäl­li­gen verbleiben­den Bedenken der­art Rech­nung zu tra­gen, dass der einzuziehende Betrag auf Fr. 200’000.– reduziert werde […].

Siehe auch die Berichter­stat­tung im Tage­sanzeiger.