4A_443/2017: Anforderungen an die Substanziierung im Zivilprozess

Im Urteil 4A_443/2017 vom 30. April 2018 hat­te das Bun­des­gericht Gele­gen­heit, seine Recht­sprechung zu den Anforderun­gen an die Sub­stanzi­ierung im Zivil­prozess aus­führlich darzule­gen. Fol­gende Erwä­gun­gen seien an dieser Stelle als Zusam­men­fas­sung wörtlich zitiert:

2.  Inwieweit Tat­sachen zu behaupten und zu sub­stanzi­ieren sind, ergibt sich ein­er­seits aus den Tatbe­standsmerk­malen der angerufe­nen Norm und ander­seits aus dem prozes­sualen Ver­hal­ten der Gegenpartei […].
2.1. Eine Tat­sachen­be­haup­tung hat nicht alle Einzel­heit­en zu enthal­ten. Es genügt, wenn die Tat­sachen, die unter die das Begehren stützen­den Nor­men zu sub­sum­ieren sind, in ein­er den Gewohn­heit­en des Lebens entsprechen­den Weise in ihren wesentlichen Zügen oder Umris­sen behauptet wer­den […]. Ein solcher­massen voll­ständi­ger Tat­sachen­vor­trag wird als schlüs­sig beze­ich­net, da er bei Unter­stel­lung, er sei wahr, den Schluss auf die anbegehrte Rechts­folge zulässt […]. Die Behaup­tungs- und Sub­stanzi­ierungslast zwingt die damit belastete Partei nicht, sämtliche möglichen Ein­wände der Gegen­partei vor­weg zu entkräften […]. Nur soweit der Prozess­geg­n­er den schlüs­si­gen Tat­sachen­vor­trag der behaup­tungs­be­lasteten Partei bestre­it­et, greift eine über die Behaup­tungslast hin­aus­ge­hende Sub­stanzi­ierungslast. Die Vor­brin­gen sind dies­falls nicht nur in den Grundzü­gen, son­dern in Einzeltat­sachen zer­gliedert so umfassend und klar darzule­gen, dass darüber Beweis abgenom­men oder dage­gen der Gegen­be­weis ange­treten wer­den kann […].
[…]
2.2.1. […] Der blosse pauschale Ver­weis auf Beila­gen genügt in aller Regel nicht […]. Es geht darum, dass nicht das Gericht und die Gegen­partei aus den Beila­gen die Sach­darstel­lung zusam­men­su­chen müssen. Es ist nicht an ihnen, Beila­gen danach zu durch­forsten, ob sich daraus etwas zu Gun­sten der behaup­tungs­be­lasteten Partei ableit­en lässt […].
2.2.2. Das bedeutet nicht, dass es nicht aus­nahm­sweise zuläs­sig sein kann, seinen Sub­stanzi­ierung­sobliegen­heit­en durch Ver­weis auf eine Beilage nachzukom­men. Wer­den Tat­sachen in ihren wesentlichen Zügen oder Umris­sen in ein­er Rechtss­chrift behauptet […] und wird für Einzel­heit­en auf eine Beilage ver­wiesen, ist vielmehr zu prüfen, ob die Gegen­partei und das Gericht damit die notwendi­gen Infor­ma­tio­nen in ein­er Art erhal­ten, die eine Über­nahme in die Rechtss­chrift als blossen Leer­lauf erscheinen lässt, oder ob der Ver­weis ungenü­gend ist, weil die nöti­gen Infor­ma­tio­nen in den Beila­gen nicht ein­deutig und voll­ständig enthal­ten sind oder aber daraus zusam­menge­sucht wer­den müssten. Es genügt nicht, dass in den Beila­gen die ver­langten Infor­ma­tio­nen in irgen­dein­er Form vorhan­den sind. Es muss auch ein prob­lem­los­er Zugriff darauf gewährleis­tet sein, und es darf kein Inter­pre­ta­tion­sspiel­raum entste­hen. Der entsprechende Ver­weis in der Rechtss­chrift muss spez­i­fisch ein bes­timmtes Akten­stück nen­nen und aus dem Ver­weis muss selb­st klar wer­den, welche Teile des Akten­stücks als Parteibehaup­tung gel­ten sollen. Ein prob­lem­los­er Zugriff ist gewährleis­tet, wenn eine Beilage selb­sterk­lärend ist und genau die ver­langten (beziehungsweise in der Rechtss­chrift beze­ich­neten) Infor­ma­tio­nen enthält. Sind diese Voraus­set­zun­gen nicht gegeben, kann ein Ver­weis nur genü­gen, wenn die Beilage in der Rechtss­chrift der­art konkretisiert und erläutert wird […], dass die Infor­ma­tio­nen ohne weit­eres zugänglich wer­den und nicht inter­pretiert und zusam­menge­sucht wer­den müssen […].
[…]
4.1. Bestre­itun­gen sind so konkret zu hal­ten, dass sich bes­tim­men lässt, welche einzel­nen Behaup­tun­gen des Klägers damit bestrit­ten wer­den; die Bestre­itung muss ihrem Zweck entsprechend so konkret sein, dass die Gegen­partei weiss, welche einzelne Tat­sachen­be­haup­tung sie beweisen muss […]. Der Grad der Sub­stanzi­ierung ein­er Behaup­tung bee­in­flusst insofern den erforder­lichen Grad an Sub­stanzi­ierung ein­er Bestre­itung; je detail­liert­er einzelne Tat­sachen eines gesamten Sachver­halts behauptet wer­den, desto konkreter muss die Gegen­partei erk­lären, welche dieser einzel­nen Tat­sachen sie bestre­it­et. Je detail­liert­er mithin ein Parteivor­trag ist, desto höher sind die Anforderun­gen an eine sub­stanzi­ierte Bestre­itung. Diese sind zwar tiefer als die Anforderun­gen an die Sub­stanzi­ierung ein­er Behaup­tung; pauschale Bestre­itun­gen reichen indessen nicht aus. Erforder­lich ist eine klare Äusserung, dass der Wahrheits­ge­halt ein­er bes­timmten und konkreten geg­ner­ischen Behaup­tung infrage gestellt wird […]. Eine hin­re­ichende Bestre­itung lässt die behaup­tungs­be­lastete Partei erken­nen, welche ihrer Behaup­tun­gen sie weit­er zu sub­stanzi­ieren und welche Behaup­tun­gen sie schliesslich zu beweisen hat […]. Dage­gen ist die beweis­be­fre­ite Partei grund­sät­zlich nicht gehal­ten, darzu­tun, weshalb eine bestrit­tene Behaup­tung unrichtig sei […].
[…]
4.3. […] Auch ein Bestre­it­en mit Nichtwissen ist zuläs­sig, jeden­falls soweit die fraglichen Geschehnisse nicht Gegen­stand eigen­er Hand­lun­gen oder Wahrnehmungen der bestre­i­t­en­den Partei bilden […]. […]