4A_547/2012: Liquidation eines Kontos/Depots; insbes. OTC-Optionen

Im Entscheid 4A_547/2012 hat­te das Bun­des­gericht Gele­gen­heit, sich zur Abrech­nungspflicht ein­er Bank bei der Liq­ui­da­tion von sog. Over-the-Counter- (“OTC-”) Optio­nen zu äussern.

Dem Entscheid lag stark verkürzt fol­gen­der Sachver­halt zugrunde: Der Beklagte war Grosskunde ein­er Bank und tätigte gestützt auf einen Kred­it von CHF 100 Mio. diverse Aktien‑, Options- und Fremd­währungs­geschäfte. Nach­dem eine Unter­deck­ung einge­treten war, forderte die Bank den Kun­den auf, Nach­schuss zu leis­ten (“mar­gin call”). Der Kunde kam dieser Auf­forderung nicht nach, worauf die Bank die noch vorhan­de­nen Anla­gen liq­ui­dierte, darunter 12 OTC-Optio­nen auf amerikanis­che Aktien. Aus der Liq­ui­da­tion resul­tierte zulas­ten des Kun­den ein Schuld­sal­do in Höhe von rund USD 1.6 Mio., welchen die Bank ein­klagte. Der Kunde machte u.a. gel­tend, die Bank habe die anlässlich der Liq­ui­da­tion fest­ge­set­zten Preise zu ihren Gun­sten manip­uliert und sei jeden­falls ihrer Abrech­nungspflicht nicht gehörig nachgekom­men, indem sie die einzel­nen Para­me­ter der Preis­berech­nung nicht offen­gelegt habe. 

Das Bezirks­gericht Zürich holte in Bezug auf die OTC-Optio­nen ein Gutacht­en ein. Dieses kam basierend auf ein­er abstrak­ten (math­e­ma­tisch-sta­tis­tis­chen) Berech­nung zum Schluss, die von der Bank in Rech­nung gestell­ten Preise lägen inner­halb sog. Ver­trauensin­ter­valle ein­er objek­tiv­en Mark­t­be­w­er­tung. Das Oberg­ericht schützte diese Ansicht und wies die Beru­fung des Kun­den ab.

Dieser gelangte mit Beschw­erde in Zivil­sachen ans Bun­des­gericht und rügte, die Vorin­stanz habe Art. 400 OR (Rechen­schaft­spflicht) ver­let­zt, indem sie mit­tels Gutacht­en einen the­o­retis­chen Wert ermit­teln liess, statt von der Bank den Nach­weis der tat­säch­lichen Para­me­ter, ins­beson­dere des genauen Liq­ui­da­tion­szeit­punk­tes, zu ver­lan­gen. Art. 400 OR sei dabei auch dann anwend­bar, wenn die Liq­ui­da­tion­shand­lun­gen als Kom­mis­sion­s­geschäft ange­se­hen wür­den. Man­gels Nach­weis­es der tat­säch­lichen Para­me­ter hätte die Klage, so der Kunde, abgewiesen wer­den müssen. 

Das Bun­des­gericht äusserte sich zunächst all­ge­mein zur Preis­berech­nung bei OTC-Optionen: 

1.3.2 Da die OTC-Optio­nen nicht an der Börse gehan­delt wer­den, existiert kein entsprechen­der Mark­t­preis. Der Preis wird vielmehr direkt zwis­chen den indi­vidu­ellen Ver­tragspart­nern aus­ge­han­delt. Mit finanz­math­e­ma­tis­chen Mod­ellen, ins­beson­dere dem Mod­ell von Black, Scholes und Mer­ton, kann auf­grund ver­schieden­er Para­me­ter der the­o­retis­che Wert ein­er Option und damit der the­o­retisch richtige (faire) Preis ermit­telt wer­den [Ver­weis auf Lehre]. Die mass­ge­blichen Para­me­ter sind: der aktuelle Preis des Basisob­jek­ts (z.B. Aktienkurs), der Ausübung­spreis der Option, deren Rest­laufzeit, der Mark­tzins­fuss für sichere Gel­dan­la­gen, die Erträg­nisse des Basisob­jek­ts (z.B. Aktien­div­i­den­den) während der Laufzeit sowie die mut­massliche kün­ftige Schwankungs­bre­ite des Preis­es des Basisob­jek­ts (sog. Volatilität).

Zur Rüge des Kun­den, die Vorin­stanz habe Art. 400 OR (Rechen­schaft­spflicht) ver­let­zt, hielt das Bun­des­gericht fest, der Anspruch auf Rechen­schaftsable­gung gemäss Art. 400 OR sei zwar selb­ständig klag­bar (Ver­weis auf das zur Pub­lika­tion bes­timmte Urteil 4A_13/2012); Stre­it­ge­gen­stand sei aber nur der ver­tragliche Anspruch der Beschw­erdegeg­ner­in auf Aus­gle­ich des Neg­a­tivsal­dos aus dem Kon­toko­r­rent und nicht eine materiell­rechtliche Auskun­ft­spflicht (E. 3). 

