5A_160/2011: Elterliche Sorge; Besuchsrecht und Kindeswillen

In dem Ver­fahren 5A_160/2011 (Urteil vom 29. März 2011) entsch­ied das Bun­des­gericht über die elter­liche Sorge der geschiede­nen Eltern eines Sohnes und äussert sich zu den Kri­te­rien für die Aus­gestal­tung des angemesse­nen per­sön­lichen Verkehrs zwis­chen nicht sorge­berechtigten Eltern und ihren leib­lichen Kindern.

Im vor­liegen­den Fall lag die alleinige Sorge beim Vater, wobei das Kind auch zunehmend den Wun­sch geäussert hat­te, nur noch der neuen Fam­i­lie des Vaters ange­hören zu wollen. Die Mut­ter beantragte mit ihrer Beschw­erde eine Ausweitung ihres Besuchs- und Ferien­rechts und brachte vor, der Sohn könne sich gar nicht unbe­fan­gen äussern, weshalb seine Stimme nicht zu hören sei. Die Beschw­erde wurde abgewiesen.

Inwieweit die Wün­sche des betrof­fe­nen Kindes zu berück­sichti­gen sind, hält das Bun­des­gericht wie fol­gt fest:

4. […] Was das Kind anbe­langt, so ste­ht es nicht in dessen freiem Belieben, ob es per­sön­liche Kon­tak­te wün­scht oder nicht; dies gilt namentlich dort, wo die ablehnende Hal­tung wesentlich durch die Ein­stel­lung der sorge­berechtigten Partei geprägt ist (Urteil 5A_341/2008 vom 23. Dezem­ber 2008 E. 4.3). Indes ist der geäusserte Kindeswille in der Entschei­dung zu berück­sichti­gen, und bei älteren Kindern ist er ein mass­ge­blich­es Kri­teri­um bei der Fest­set­zung des Besuch­srechts (Urteil 5C.250/2005 vom 3. Jan­u­ar 2006 E. 3.2.1).


Bere­its die Vorin­stanz, das Kan­ton­s­gericht St. Gallen, hat­te entsch­ieden, dass selb­st ein durch den sorge­berechtigten Eltern­teil bee­in­flusster Wille des Kindes beachtlich sei, und zwar schon deshalb, weil er für das Kind eine psy­chisch emp­fun­dene Real­ität bilde:

5.1 […] Urteils­fähige Kinder kön­nten erwarten, dass ein gefes­tigter und nicht nur aus ein­er momen­ta­nen Laune her­aus gefasster Entschluss als Aus­fluss ihrer Per­sön­lichkeit respek­tiert und in der Entschei­dfind­ung berück­sichtigt werde. Ihr Wille gelte als Akt beschränk­ter Eigen­ver­ant­wor­tung, der zwar nicht allein mass­ge­blich und kri­tisch zu hin­ter­fra­gen sei, aber auch nicht ganz unbe­deu­tend sein könne. Je älter und reifer die Kinder wür­den, je sta­bil­er ihre Hal­tung sei und je nach­drück­lich­er diese vertreten werde, desto mehr sei darauf zu acht­en, bis schliesslich ein Besuch­srecht gegen ihren gefes­tigten Willen grund­sät­zlich nicht mehr vertret­bar und wohl auch nicht mehr durch­set­zbar sei. Dies wider­spräche näm­lich sowohl dem Zweck der Umgangsregelung als auch dem Per­sön­lichkeit­srecht des Kindes. […] Viele Kinder, welche mit rigider gerichtlich­er Ver­fü­gung oder unflex­i­bler Eltern­vere­in­barung zu Besuchen genötigt wür­den, brächen die Verbindung später ab. Ein Appell an die Selb­st­bes­tim­mung könne dazu führen, dass das Kind im Laufe der Adoleszenz sein Urteil über die Eltern rev­i­diere, die Parteinahme für einen Eltern­teil aufgebe und sich dem anderen frei­willig zuwende.