2C_248/2015: Barauszahlung der BVG-Austrittsleistung zur Aufnahme der selbständigen Erwerbstätigkeit | Vorsorgetarif setzt keine geschäftliche Verwendung der bezogenen Mittel voraus

Gemäss BGE 2C_248/2015; 2C_249/2015 dür­fen Barauszahlun­gen der Aus­trittsleis­tung aus beru­flich­er Vor­sorge zwecks Auf­nahme ein­er selb­ständi­gen Erwerb­stätigkeit im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG dur­chaus für pri­vate Leben­shal­tungskosten ver­wen­det wer­den. Die priv­i­legierte Besteuerung gemäss Art. 22 Abs. 3 i.V. mit Art. 38 DBG set­zt nicht voraus, dass die vor­be­zo­ge­nen Mit­tel in das Geschäft oder allen­falls in alter­na­tive For­men der Vor­sorge investiert wer­den. (Dies im Unter­schied zum Vor­bezug für Wohneigen­tum gem. Art. 30c BVG, welch­er gem. BGer zwin­gend der Finanzierung von selb­st­be­wohn­tem Wohneigen­tum dienen muss; s. Hin­weis in E. 3.4.2).

Ein Treuhän­der hat­te sein 80%-Teilzeitpensum im März 2011 aufgegeben und unstre­it­ig eine selb­ständi­ge Erwerb­stätigkeit unter (bere­its seit 2006 vorbeste­hen­der) eigen­er Einzelfir­ma aufgenom­men. Das bezo­gene Vor­sorgekap­i­tal von rund CHF 80‘000 hat­te er – wie sich aus der ordentlichen Steuer­erk­lärung ergab — für pri­vate Leben­shal­tungskosten, Äuf­nung des pri­vat­en Ver­mö­gens sowie Rück­zahlung von pri­vat­en Schulden ver­wen­det. Aus diesem Grund hob die zuständi­ge Ver­an­la­gungs­be­hörde im Kan­ton Solothurn die bere­its in Recht­skraft erwach­sene Ver­an­la­gung des Kan­tonalen Steuer­amts Solothurn von Okto­ber 2011 betr. Kap­i­talleis­tung (Son­der­s­teuer zum reduzierten Satz) wieder auf und erfasste den Bar­bezug zusam­men mit dem übri­gen Einkom­men im Rah­men ein­er „berichtigten [ordentlichen] Ver­an­la­gung“ im Mai 2014 zum Nor­mal­tarif (E.2).

Zur Begrün­dung führte die Ver­an­la­gungs­be­hörde sowie im Beschw­erde­v­er­fahren auch das kan­tonale Steuerg­ericht aus, dass ein Nach­weis für die Investi­tion der Kap­i­talzahlung in den Betrieb fehle. Somit fehle es an einem Barauszahlungs­grund gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG und damit an ein­er Voraus­set­zung für die priv­i­legierte Besteuerung zum Vor­sor­ge­tarif. Das Steuerg­ericht berief sich hier­für auf die “ratio legis” von Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG und die Recht­sprechung des Bun­des­gerichts im Urteil 2C_156/2010 vom 7. Juni 2011 (E.5.3).

Hierge­gen führte das BGer aus:

5.4 Wie das Bun­des­gericht bere­its in BGE 139 V 367 fest­ge­hal­ten hat, ist der Wort­laut von Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG klar. Die Barauszahlung set­zt (kumu­la­tiv) die Auf­nahme ein­er selb­ständi­gen Erwerb­stätigkeit und das Fehlen eines Ver­sicherung­soblig­a­to­ri­ums voraus. Es sind keine Gründe ersichtlich, vom Wort­laut des Geset­zes abzuwe­ichen. Ratio legis von Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG ist die finanzielle Unter­stützung beim Auf­bau ein­er Unternehmung; dies als Aus­nahme vom Grund­satz, dass das Vor­sorgeguthaben als Altersvor­sorge erhal­ten bleiben soll. Dabei ist der Geset­zge­ber davon aus­ge­gan­gen, dass der Auf­bau ein­er selb­ständi­gen Exis­tenz als Grund­lage für eine aus­re­ichende Altersvor­sorge durch Selb­stvor­sorge dient, weshalb der Ver­sicherte kein­er beru­flichen Vor­sorge mehr bedarf (BGE 139 V 367 E. 2.2 mit Hinweisen).

5.5. Eine rechtliche Verpflich­tung zur Investi­tion des freige­wor­de­nen Vor­sorgegeldes in das Geschäftsver­mö­gen lässt sich daraus aber nicht ableit­en. Eine solche Bindung würde sich namentlich dann als unzweck­mäs­sig erweisen, wenn die Freizügigkeit­sleis­tung als Kom­pen­sa­tion für das wegge­fal­l­ene Arbeit­seinkom­men vor­erst für den Leben­sun­ter­halt herange­zo­gen wer­den muss oder wenn die selb­ständi­ge Erwerb­stätigkeit nur auf wenige Betrieb­smit­tel angewiesen ist. Der Geset­zge­ber geht zudem davon aus, dass die selb­ständig erwer­bende Per­son für die Erhal­tung ihres Vor­sorgeschutzes selb­st ver­ant­wortlich ist.

In der Folge hiess das Bun­des­gericht die Beschw­erde des Treuhän­ders sowohl für die direk­te Bun­dess­teuer als auch für die (auf inhaltlich übere­in­stim­menden Bes­tim­mungen basierende) Staatss­teuer gut und wies die Sache zu neuer Ver­an­la­gung im Sinne der Erwä­gun­gen an die Ver­an­la­gungs­be­hörde zurück (E.7).