Im zur amtlichen Publikation vorgesehenen Urteil vom 10. Dezember 2018 befasste sich das BGer mit der Eidgenössischen Volksabstimmung vom 10. Juni 2018 über die Volksinitiative “Für krisensicheres Geld; Geldschöpfung allein durch die Nationalbank (Vollgeld-Initiative)”. Gemäss vorläufigem amtlichem Endergebnis wurde die Initiative von Volk (442’387 Ja-Stimmen [24.3 %] zu 1’379’448 Nein-Stimmen [75.7 %] bei einer Stimmbeteiligung von 33.7 %) und von sämtlichen Ständen abgelehnt. Am 19. April 2018 — also im Vorfeld der Volksabstimmung — erhob Michael Derrer eine Abstimmungsbeschwerde an den Regierungsrat des Kantons Aargau. Dieser fällte einen Nichteintretensentscheid, weil sich die gerügten Akte nicht auf das Gebiet des Kantons Aargau beschränkten. Das in der Folge angerufene BGer weist die Beschwerde ab.
Michael Derrer rügt vor BGer, dass Interventionen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und der Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren (FDK) im Widerspruch zu der in Art. 34 Abs. 2 BV verankerten Abstimmungsfreiheit stünden.
Im Vorfeld der Abstimmung publizierte die SNB auf ihrer Website ein Positionspapier mit dem Titel “Die Argumente der SNB gegen die Vollgeldinitiative”. In Bezug auf dieses Positionspapier beanstandet Michael Derrer die folgenden Punkte:
- Die SNB unterschlage, dass sie nach dem Wortlaut der Vollgeld-Initiative Geld durch das Gewähren befristeter Darlehen an Banken in Umlauf bringen könne;
- Die SNB führe in die Irre, indem sie sage, dass die schuldfreie Ausgabe von Zentralbankgeld die Nationalbank politischen Begehrlichkeiten aussetze;
- Die SNB stelle die Prozesse der Geldschöpfung und Kreditgewährung falsch und irreführend dar;
- Die befürchteten Effizienzverluste bei der Zentralisierung der Geldschöpfung hätten nichts mit dem Initiativtext zu tun;
- Das Eigenkapital der Nationalbank bei der Ausgabe von Vollgeld sinke nur bei unzweckmässiger Bilanzierung von Vollgeld;
- Der Hinweis der SNB, wonach eine Rückkehr von der Zinssteuerung zur Geldmengensteuerung einen unnötigen Rückschritt darstelle, sei falsch und irreführend.
Das BGer hält fest, dass
[d]ie Vollgeld-Initiative […] einen für die meisten Stimmberechtigten ausserordentlich komplexen Regelungsgegenstand [betraf]. Dies machte es für die Behörden des Bundes und die SNB schwierig, den Stimmberechtigten den Inhalt der Initiative sowie ihre Vor- und Nachteile darzulegen. Behördliche Erläuterungen, die von den Stimmberechtigten ohne einschlägige Vorkenntnisse nicht verstanden werden, können nicht in sinnvoller Weise zur Willensbildung beitragen. Aufgrund der hohen Komplexität des Regelungsbereichs rechtfertigte sich eine gewisse Vereinfachung in der behördlichen Kommunikation im Vorfeld der Volksabstimmung über die Vollgeld-Initiative. Die beanstandete Publikation der SNB ist vor diesem Hintergrund zu würdigen. Ihr ist nicht vorzuwerfen, dass sie ihre Haltung zur Initiative relativ kurz und für die Stimmberechtigten verständlich dargelegt hat und dass ihre Ausführungen nicht die gesamte Komplexität der Geldschöpfung und Kreditgewährung zu beleuchten vermögen. (E. 5.3.4.)
Die FDK wiederum veröffentlichte im Vorfeld der Abstimmung eine Medienmitteilung mit dem Titel “Die FDK empfiehlt die Vollgeld-Initiative zur Ablehnung”. Dabei handelt es sich — so das BGer — um eine mit Blick auf Art. 34 Abs. 2 BV unzulässige behördliche Intervention. Die neue bundesgerichtliche Rechtsprechung erachte es zwar als zulässig, dass sich die Konferenz der Kantonsregierungen bei durchgehend oder mehrheitlich starker Betroffenheit der Kantone im Vorfeld einer Abstimmung auf Bundesebene öffentlich äussern und eine Abstimmungsempfehlung abgeben könne. Interventionen einer Fachdirektorenkonferenz müssten von einer solchen Öffnung aber ausgeschlossen bleiben. Angesichts der begrenzten Bedeutung und Publizität der Medienmitteilung der FDK und des sehr deutlichen Abstimmungsresultats falle jedoch ausser Betracht, dass die unzulässige Intervention der FDK das Ergebnis der Abstimmung entscheidend hätte beeinflussen können.