Der Bundesrat hat in Erfüllung des Postulats Amherd “Rechtliche Basis für Social Media” (11.391) einen auf heute (9.10.) datierten Bericht vorgelegt und festgehalten, dass die neuen Herausforderungen durch soziale Netzwerke wie Twitter, Blogs oder Facebook kein eigenes Spezialgesetz erfordern. Das Postulat hatte gefragt,
- Wie ist die aktuelle Rechtslage in der Schweiz und international in Bezug auf die Social Media?
- Wo bestehen Lücken im Recht? Wie können sie geschlossen werden?
- Wie beurteilt der Bundesrat die Schaffung eines eigenen Social-Media-Gesetzes, das den Besonderheiten dieser neuen Kommunikationsplattformen Rechnung trägt?
Der Bericht setzt sich zunächst auf rund 40 Seiten mit der heutigen Rechtslage auseinander, u.a. mit Bezug auf folgende Punkte:
- “Zensur von Inhalten”
- insbesondere auch datenschutzrechtliche Fragen (wobei Einwilligungen in AGB grundsätzlich gültig seien, unter Vorbehalt der allgemeinen Schranken wie der Urteilsfähigkeit und der Ungewöhnlichkeitsregel, und unter Vorbehalt eines späteren Widerrufs)
- “lock-in”-Effekt bei sozialen Plattformen, wobei hier die Entwicklung dieses Themas in Zukunft noch nicht absehbar sei; hier dürfte auch der Einfluss einer (allfälligen) europäischen Datenschutz-Grundverordnung interessant sein;
- Ehrverletzungen und andere Persönlichkeitsverletzungen wie z.B. “Cyber-Bullying”;
- “Identitätsdiebstahl”
- Social media monitoring
- Verstösse gegen allgemeine Interessen wie z.B. bei rassistischen Äusserungen (“hate speech”
- Pornografie
- Massenmobilisierung (man denke an “Tanz Dich frei”)
- verdeckte und verbotene Werbung
- Schutz besonderer Parteien (namentlich Kinder)
- arbeitsrechtliche Fragestellungen
Der abschliessende “Versuch einer Gesamtwürdigung der aktuellen Rechtslage” beginnt mit der Feststellung, dass das geltende Recht reicht:
[…] ergibt sich ein ausgesprochen facettenreiches Gesamtbild. Verallgemeinernde Aussagen sind schwierig. Grob gesagt lässt sich aber aufgrund bisheriger Erfahrungen festhalten, dass die oft weit formulierten Regelungen des geltenden schweizerischen Gesetzesrechts im Konfliktfall so interpretiert und angewendet werden können, dass ausgewogenen Lösungen möglich sind. Grössere Regelungslücken springen nicht ins Auge.
Der Bundesrat fragt sich allerdings, ob die Konsumenten ausreichend zum eigenen Glück gezwungen werden:
Die bisherige Praxis schweizerischer Gerichte und Behörden ist allerdings noch spärlich. So fragt es sich, ob das bestehende Recht genügende Anreize für Betroffene schafft, sich aktiv für ihre Rechte einzusetzen.
Probleme sieht der Bundesrat aber bei datenschutzrechtlichen Aspekten, besonders mit Bezug auf internationale Verhältnisse:
Verbesserungspotenzial dürfte es beispielsweise in verschiedenen datenschutzrechtlichen Aspekten geben (wie etwa den Ressourcen des EDÖB und der fehlenden Pflicht zu datenschutzfreundlichen Voreinstellungen; vgl. vorne Ziff. 4.3.1.5). Gerade technische Entwicklungen könnten dazu beitragen, dass die Bevölkerung bestehende Rechtsansprüche wirkungsvoller wahrnehmen kann.
Darüber hinaus bleibt in manchen Bereichen eine gewisse Unsicherheit, ob die Anwendung der allgemeinen Vorschriften auf die neuen Rechtsfragen in einem vor Gericht ausgetragenen Konflikt tatsächlich zu praktisch befriedigenden Ergebnissen führen wird. Diese Unsicherheit hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die praktische Durchsetzung bestehender Rechtsansprüche im internationalen Umfeld sozialer Plattformen prekär sein kann.
Abschliessend empfiehlt der Bundesrat folgendes weitere Vorgehen:
- Datenschutz: Hier ist das EJPD beauftragt, dem Bundesrat bis Ende 2014 Vorschläge zur Revision des DSG zu unterbreiten.
- Jugendmedienschutz: Hier wird bis Ende 2015 nach Regulierungsbedarf geforscht.
- Zivilrecht: Die Verantwortlichkeit von Access- und Hostingprovidern sei hier zu prüfen (Stichwort Tribune de Genève; dazu vgl. Schoch/Schüpp, Jusletter 13.5.13). Das EJPD werde sich dieser Frage annehmen.
- Fernmelderecht: Das UVEK werde im Rahmen einer Vernehmlassungsvorlage zur Revision des FMG (voraussichtlich wird die Revision noch diese Legislaturperiode vom Bundesrat in Auftrag gegeben) klären, welche Regeln des Fernmelderechts in Zukunft auf Social-Media-Betreiber anwendbar sein sollen.
- Datenmitnahme: Hier solle das UVEK auch prüfen, ob ein Recht auf Datenportabilität einzuführen ist.
Um die Gefahr der Verzettelung zu bannen — da all diese Aktivitäten nicht spezifisch auf Social Media ausgerichtet sind — sei es angezeigt, bis Ende 2016 eine erneute Standortbestimmung vorzunehmen.