Gemäss einem Grundsatzentscheid des Bundesgerichts ist Amtshilfe an Frankreich unter dem massgebenden Doppelbesteuerungsabkommen zuzulassen, selbst wenn die Grundlagen für das konkrete Amtshilfegesuch aus einem Datendiebstahl in Frankreich herrühren. Weder das Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich noch dispositives Gesetzesrecht stehen einer Amtshilfe an Frankreich in einem solchen Fall entgegen, weil der betreffende Datendiebstahl in der Schweiz nicht strafrechtlich verfolgt werden könnte. In einem nachfolgenden Fall hat das Bundesgericht anders entschieden, weil dort der Datendiebstahl in der Schweiz geschehen und hier auch strafrechtlich verfolgt worden war (Medienmitteilung BGer vom 5.4.2017).
Sachverhalt
Gegenstand des Verfahrens war ein im Dezember 2012 bei der EStV eingereichtes und 12 Monate später ergänztes Gesuch um steuerliche Amtshilfe der Direction Générale des Finances Publique Francaise (ersuchende Behörde). Teil des Gesuches war eine Namensliste von Personen, welche in den Jahren 2010–2012 in Frankreich unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig waren, ihre Konten bei der UBS in der Schweiz gegenüber dem französischen Fiskus aber nicht korrekt deklariert hatten. Die betreffenden Informationen seien gemäss französischer Steuerbehörde erforderlich, damit diese das Ausmass gewisser Steuerdelikte und die daraus resultierende Steuerschuld beziffern könne.
Ein in der Schweiz wohnhafter Franzose (A.) wehrte sich vor Bundesverwaltungsgericht gegen die Auslieferung seiner Daten, unter anderem mit dem Einwand, das Amtshilfegesuch stützte sich auf gestohlene Daten, wobei es um eine einmalige Überweisung aus französischer Quelle im Betrag von „36‘720“ ging (Währung nicht bekannt). Kadermitarbeiter der UBS in Frankreich hatten gemäss Medienberichten im Jahr 2010 diverse bankinterne Informationen, inklusive Kundendaten, an die französische Finanzmarktaufsicht weitergeleitet, um illegale Geschäftspraktiken ihres Arbeitgebers anzuprangern, was zu diversen Strafuntersuchungen führte. In diesem Zusammenhang waren die gannten Bankkundendaten schliesslich an die französische Steuerverwaltung gelangt.
Mit Entscheid vom 15. September 2015 hiess das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde von A. gut. Es kam zum Schluss, die Übermittlung von Daten an Frankreich würde unter den gegebenen Umständen unter anderem gegen Art. 28 Abs. 3 lit. c Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz-Frankreich (DBA‑F; SR 0.672.934.91) sowie gegen Art. 7 lit. c Steueramtshilfegesetz (StAhiG; SR 651.1) verstossen. Unter anderem hatte das BVerwG hierzu ausgeführt, Art. 7 lit. c StAhiG verlange nicht, dass nach dem Ort der Begehung der strafbaren Tat unterschieden werde, weshalb diese Bestimmung auch auf Datendiebstahl im Ausland anwendbar sei. Zudem sei der behauptete Datendiebstahl von der betroffenen Person nicht strikt zu beweisen, Medienberichte reichten aus.
Die EStV bestreitet diese Rechtsauffassung und verlangt die Aufhebung des Entscheides.
Rechtliches
Aufgrund der voliegenden Rechtsfrage(n) von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von Art. 84a / 84 Abs. 2 BGG tritt das Bundesgericht auf die Sache ein.
Das Bundesgericht ermittelt zunächst die Bedeutung von Art. 28 Abs. 3 lit. b DBA‑F nach der allgemeinen Auslegungsregel von Art. 31 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (SR 0.111). Bereits mit Blick auf den Wortlaut hält es fest, dass besagte Regelung sich nicht an den ersuchenden Staat richte. Der Text äussere sich vielmehr zur Situation auf Seiten des ersuchten Staates. Die Regelung betreffe die Frage, ob der ersuchte Staat die verlangten Informationen im Einklang mit seinem internen Recht beschaffen könne oder nicht (E. 6.3.2), was vorliegend nie beanstandet worden war.
