4A_462/2011: rechtsmissbräuchliche (zweckwidrige) Berufung auf einen Formmangel (amtl. Publ.)

Das BGer beurteilt die Beru­fung auf einen For­m­man­gel ein­er Anzeige der Miet­zin­ser­höhung (OR 269d) als rechtsmiss­bräuch­lich. Der For­m­man­gel lag darin, dass die Anzeige keine eigen­händi­ge Unter­schrift trug, son­dern lediglich eine Abbil­dung (Fak­sim­i­le) ein­er Unterschrift.

Die Rechtsmiss­bräuch­lichkeit ergab sich nicht aus verzögert­er Recht­sausübung oder wegen irrtums­freier Erfül­lung trotz Man­gel, son­dern wegen Zweck­widrigkeit. Der mass­ge­bliche Zweck war jen­er der  For­mu­la­rpflicht i.S.v. OR 269d I:

Zweck der For­mu­la­rpflicht ist primär die Infor­ma­tion des Mieters über die Gründe der Erhöhung und die Anfech­tungsmöglichkeit­en. […]. Diese Zwecke hat das dem Beschw­erde­führer zugestellte For­mu­lar mit Bezug auf die Miet­zin­ser­höhung zweifel­los erfüllt. Dies­bezüglich bedurfte es kein­er eigen­händi­gen Unter­schrift. Mit dem let­zt­ge­nan­nten Erforder­nis soll namentlich ver­mieden wer­den, dass die Iden­tität des Erk­lären­den unsich­er bleibt. […]

Dieser Zweck ver­langte vor­liegend keines­falls die Nichtigkeit der Anzeige der Zinserhöhung:

Dass jemals Unklarheit über den Absender bzw. die Zurechen­barkeit der Miet­zin­ser­höhung geherrscht hätte, macht der Beschw­erde­führer nicht gel­tend. Vielmehr richteten sich offen­bar bei­de Parteien während Jahren anstand­s­los nach dem nicht hand­schriftlich unterze­ich­neten For­mu­lar, und es ist nicht fest­gestellt, dass die Beschw­erdegeg­ner­in sich die dem Beschw­erde­führer gelieferte Begrün­dung für die Miet­zin­ser­höhung nicht hätte ent­ge­gen hal­ten lassen. Das Erforder­nis hand­schriftlich­er Unterze­ich­nung der Miet­zin­ser­höhung soll aber nicht dazu dienen, dem Mieter zu ermöglichen, auf eine unange­focht­ene Miet­zin­ser­höhung, deren Gültigkeit keine der Parteien anzweifelte und der nachgelebt wurde, nach Jahr und Tag zurück­zukom­men und den Dif­ferenz­be­trag zurück­zu­fordern, selb­st wenn der dies­bezügliche Man­gel erst Jahre nach der Zustel­lung des im Übri­gen nicht zu bean­standen­den Erhöhungs­for­mu­la­rs erkan­nt wor­den ist. 

Die Beru­fung auf den For­m­man­gel war daher zweck­widrig:

Mit der Ver­fol­gung eben dieses vom For­mer­forder­nis nicht gedeck­ten Ziels übt der Beschw­erde­führer sein Recht, sich auf einen For­m­man­gel zu berufen, zweck­widrig und damit rechtsmiss­bräuch­lich aus. Im Ergeb­nis erweist sich somit die Recht­sauf­fas­sung der Vorin­stanz als mit Art. 2 Abs. 2 ZGB vere­in­bar. Damit kann offen bleiben, ob das Begleitschreiben hand­schriftlich unterze­ich­net ist und geeignet wäre, den For­m­man­gel zu beheben.