4A_525/2011: Anlageberatungsvertrag, Emittentenrisiko, Lehman Brothers

Im Entscheid 4A_525/2011 hat­te sich das Bun­des­gericht mit diversen Fra­gen zu den Pflicht­en der Bank im Rah­men eines Anlage­ber­atungsver­hält­niss­es zu äussern.

Gegen­stand der Stre­it­igkeit waren Ver­luste im Zusam­men­hang mit einem struk­turi­erten Pro­dukt, das von Lehman Broth­ers emit­tiert wor­den war. Die Bankkundin warf ihrer Haus­bank (Cred­it Suisse) vor, ihrer börsen­ge­set­zlichen und ver­traglichen Aufk­lärungs- und Infor­ma­tion­spflicht bzw. ihrer Warnpflicht nicht nachgekom­men zu sein.

Das Bun­des­gericht erin­nerte zunächst an die Trias Ver­mö­gensver­wal­tung, Anlage­ber­atung und blosse Kon­to-/De­pot­beziehung. Vor­liegend ging es mit der Vorin­stanz von einem “kon­klu­dent abgeschlosse­nen, auf Dauer angelegten Anlage­ber­atungsver­trag” aus (E. 3.1 am Ende).

Weit­er wies das Bun­des­gericht darauf hin, dass sich die konkreten Pflicht­en der Bank nach der Qual­i­fika­tion des Ver­tragsver­hält­niss­es richten: 

3.2 Die Qual­i­fika­tion des zwis­chen Bank und Kunde beste­hen­den Ver­tragsver­hält­niss­es bee­in­flusst Bestand und Umfang der ver­traglichen Aufklärungs‑, Beratungs‑, und Warnpflicht­en. Gewis­ser­massen der Min­i­mal­stan­dard beste­ht bei der blossen Kon­to-/De­pot­beziehung […]. Am umfassend­sten ist die Aufk­lärungs- und Beratungspflicht bei der Ver­mö­gensver­wal­tung […]. Wie weit die Aufk­lärungspflicht bei der Anlage­ber­atung im Einzel­nen geht, kann nicht all­ge­mein fest­gelegt wer­den, son­dern hängt von den Umstän­den des Einzelfalls ab, namentlich von der Aus­gestal­tung des jew­eili­gen Beratungsver­hält­niss­es, der Art des konkreten Anlagegeschäfts sowie der Erfahrung und den Ken­nt­nis­sen des Kun­den (Urteil 4C.205/2006 […] E. 3.2. […]).

Sodann set­zt sich das Bun­des­gericht mit der Infor­ma­tion­spflicht gemäss Art. 11 BEHG auseinan­der. Die Vorin­stanz hat­te eine Ver­let­zung der Infor­ma­tion­spflicht verneint, zumal es sich beim Emit­ten­ten­risiko um ein soge­nan­nt “üblich­es Risiko” han­dle. Das Bun­des­gericht schützte diese Auffassung:

5.2. […] Der Grund­satz, dass über übliche Risiken, zu denen das Emit­ten­ten- oder Bonität­srisiko zählt, nicht aufgek­lärt wer­den muss, gilt auch bei struk­turi­erten Pro­duk­ten. Diese mögen je nach Struk­turierung gewisse höhere Risiken bergen. Inwiefern aber ger­ade das Emit­ten­ten­risiko bei struk­turi­erten Pro­duk­ten im Ver­gle­ich zum Emit­ten­ten­risiko bei anderen Finan­zan­la­gen ein beson­deres sein soll, ver­mag die Beschw­erde­führerin nicht darzutun […]

Das Bun­des­gericht prüfte weit­er, ob die Bank ihre auf­tragsrechtliche Aufk­lärungspflicht (E. 6) bzw. ihre Sorgfalts- und Treuepflicht (E. 7) ver­let­zt hat­te, verneinte dies indes wie bere­its die Vorinstanz. 