Der OECD-Kommentar zu Art. 26 Abs. 3 lit. b OECD-Musterabkommen stütze diese grammatikalische Auslegung ebenso wie die in diesem Zusammenhang bisher ergangene Rechtsprechung und wie auch die umfangreiche schweizerische Kommentarliteratur (E. 6.3.5).
Art. 28 Abs. 3 lit. b DBA‑F biete somit keine geeignete Rechtsgrundlage, die Amtshilfe vorliegend zu verweigern, bloss weil der ersuchende Staat sein Gesuch angeblich auf unrechtmässig erlangte Informationen abstütze (E. 6.3.6).
Sodann erwähnt das Bundesgericht den Bundesbeschluss zur Genehmigung des Zusatzabkommens zum DBA‑F vom 18. Juni 2010 (BB, SR 672.934.9). Art. 3 dieses BB enthält eine einseitige Erklärung des Bundesrates an den französischen Staat, wonach „ […] die Schweiz keine Amtshilfe in Steuersachen leistet, wenn das Amtshilfegesuch auf illegal beschafften Daten beruht […]“. Obwohl diese Erklärung dem Wortlaut nach keine Einschränkungen hinsichtlich Strafbarkeit nach Schweizer Recht enthält, stellt das Bundesgericht hierzu keine weiteren Überlegungen an. Es belässt es bei der Bemerkung, das Parlament habe diese Erklärung gegen den Willen des Bundesrates in den Bundesbeschluss aufgenommen und es sei davon auszugehen, die Erklärung habe denselben Anwendungsbereich wie die dispositive Gesetzesnorm von Art. 7 lit. c StAhiG (E. 7.2).
Zentrales Thema dieses Entscheides ist die Rechtsfrage, in wie weit das auf Datendiebstahl und Denunziation beruhende Gesuch den Grundsatz von Treu und Glauben verletzt, welcher in Art.28 DBA‑F implizit und Art. 7 lit. c StAhiG explizit verankert ist (E. 8.1).
Vor diesem Hintergrund prüfte das Bundesgericht zunächst Art. 7 lit. c StAhiG:
Dessen grammatikalisch Auslegung führt zum Zwischenergebnis, dass beide Auffassungen vertretbar seien: (1.) Ausschluss der Amtshilfe nur dann, wenn die fraglichen Handlungen tatsächlich in der Schweiz strafrechtlich verfolgt werden könnten. (2.) Ausschluss auch dann, wenn die fraglichen Handlungen zwar im Ausland begangen wurden, aber in der Schweiz strafrechtlich verfolgt werden könnten, wären sie in der Schweiz begangen worden (E. 8.5.1).
Unter dem Titel der historischen Auslegung stellt das Bundesgericht weiter fest, dass sich aus der Gesetzesbotschaft zur vorliegenden Streitfrage nichts Eindeutiges entnehmen lasse. Das BGer rekapituliert sodann die parlamentarischen Debatten. Aufgrund von zwei Voten eines Nationalrates kommt das BGer zum Schluss, der Gesetzgeber habe vorliegend ausschliesslich das Szenario des Datendiebstahls in der Schweiz sanktionieren wollen und keinesfalls Datendiebstahl im Ausland. [Hinweis des Autors: Ein weiteres vom BGer zitiertes Votum eines zweiten NR (NR Bumann) lässt sich nicht als Indiz für diese enge Auslegung auffassen: …“par example des données acquises par des moyens illégaux. On a tous en mémoire les vols des données bancaires“] (E. 8.5.2).
