2C_699/2012: auftragsrechtliche Pflicht, den Empfang versandter entscheidrelevanter Emails aktiv zu verifizieren

In einem steuer­rechtlichen Urteil vom 22. Okto­ber 2012 hat sich das BGer auch zur Zustel­lung von elek­tro­n­is­chen Nachricht­en geäussert. Konkret ging es um den Ver­sand ein­er Email durch einen Treuhän­der an einen Kun­den, mit welch­er der Kunde über die Frist zur Zahlung eines Kosten­vorschuss­es informiert wurde. Die Email ging nach Darstel­lung des Treuhän­ders auf­grund tech­nis­ch­er Prob­leme mit dem Serv­er, der von einem Drit­ten betrieben werde, ver­loren. Es sei wed­er zur Weit­er­leitung der elek­tro­n­is­chen Nachricht an die steuerpflichtige Per­son noch zu ein­er Fehler­mel­dung an den Treuhän­der gekom­men. Deswe­gen ersuchte der Treuhän­der um “Fris­ter­streck­ung”.

Das BGer weist dies zurück. Der Treuhän­der habe zivil­rechtlich unsorgfältig und daher nicht wie für eine Frist­wieder­her­stel­lung erforder­lich “(klar) schuld­los” gehan­delt. Im Wesentlichen hält es fest, dass der Beauf­tragte auf­tragsrechtlich verpflichtet ist, die Zustel­lung zumin­d­est entschei­drel­e­van­ter elek­tro­n­is­ch­er Nachricht­en per Tele­fon oder Post zu ver­i­fizieren, wenn der Empfänger den Erhalt nicht bestätigt:

4.2 Es kann heute als all­ge­mein bekan­nt voraus­ge­set­zt wer­den, dass der Verkehr mit E‑Mails gefahren­be­haftet und im All­ge­meinen nur beschränkt ver­lässlich ist. Ins­beson­dere gilt, dass der Nach­weis des Zugangs elek­tro­n­is­ch­er Nachricht­en in den Macht­bere­ich der emp­fan­gen­den Per­son auf­grund der tech­nis­chen Gegeben­heit­en anerkan­nter­massen Schwierigkeit­en bere­it­et (Roger Rohn­er, Recht­sprob­leme der elek­tro­n­is­chen Steuerver­an­la­gung, 2008, S. 85). In der Prax­is bleibt die Möglichkeit, von der emp­fan­gen­den Per­son eine Ein­gangs­bestä­ti­gung zu ver­lan­gen und bei deren Aus­bleiben zu reagieren. Eine entschei­drel­e­vante Mit­teilung per E‑Mail zu versenden, ohne weit­ere (Kontroll-)Massnahmen zu ergreifen, entspricht nicht sorgfältiger Erfül­lung des Auf­tragsver­hält­niss­es (Art. 398 OR).

Auf­trag­nehmer sind deshalb gegenüber dem Auf­tragge­ber verpflichtet, die Zustel­lung ihrer Emails durch die beteiligten Email­provider als ihre Unter­beauf­tragten zu kontrollieren: 

Wenn oben aus­ge­führt wurde, die steuerpflichtige Per­son sei verpflichtet, die ver­tragliche Vertre­tung sorgfältig auszuwählen, zu instru­ieren und das Arbeit­sergeb­nis zu über­prüfen (E. 3.4 hier­vor), trifft dies gle­icher­massen auf die Rechts­beziehung zwis­chen Ober- und Unter-Hil­f­sper­son zu. Hier heisst dies, dass der Treuhän­der verpflichtet ist, das Ver­hal­ten des Providers zu kon­trol­lieren. Es wäre an ihm gele­gen, das “Arbeit­sergeb­nis” dahinge­hend zu über­prüfen, ob die elek­tro­n­is­che Nachricht den Weg zur steuerpflichti­gen Per­son tat­säch­lich gefun­den hat. Schwierigkeit­en im Umgang mit Infor­matiksys­te­men wur­den denn auch in der bish­eri­gen Recht­sprechung nicht als Frist­wieder­her­stel­lungs­gründe anerkan­nt, auch dann nicht, wenn gel­tend gemacht wurde, sie seien auf das Ver­hal­ten von Hil­f­sper­so­n­en zurück­zuführen (Urteile 8C_910/2008 vom 30. Jan­u­ar 2009 E. 3.4, in: SVR 2009 UV 26 Nr. 95; 4P.171/1996 vom 14. Okto­ber 1996 E. 4b).

Der Beauf­tragte darf auch nicht darauf ver­trauen, dass er bei Zustel­lung­sprob­le­men eine Fehler­mel­dung erhält:

4.3 Der Treuhän­der der steuerpflichti­gen Per­son bringt vor, ihm sei keine Fehler­mel­dung (über die nicht erfol­gte Zustel­lung der elek­tro­n­is­chen Nachricht an den Empfänger) zuge­gan­gen. Ist es unter den heute gängi­gen Stan­dards uner­lässlich, die Über­mit­tlung auf andere, primär wohl herkömm­liche Weise (tele­fonisch, postal­isch etc.) zu ver­i­fizieren, erscheint es als wenig sin­nvoll, auf das Ein­tr­e­f­fen ein­er Fehler­mel­dung oder ein­er Zustel­lungs­bestä­ti­gung zu ver­trauen. Anders, als die steuerpflichtige Per­son und mit ihr der Treuhän­der annimmt, genügt es zur Über­wälzung der Ver­ant­wor­tung auf eine Sub-Hil­f­sper­son (“Provider”) angesichts der tech­nis­chen Unzulänglichkeit­en der elek­tro­n­is­chen Über­mit­tlung, wie sie heute beste­ht, jeden­falls nicht, wenn der Unter-Hil­f­sper­son (Provider) eine E‑Mail-Nachricht zuhan­den der steuerpflichti­gen Per­son übergeben wird. Der (Ober-)Hilfsperson ist im Sinne der geschilderten Zurech­nungslehre schuld­haftes Ver­hal­ten vorzuw­er­fen. Der Treuhän­der und mit ihr die steuerpflichtige Per­son ver­mö­gen keine objek­tiv­en oder sub­jek­tiv­en Gründe vorzubrin­gen, welche das vom Vertreter gewählte Vorge­hen als angemessen erscheinen liessen. Wed­er war es “sorgfältig” im Sinne des Auf­tragsrechts, noch damit “(klar) schuld­los” gemäss den Regeln über die Wiedere­in­set­zung in den früheren Stand.