5A_199/2014: Der Eheungültigkeitsgrund von Art. 105 Ziff. 4 ZGB kommt nicht rückwirkend zur Anwendung (amtl. Publ.)

Gegen­stand des vor­liegen­den Entschei­des war die Frage der Rück­wirkung des per 1. Jan­u­ar 2008 in Kraft getrete­nen Ehe­ungültigkeits­grun­des gemäss Art. 105 Ziff. 4 ZGB auf vor diesem Datum geschlossene Ehen. Nach Art. 105 Ziff. 4 ZGB liegt ein Ungültigkeits­grund vor, wenn ein­er der Ehe­gat­ten nicht eine Lebens­ge­mein­schaft begrün­den, son­dern die Bes­tim­mungen über Zulas­sung und Aufen­thalt von Aus­län­derin­nen und Aus­län­dern umge­hen will. 

Der Beschw­erde­führer brachte im Wesentlichen vor, dass es sich bei der Ehe um einen Dauer­sachver­halt han­dle und der Ungültigkeits­grund von Art. 105 Ziff. 4 ZGB unbe­fris­tet sei. Die Norm sei Bestandteil der öffentlichen Ord­nung und falle in den Anwen­dungs­bere­ich von Art. 2 SchlT ZGB. Weit­er gehöre die Bes­tim­mung zum schweiz­erischen Ordre pub­lic, sei ein Anwen­dungs­fall des Rechtsmiss­brauchs (Scheine­he) und Rechtsmiss­brauch dürfe nie geschützt wer­den; daher gebe es auch keinen Vertrauensschutz.

Das Bun­des­gericht verneinte die Rück­wirkung mit fol­gen­der Begründung:

“Regelt der Geset­zge­ber den zeitlichen Anwen­dungs­bere­ich bei ein­er Geset­zes­re­vi­sion nicht beson­ders, so sind die Art. 1 bis 4 SchlT ZGB mass­gebend. Aus­gangspunkt bildet dabei die in Art. 1 SchlT ZGB enthal­tene Grun­dregel der Nichtrück­wirkung ein­er Geset­zesän­derung, welche für den gesamten Bere­ich des Zivil­rechts gilt […]. Eine Aus­nahme gemäss Art. 2 SchlT ZGB, welch­er eine echte Rück­wirkung vor­sieht, ist eher sel­ten gegeben. Es reicht nicht, dass die neue Norm imper­a­tiv­er Natur ist; der Ordre pub­lic und die Sit­tlichkeit erlauben eine rück­wirk­ende Anwen­dung einzig dann, wenn die Norm zu den fun­da­men­tal­en Prinzip­i­en der aktuellen Recht­sor­d­nung gehört, d.h. wenn sie grundle­gende sozialpoli­tis­che und ethis­che Anschau­un­gen verkör­pert […].” (E. 4).

Das Bun­des­gericht verneinte den Ordre-pub­lic-Gehalt von Art. 105 Ziff. 4 ZGB (E. 4). Es stellte überdies fest, dass im vor­liegen­den Kon­tentext nicht das dura­tive Ele­ment des Ehebe­standes, son­dern das punk­tuelle Ele­ment der Eheschlies­sung im Vorder­grund ste­ht. Mass­ge­blich seien die Umstände im Zeit­punkt des Eheschlusses (E. 4). Das Bun­des­gericht kam zum Schluss, dass nachträglich einge­führte Ungültigkeits­gründe — unter Vor­be­halt ein­er vom Geset­zge­ber bewusst ange­ord­neten echt­en Rück­wirkung — eine zu einem früheren Zeit­punkt zivil­rechtlich gültig abgeschlossene Ehe nicht ungültig machen können.