Weit­er äusserte sich das Bun­des­gericht zur Frage der Anwend­barkeit der kom­mis­sion­srechtlichen Bes­tim­mungen auf Optio­nen:

4.1 […] Optio­nen bein­hal­ten nicht in Wert­pa­pieren ver­briefte Rechte. Die Bes­tim­mungen über den Kom­mis­sionsver­trag sind nicht ohne weit­eres anwend­bar, da Gegen­stand von Art. 425 OR bewegliche Sachen und Wert­pa­piere sind. Indessen recht­fer­tigt es sich angesichts der par­al­le­len Inter­essen­lage, jeden­falls in Bezug auf die Pflicht­en der Bank betr­e­f­fend Abrech­nung der getätigten Käufe und Verkäufe die Art. 425 ff. OR ana­log anzuwen­den [Ver­weis auf Lehre; Ver­weis auf 4A_13/2012].

Den Ein­wand der Bank, der Han­del mit Optio­nen unter­liege Kaufrecht, wies das Bun­des­gericht ab. Die von der Bank zitierte Lehre beziehe sich auf den Fall des Selb­stein­tritts (Art. 436 OR).
Aus dem ange­focht­e­nen Urteil ergebe sich nicht, ob ein Selbsteintritt
erfol­gt sei. Die Frage könne jedoch offen bleiben. Auch wenn der
Kom­mis­sionär bei Selb­stein­tritt kaufrechtliche Pflicht­en (z.B.
Gewährleis­tung) übernehme, bedeutete dies nicht, dass Kommissionsrecht
über­haupt nicht mehr anwend­bar sei. Vielmehr han­dle es sich um einen
gemis­cht­en Ver­trag. Der Kom­mis­sionär unter­liege namentlich weit­er den
auf­tragsrechtlichen Treuepflicht­en [Ver­weis auf Lehre]. Soweit aus BGE 114 II 57 E. 6a S. 63 etwas anderes abgeleit­et wer­den kön­nte, sei dies zu präzisieren (E. 4.1).

Weit­er äusserte sich das Bun­des­gericht zum mass­geben­den Zeit­punkt der Abrechnung: 

4.1 […] Das Kom­mis­sion­srecht hat zum Ziel zu ver­hin­dern, dass der Kom­mis­sär, die Bank, Gewinne zulas­ten des Kom­mit­ten­ten, des Kun­den, real­isiert [Ver­weis auf Lehre]. Ob die [Bank] mit ihrer Abrech­nung unzuläs­sige Gewinne erzie­len kon­nte, hängt davon ab, zu welchem Zeit­punkt sie abrech­nen musste bzw. durfte. Das Kom­mis­sion­srecht ken­nt Schutzbes­tim­mungen für den Kom­mit­ten­ten im Fall des Selb­stein­tritts, weil der selb­stein­tre­tende Kom­mis­sionär in einem erhöht­en Inter­essenkon­flikt ste­ht. Ins­beson­dere im Börsen­geschäft beste­hen Manip­u­la­tion­s­möglichkeit­en dadurch, dass er den Zeit­punkt des Selb­stein­tritts — im Nach­hinein — abhängig von ein­er für ihn gün­sti­gen Kurssi­t­u­a­tion erk­lärt. Eine ver­gle­ich­bare Inter­essen­lage beste­ht bei OTC-Geschäften, unab­hängig davon, ob die Bank selb­st ein­tritt oder nicht, da in bei­den Fällen kein Mark­t­preis beste­ht. Es recht­fer­tigt sich daher, die Bes­tim­mung des für die Abrech­nung mass­ge­blichen Zeit­punk­ts nach ver­gle­ich­baren Grund­sätzen zu ermitteln. 

Bezo­gen auf den vor­liegen­den Fall erwog das Bun­des­gericht, die Bank sei nach Ablauf der Frist zur Nach­schusszahlung zur sofor­ti­gen Liq­ui­da­tion berechtigt gewe­sen. Diese Berech­ti­gung sei ein­er solchen aus einem vor diesem Zeit­punkt erteil­ten Auf­trag ver­gle­ich­bar. Die den Optio­nen unter­liegen­den Basis­ti­tel waren in New York börsenkotiert. Somit bestand die Liq­ui­da­tions­berech­ti­gung vor Eröff­nung der Börse in New York. In der Lit­er­atur [Ver­weise] und der auf­sicht­srechtlichen Prax­is (vgl. Bull EBK Nr. 20, 1990, S. 23 ff., S. 27) werde die Auf­fas­sung vertreten, dass zu Eröff­nungskursen abzurech­nen ist, wenn Aufträge vor Eröff­nung der Börsen­sitzung vor­liegen. Dem ist gemäss Bun­des­gericht zuzus­tim­men, denn damit ent­falle eine Manip­u­la­tion­s­möglichkeit durch Wahl eines späteren, für die Bank gün­stigeren Zeitpunkts. 

Die Vorin­stanz hat­te gestützt auf das Gutacht­en fest­ge­hal­ten, die Bank hätte auf Basis der Eröff­nungskurse der den Optio­nen zugrunde liegen­den Aktien rund CHF 190’000 mehr belas­ten kön­nen; gestützt darauf hat­te es Ein­wand des Kun­den ver­wor­fen, die Bank habe die Para­me­ter zur Bew­er­tung zu ihren Gun­sten manip­uliert. Das Bun­des­gericht stützte diese Auf­fas­sung und wies die Beschw­erde ab.