Weit­er set­zte sich das Bun­des­gericht mit der Rüge auseinan­der, die Bank habe ihre Warnpflicht (während der Ver­trags­dauer) verletzt:

8.1 “Warnpflicht” meint die Verpflich­tung der Bank,
den Kun­den in bes­timmten Sit­u­a­tio­nen unaufge­fordert vor sich
abze­ich­nen­den Gefahren zu war­nen
, wie z.B. bei ein­er wesentlichen
Bonitätsver­schlechterung eines Emit­ten­ten von im Depot liegenden
Oblig­a­tio­nen. Eine solche Warnpflicht für die Zeit nach getroffenem
Anlageentscheid setzt de fac­to eine ständi­ge Überwachung des Depots
voraus, ohne die eine spon­tane und rechtzeit­ige War­nung des Kun­den nicht
möglich ist. Darin liegt aber eine aufwändi­ge Dien­stleis­tung, die
üblicher­weise nicht unent­geltlich erbracht wird.
Bei einer
Anlage­ber­atung, die ausser­halb ein­er eigentlichen Vermögensverwaltung
erfol­gt, kann der Kunde ohne ander­slau­t­ende Vere­in­barung grundsätzlich
nicht erwarten, dass die Bank das Wertschrif­ten­de­pot dauernd überwacht
und ihn gegebe­nen­falls auf Gefahren hin­weist
[Ver­weis auf Lehre] […] 

Aus­nahm­sweise kann sich indes auch bei einem Anlage­ber­atungsver­hält­nis eine Warnpflicht der Bank ergeben:

[8.1] […] Zus­tim­mung verdient
die Ansicht, dass sich in einem Anlage­ber­atungsver­hält­nis mit
entsprechen­der Ver­trauens­ba­sis auch ohne aus­drück­liche Vere­in­barung nach
Treu und Glauben aus­nahm­sweise den­noch eine Überwachungs- und
Warnpflicht ergibt
, dies jedoch nur in dem Sinn, dass die Bank, wenn sie
mit dem Kun­den in Kon­takt ist und das Anlage­dossier ohne­hin zur Hand
nehmen muss, auf offen­sichtliche Prob­lem­si­t­u­a­tio­nen hin­weisen muss
[Ver­weis auf Lehre].

Mit der Vorin­stanz ver­warf das Bun­des­gericht sodann das Vorhan­den­sein eines “offen­sichtlichen Fall­es”, bei welchem die Bank die Kundin gegebe­nen­falls auch ohne grund­sät­zliche Warnpflicht hätte benachrichti­gen müssen:

[8.2] […] Ihre [Bankkundin] Aus­führun­gen scheit­ern an der tat­säch­lichen Fest­stel­lung der Vorin­stanz, dass der Zusam­men­bruch von Lehman für alle Mark­t­teil­nehmer über­raschend gekom­men sei. Bis zulet­zt hät­ten sämtliche Ratin­ga­gen­turen Lehman als kred­itwürdig beurteilt. […] Nach dem hier mass­ge­blichen Wis­sens­stand vor der Finanzkrise ist es vertret­bar anzunehmen, dass sich die Beschw­erdegeg­ner­in vor allem auf Rat­ings abstützen durfte, gal­ten damals die Rat­ings doch nach der vorin­stan­zlichen Fest­stel­lun­gen […] im All­ge­meinen als ver­lässlich und aussagekräftig. […]

Daran änderte auch der Umstand nichts, dass die Bank im Juli 2008 die frühere Finanzchefin von Lehman angestellt hat­te; aus dieser Gegeben­heit allein lasse sich nicht ableit­en, dass die Bank ab dem 2. Sep­tem­ber 2008 hin­sichtlich Bonität von Lehman über Wis­sen ver­fügte, welch­es im Sinne eines “offen­sichtlichen Fall­es” eine Warnpflicht aus­gelöst haben kön­nte (E. 8.2).

Schliesslich ver­warf das Bun­des­gericht die Behaup­tung, die Bank habe im März 2008 die Geschäfts­beziehung mit Lehman abge­brochen und eigene Bestände von Lehman-Pro­duk­ten abgestossen; die Vorin­stanz war dies­bezüglich auf­grund des FIN­MA-Berichts vom 2. März 2010 (S. 4 und 17) zum Schluss gekom­men, dass die Bank Kun­den- und Eigenbestände gle­ich behan­delt habe.