4A_9/2018: Anforderungen an die Substanziierung

In ein­er haftpflichtrechtlichen Auseinan­der­set­zung hat­te das Bun­des­gericht die Frage zu beant­worten, ob das Han­dels­gericht des Kan­tons Zürich die Anforderun­gen an die Sub­stanzi­ierung überspan­nt hat­te. Das Bun­des­gericht bejahte die Frage, hiess die Beschw­erde gut und wies die Sache zu neuer Beurteilung an das Han­dels­gericht zurück (Urteil 4A_9/2018 vom 31. Okto­ber 2018).

Das Bun­des­gericht hielt unter anderem fest, dass jew­eils nicht nur die Unfal­lka­usal­ität von Beschw­er­den bestrit­ten wer­den müsse, son­dern auch, ob eine Arbeit­sun­fähigkeit von 100 % beste­he. Dazu führte das Bun­des­gericht wörtlich das Fol­gende aus:

3.  Die Vorin­stanz geht unter Hin­weis auf die Klageant­wort […] und ver­schiedene Stellen der Dup­lik davon aus, die Beschw­erdegeg­ner­in habe die Arbeit­sun­fähigkeit bestritten.

3.1. Wer­den nach einem Unfall Ansprüche aus ein­er behaupteten Arbeit­sun­fähigkeit von 100 % gel­tend gemacht, kön­nen diese aus ver­schieden Grün­den bestrit­ten wer­den. Die beklagte Partei kann ein­er­seits in Abrede stellen, dass die behaupteten gesund­heitlichen Ein­schränkun­gen über­haupt (oder zumin­d­est im behaupteten Aus­mass) beste­hen. Ander­er­seits kann sie bestre­it­en, dass die behaupteten Beschw­er­den (soweit sie tat­säch­lich vor­liegen soll­ten) durch den Unfall verur­sacht wur­den. Und schliesslich kann sie in Zweifel ziehen, ob die behaupteten gesund­heitlichen Beein­träch­ti­gun­gen (wenn sie denn tat­säch­lich beste­hen soll­ten und durch den Unfall verur­sacht wur­den) tat­säch­lich die Arbeits­fähigkeit des Betrof­fe­nen beein­trächti­gen. Streng genom­men bet­rifft lediglich die let­zte Bestre­itung direkt das Beweis­the­ma der Arbeit­sun­fähigkeit, während die erste Bestre­itung das The­ma der gesund­heitlichen Beein­träch­ti­gun­gen und die zweite das­jenige der Unfal­lka­usal­ität betreffen. […]
3.2. Je nach­dem unter welchem Gesicht­spunkt die gel­tend gemacht­en Ansprüche bestrit­ten wer­den, ändern sich die Beweis­the­men und damit auch die Sub­stanzi­ierungsan­forderun­gen. Nur soweit die behaup­tungs­be­lastete Partei erken­nen kann, dass die Gegen­partei nicht nur das Vorhan­den­sein der gesund­heitlichen Ein­schränkun­gen oder deren Unfal­lka­usal­ität bestre­it­et, son­dern auch das behauptete Mass der Ein­schränkung der Arbeits­fähigkeit, das sich aus ein­er als erwiesen und unfal­lka­usal unter­stell­ten gesund­heitlichen Beein­träch­ti­gung ergibt, hat sie die Arbeit­sun­fähigkeit weit­er zu sub­stanzi­ieren und allen­falls Beweis­mit­tel anzu­bi­eten. Anson­sten ist davon auszuge­hen, die Parteien strit­ten nicht über die Auswirkun­gen ein­er gegebe­nen Ein­schränkung auf die Erwerb­s­fähigkeit, son­dern allein um das Aus­mass, in dem die behauptete Ein­schränkung bei der Fest­set­zung der (an sich nicht umstrit­te­nen) Arbeit­sun­fähigkeit zu berück­sichti­gen ist. Reagiert die beklagte Partei auf die Behaup­tung, infolge ein­er gesund­heitlichen Ein­schränkung beste­he eine Arbeit­sun­fähigkeit von 100 %, lediglich indem sie aus­führt, die Ein­schränkung sei nicht unfal­lka­usal, hat die behaup­tungs­be­lastete Partei wed­er zu sub­stanzi­ieren noch zu beweisen, dass die Beein­träch­ti­gung tat­säch­lich beste­ht noch dass sie zu ein­er Arbeit­sun­fähigkeit von 100 % führt. Bei­des hat man­gels Bestre­itung als anerkan­nt zu gel­ten, falls die Unfal­lka­usal­ität (die in diesem Beispiel das einzige Beweis­the­ma bildet) hin­re­ichend sub­stanzi­iert behauptet wird und der Nach­weis der Behaup­tung gelingt. Hätte die Gegen­partei sämtliche Beweis­the­men zum Prozess­the­ma machen wollen, hätte aus ihrer Bestre­itung her­vorge­hen müssen, dass sie bestre­it­et, dass die behauptete Ein­schränkung über­haupt beste­ht, unfal­lka­usal ist und (sofern sie beste­hen und unfal­lka­usal sein sollte) die behaupteten Auswirkun­gen auf die Erwerb­s­fähigkeit hat.