Unter dem Titel der systematischen und teleologischen Auslegung befindet das Bundesgericht weiter, es könne nicht Sinn und Zweck der Bestimmung sein, der EStV die Verantwortung aufzubürden, über eine (hypothetische) Strafbarkeit nach schweizerischem Recht zu befinden. Eine solche weite Auslegung der Bestimmung von Art.7 lic. c StAhiG laufe zudem auf eine extraterritoriale Anwendung des schweizerischen Strafrechts hinaus, was mit dem Konzept der steuerlichen Amtshilfe nicht vereinbar sei (E. 8.5.4).
Gemäss Bundesgericht gebe es zur vorliegenden Streitfrage kaum Literatur. Bloss zwei Autoren hätten bisher eine Anwendung von Art. 7 lit. c StAhiG im Sinne der Vorinstanz vertreten, allerdings mit gemäss BGer wenig überzeugenden Argumenten (E. 8.5.5).
Gestützt auf vorstehende Überlegungen schliesst das Bundesgericht, dass die Amtshilfe nur dann unter dem Titel von Art.7 lit. c StAhiG verweigert werden könne, wenn die Beschaffung der gesuchsrelevanten Daten tatsächlich in der Schweiz strafrechtlich verfolgt werden könnte (E. 8.5.6). Dies sei vorliegend nicht erfüllt, weil unter den gegebenen Umständen weder unter dem Titel von Art. 47 Bankgesetz (Bankgeheimnis; E. 8.6.1), noch unter Art. 162 StGB (Verletzung des Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses; E. 8.6.2), noch unter Art. 273 Abs. 2 StGB (wirtsch. Nachrichtendienst; E. 8.6.3) ein Verfahren in der Schweiz eröffnet werden könne. Aus diesen Gründen liege vorliegend kein Anwendungsfall von Art. 7 lit. c StAhiG vor.
Auch die nachfolgenden Erwägungen des Bundesgerichts zum allgemeinen Prinzip von Treu und Glauben führen zu keinem anderen Resultat (E 8.7).
Ergänzend weist das Bundesgericht darauf hin, dass der deliktische Ursprung der Gesuchsgrundlagen gemäss Aktenlage nicht ausreichend bewiesen sei. Es erwähnt zudem, dass die französischen Steuerbehörden Informationen von Dritten sehr wohl verwenden dürften, selbst wenn diese aus einem Datendiebstahl stammten (kraft besonderer Gesetzesbestimmung; zitiert in E. 8.7.3). Das Bundesgericht verneint sodann das Vorliegen eines Verstosses gegen den Ordre Publique im Sinne von Art. 28 Abs. 3 lit. c DBA‑F (E. 10; keine Anhaltspunkte für einen solchen) sowie eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips im Sinne von Kapitel XI/Art.10 des Zusatzprotokolls zum DBA‑F (Erw. 11.; mangels entsprechenden Nachweises seitens des Beschwerdeführers) und äussert sich zur voraussichtlichen Erheblichkeit im Sinne von Art. 28 Abs. 1 DBA‑F (sei als gegeben zu betrachten; E. 12).
Nach dem Gesagten bestehen gemäss Bundesgericht für die Übermittlung der Daten an die ersuchende Behörde keinerlei rechtlichen Einwände, weshalb es den vorinstanzlichen Entscheid aufhebt und den Weg zur Amtshilfe an Frankreich freigibt.
Indirekte Bestätigung dieser Rechtsprechung
In seinem zwischenzeitlich ergangenen BGE vom 17. März 2017 (BGE 2C_1000/2015) bestätigt das Bundesgericht seine Rechtsprechung indirekt. Es untersagt die Amtshilfe an Frankreich, weil der Datendiebstahl in diesem Fall in der Schweiz geschehen und hier auch strafrechtlich verfolgt worden war (Fall HSBC Genf; Falciani).
Siehe auch Berichterstattung in NZZ-online vom 13.3.2017 (betr. ersten BGE) sowie vom 5.4.2017 (betr. zweiten BGE).