Mit Urteil vom 23. Mai 2013 (BGE 4A_449/2012) hat das Bundesgericht den kartellrechtlichen Anspruch eines Käsers auf Aufnahme in eine Käserei-Genossenschaft, die faktisch alleine über eine eingetragene geschützte Urspungsbezeichnung verfügen konnte und daher eine marktbeherrschende Stellung gemäss Art. 4 Abs. 2 KG inne hatte, bejaht. Die Genossenschaft hatte sich mit der sachlich nicht gerechtfertigten Nichtaufnahme des Käsers in die Genossenschaft unzulässig im Sinne von Art. 7 Abs. 1 KG verhalten.
Dem Entscheid liegt folgender Sachverhalt zugrunde: “L’Etivaz” ist seit 1999, gestützt auf ein Gesuch der Genossenschaft der Bergkäsefabrikanten “L’Etivaz”, eine eingetragene geschützte Ursprungsbezeichnung (GUB) gemäss GUB/GGA-Verordnung. Die Genossenschaft betreibt in Château‑d’Oex eine Käserei; die einzige, die die GUB nutzte. Ein Käser auf der Alm Témeley-Aï hatte sich mehrfach um Aufnahme in die Genossenschaft und damit um Zugang zur GUB bemüht, war aber jeweils abgewiesen worden. Eine andere Käserei, die den Anforderungen des GUB-Pflichtenheftes — insbesondere die Reifung des Käse in einem Keller, der mehr als 3000 Stück Käse fasst — entsprochen hätte, ohne aber die GUB zu nutzen, verweigerte die Aufnahme ebenfalls. Sie wollte die Käserei der Genossenschaft nicht konkurrenzieren. Daraufhin klagte der Käser gegen die Genossenschaft mit dem Begehren, sie habe ihn aufzunehmen und Schadenersatz zu leisten. Das Kantonsgericht Waadt hiess die Klage als einzige kantonale Instanz nach Anhörung der Wettbewerbskommission (WEKO) gut. Das Bundesgericht hat die dagegen
erhobene Beschwerde der Genossenschaft nun im Hauptpunkt abgewiesen, wenn auch mit abweichender Begründung.
Von Interesse sind die Erwägungen des Bundesgerichtes insbesondere zur Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 4 Abs. 2
KG (E 5.3, E 6). Der Vollständigkeit halber werden nachfolgend aber zunächst die wesentlichen Ausführungen der WEKO und des Kantonsgerichtes Waadt (E 5.2) skizziert.
(i) Zunächst vertrat die WEKO in ihrer Vernehmlassung (siehe RPW 2011/2, S. 302 ff. — PDF) die Auffassung, der relevante Markt sei auf die Reifung von Hartkäse (“l’affinage du fromages à pâte dure”) abzugrenzen, auf welchem die Genossenschaft keine marktbeherrschende Stellung inne habe. Die tatsächliche Marktabgrenzung liess die WEKO allerdings offen, da ihrer Ansicht nach ohnehin kein unzulässiges Verhalten vorlag. Insbesondere verneinte die WEKO die Verweigerung des Zugangs zu einer sog. “essential facility” im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. a KG. Dem Käser hätten andere Möglichkeiten offen gestanden, die GUB zu nutzen, oder er hätte eine andere GUB nutzen können, wie etwa “Gruyère” [E 5.2, und RPW 2011/2, S. 302 ff.].
(ii) Das Kantonsgericht Waadt erkannte demgegenüber auf einen Markt für Käse, der unter der geschützten Bezeichnung “l’Etivaz” kommerzialisierbar ist (“fromage commercialisable sous l’appellation protégée l’Etivaz”). Die strengen Vorschriften für die Produktion des “L’Etivaz AOC” hätten nach Ansicht des Kantonsgerichtes dazu geführt, dass entsprechend produzierter Hartkäse zu besseren Preisen vermarktet werden könne als anderer Hartkäse, was objektiv gegen eine Substituierbarkeit mit anderem Hartkäse spreche. In subjektiver Hinsicht sei weiter einschränkend die Vorliebe der Konsumenten für bestimmte Käsesorten zu beachten. Aus Verbrauchersicht seien die verschiedenen AOC-Käsesorten folglich nicht untereinander substituierbar, die Genossenschaft verfüge über eine marktbeherrschende Stellung [E 5.2 a.E.]