[…]
4.2.3. In der Beschw­erdeant­wort wird auf eine Vielzahl von Stellen ver­wiesen, an denen ange­blich die Arbeit­sun­fähigkeit bestrit­ten wird. Begrün­det wird die Bestre­itung aber meist wiederum damit, die behaupteten Ein­schränkun­gen seien nicht nachgewiesen oder nicht unfal­lka­usal — sie betr­e­f­fen also das Beweis­the­ma der gesund­heitlichen Beein­träch­ti­gun­gen und der Kausal­ität. […] Im Gesamtzusam­men­hang wird vielmehr deut­lich, dass die Beschw­erdegeg­ner­in die behaupteten Beschw­er­den teil­weise für nicht aus­gewiesen oder wieder abgek­lun­gen hält und teil­weise für nicht unfal­lka­usal. Auf­grund der allen­falls verbleiben­den Beschw­er­den hält sie eine andauernde Arbeit­sun­fähigkeit von 100 % nicht für aus­gewiesen. Dage­gen ist nicht fest­gestellt und wird von der Beschw­erdegeg­ner­in auch nicht aufgezeigt, dass sie nähere Infor­ma­tio­nen zu der vom Geschädigten vor dem Unfall aus­geübten Tätigkeit ver­langt oder die Klage insoweit als nicht hin­re­ichend sub­stanzi­iert beze­ich­net hätte. Eben­sowenig zeigt die Beschw­erdegeg­ner­in rechts­genüglich auf, dass sie behauptet hätte, in ein­er anderen Tätigkeit kön­nte allen­falls eine höhere Arbeits­fähigkeit erre­icht wer­den. Damit kon­nten die Beschw­erde­führerin­nen nicht erken­nen, dass insoweit eine weit­ere Sub­stanzi­ierung erforder­lich sein sollte.
4.3. Ins­ge­samt stre­it­en die Parteien darüber, an welchen gesund­heitlichen Beein­träch­ti­gun­gen der Geschädigte lei­det und inwieweit diese durch den Unfall verur­sacht wor­den sind. […] Sie stre­it­en dage­gen nicht darüber, welche Tätigkeit­en zur Ausübung des Berufs des Beschw­erde­führers gehören und inwieweit die behaupteten Beschw­er­den (wenn sie tat­säch­lich und im behaupteten Aus­mass vor­liegen soll­ten) die Arbeits­fähigkeit beein­trächti­gen. Dies­bezüglich war keine weit­ere Sub­stanzi­ierung notwendig. Gelingt den Beschw­erde­führerin­nen der Nach­weis der behaupteten gesund­heitlichen Beein­träch­ti­gun­gen und deren Unfal­lka­usal­ität, ist man­gels rechts­genüglich­er Bestre­itung ohne weit­ere Beweis­ab­nahme von ein­er Arbeit­sun­fähigkeit von 100 % auszuge­hen. […]
4.4. Anders ver­hält es sich, wenn den Beschw­erde­führerin­nen der Nach­weis des Aus­mass­es der unfallbe­d­ingten Beein­träch­ti­gun­gen nur teil­weise gelingt. Dies­falls kann nicht davon aus­ge­gan­gen wer­den, die behauptete Arbeit­sun­fähigkeit von 100 % sei man­gels sub­stanzi­iert­er Bestre­itung anerkan­nt, denn sie wird von der Beschw­erdegeg­ner­in ja ger­ade mit Blick auf das Fehlen der­ar­tiger Beein­träch­ti­gung oder die man­gel­nde Unfal­lka­usal­ität in Abrede gestellt. Es ste­ht ein­er­seits aber noch gar nicht fest, ob die Auswirkun­gen auf die Arbeits­fähigkeit, sofern sich die behaupteten Beschw­er­den nur teil­weise nach­weisen lassen oder als unfal­lka­usal erweisen, zwis­chen den Parteien umstrit­ten sind. Dies wird die Stel­lung­nahme zum Beweis­ergeb­nis ergeben (Art. 232 Abs. 1 ZPO). […] Während eine Sub­stanzi­ierung der Auswirkun­gen der tat­säch­lich vorhan­de­nen gesund­heitlichen Beschw­er­den auf die Arbeit­sun­fähigkeit unter der Voraus­set­zung, dass alle Beschw­er­den unfal­lka­usal sind, ohne weit­eres möglich sein muss, da die Arbeit­sun­fähigkeit dem tat­säch­lichen Zus­tand des Geschädigten entspricht, ist dies nicht zwin­gend der Fall, wenn nur gewisse Beschw­er­den unfal­lka­usal sind. Denn aus dem tat­säch­lich vorhan­de­nen Mass der Ein­schränkung lässt sich ohne Fachken­nt­nisse nicht in allen Fällen schliessen, wie stark die Beein­träch­ti­gung wäre, wenn nur ein Teil der tat­säch­lich vorhan­de­nen Beschw­er­den (näm­lich die durch den Unfall verur­sacht­en) zu berück­sichti­gen sind.