(iii) Das Bundesgericht hat die Erwägungen des Kantonsgerichtes zwar aus verschiedenen Gründen verworfen [E 5.3], das Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung der Genossenschaft gemäss Art. 4 Abs. 2 KG im Ergebnis aber bejaht [E 6.1].
Zunächst hielt das Bundesgericht zum Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung fest:
Une entreprise occupe une position dominante, parmi d’autres hypothèses,
lorsqu’elle détient la totalité du marché déterminant et qu’elle n’est
exposée à aucune concurrence parce que des circonstances de fait ou de
droit rendent improbable l’irruption d’une autre entreprise sur ce
marché. La position dominante peut être occupée par plusieurs
entreprises agissant de concert. Conformément à la théorie de l’«essential facility» désormais consacrée aussi en droit suisse, la
position dominante peut résulter de ce que l’entreprise dispose de
droits exclusifs sur une installation, une infrastructure ou un
équipement indispensable et qu’il n’existe pas de substitut réel ni
potentiel.
Auf diese Kriterien habe sich auch das Kantonsgericht Waadt berufen, und die Genossenschaft habe diese Kriterien auch nicht bestritten. Mit Blick auf das Pflichtenheft bzw. die Voraussetzungen für die Nutzung der GUB erwog das Bundesgericht sodann, dass diese eine Wettbewerbsbeschränkung darstellen können [E 6.1]:
Selon l’art. 2 al. 2 du cahier des charges de l’appellation protégée «L’Etivaz», l’affinage doit s’accomplir dans l’ancien district du
Pays-d’Enhaut, dit zone d’affinage, comprenant les communes de
Rossinière, Château-d’Oex et Rougemont. Selon l’art. 13 du cahier des charges, «l’affinage se fait exclusivement dans des caves d’une capacité de trois mille pièces ou plus». Cette règle a notamment pour effet de réduire les possibilités de concurrence sur le marché ici déterminant. Une règle quantitative de ce genre, à moins qu’elle ne soit nécessaire aux caractéristiques du produit ou typique de sa méthode de production spécifique […], peut receler une entrave à la concurrence […].
Das in Frage stehende Pflichtenheft sei allerdings vom zuständigen Bundesamt für Landwirtschaft bewilligt worden. Eine kartellrechtliche Kontrolle der Voraussetzungen für die Nutzung der GUB als solche sei insofern nicht möglich. Den Feststellungen des Kantonsgerichts zufolge bestünden in der zone d’affinage nach Art. 2 Abs. 2 des Pflichtenheftes jedoch lediglich zwei Reifungskeller, welche den Anforderungen von Art. 13 des Pflichtenheftes genügen, von denen einer die GUB nicht verwendete, um die Genossenschaft nicht zu konkurrenzieren. Das Kantonsgericht sei deshalb a bon droit von einer markbeherrschenden Stellung der Genossenschaft ausgegangen. [E 6.1].
Das Bundesgericht sah es schliesslich als erstellt an, dass die Genossenschaft die Produktionsmenge des Käsers hätte aufnehmen können, zumal der verstorbene Vorgänger des klagenden Käsers Mitglied der Genossenschaft gewesen sei und jeweils eine vergleichbare Produktionsmenge in den Kellern der Genossenschaft reifen liess. Die Genossenschaft konnte sich deshalb nach Ansicht des Bundesgerichtes insbesondere nicht auf einen Kapazitätsengpass als “legitimate business reason” bzw. justification objective für die Zugangsverweigerung berufen. Das Bundesgericht erkannte das Verhalten der Genossenschaft im Ergebnis als unzulässig im Sinne von Art. 7 Abs. 1 KG [E 7], und es verpflichtete die Genossenschaft zur Aufnahme des Käsers [Dispositiv Ziff. 1].