1C_372/2014, 1C_373/2014: Krankenversicherer nehmen im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung staatliche Aufgaben wahr und unterstehen deshalb den Regeln über behördliche Interventionen im Wahlkampf (amtl. Publ.)

Im Urteil vom 4. Sep­tem­ber 2014 nimmt das BGer Stel­lung zu bean­stande­ten Unregelmäs­sigkeit­en bei der Vor­bere­itung der Eid­genös­sis­chen Abstim­mung vom 28. Sep­tem­ber 2014 über die Volksini­tia­tive “Für eine öffentliche Krankenkasse”. Beschw­erdegeg­ner­in­nen sind sieben Krankenkassen, denen die Beschw­erde­führer vor­w­er­fen, dass sie im Vor­feld der Abstim­mung in ihren Kun­den­magazi­nen sub­jek­tiv und unsach­lich informiert und dadurch die Abstim­mungs­frei­heit ver­let­zt hät­ten. Das BGer weist die Beschw­erde ab. 

Zunächst äussert sich das BGer zur Trag­weite der in der BV ver­ankerten Garantie der poli­tis­chen Rechte, welche die freie Wil­lens­bil­dung und die unver­fälschte Stim­ma­b­gabe schützt:

Aus Art. 34 Abs. 2 BV wird namentlich eine Verpflich­tung der Behör­den auf kor­rek­te und zurück­hal­tende Infor­ma­tion im Vor­feld von Abstim­mungen abgeleit­et […]. Diese unter­liegen den Geboten der Sach­lichkeit, der Trans­parenz und der Ver­hält­nis­mäs­sigkeit. Behördliche Infor­ma­tio­nen müssen geeignet sein, zur offe­nen Mei­n­ungs­bil­dung beizu­tra­gen und dür­fen nicht in dom­i­nan­ter und unver­hält­nis­mäs­siger Art im Sinne eigentlich­er Pro­pa­gan­da eine freie Wil­lens­bil­dung der Stimm­berechtigten erschw­eren oder ger­adezu verun­möglichen (E. 5.1).

Strit­tig ist, ob die sieben Krankenkassen an die Grun­drechte gebun­den sind. Das BGer führt aus, dass die Beschw­eregeg­ner­in­nen als Aktienge­sellschaften pri­va­trechtlich organ­isiert seien und nicht durch ein Gemein­we­sen beherrscht wür­den. Sie näh­men jedoch im Bere­ich der sozialen Kranken­ver­sicherung öffentliche Auf­gaben wahr und seien insoweit mit hoheitlichen Befug­nis­sen aus­ges­tat­tet. Das Rechtsver­hält­nis zwis­chen Ver­sichertem und Ver­sicher­er unter­liege im Bere­ich der oblig­a­torischen Krankenpflegev­er­sicherung dem öffentlichen und nicht dem pri­vat­en Recht. Bei der Wahrnehmung ihrer öffentlichen Ver­wal­tungstätit­gkeit seien die Kranken­ver­sicherun­gen deshalb an die Grun­drechte gebunden.

Die Beschw­erdegeg­ner­in­nen räu­men ein, dass sie im Bere­ich der oblig­a­torischen Krankenpflegev­er­sicherung wie Behör­den han­del­ten und daher gewis­sen Restrik­tio­nen unter­lä­gen. Sie sind jedoch der Ansicht, dass sie nicht zur poli­tis­chen Neu­tral­ität verpflichtet seien. Das BGer stützt diese Auf­fas­sung und sagt, dass die Beschw­erdegeg­ner­in­nen durch die bevorste­hende Abstim­mung in qual­i­fiziert­er Weise betrof­fen seien. In dieser Sit­u­a­tion sei davon auszuge­hen, dass ein Inter­esse der Stimm­berechtigten daran beste­he, eine Stel­lung­nahme von den bis­lang mit der oblig­a­torischen Kranken­ver­sicherung betraut­en, beson­ders sachkundi­gen Kranken­ver­sicher­ern selb­st zu erhal­ten, um sich ein umfassendes Bild von der Abstim­mungsvor­lage zu machen. Das Gebot der Sach­lichkeit bedeute nicht,

 […] dass die Kranken­ver­sicher­er Pro- und Con­tra-Argu­mente in gle­ich­er Aus­führlichkeit und völ­lig aus­ge­wogen dar­legen müssten. Wird ihnen auf­grund ihrer beson­deren Betrof­fen­heit erlaubt, in den Abstim­mungskampf zu inter­ve­nieren, so sind sie befugt, ihren eige­nen Stand­punkt zu vertreten. Dabei müssen sie jedoch sach­lich argu­men­tieren. Sie dür­fen wed­er über den Zweck und die Trag­weite der Ini­tia­tive falsch ori­en­tieren, noch für die Mei­n­ungs­bil­dung bedeu­tende Gegeben­heit­en ver­schweigen oder Argu­mente von geg­ner­ischen Ref­er­en­dums- oder Ini­tia­tivkomi­tees falsch wiedergeben […] (E. 7.3).

Das BGer kommt unter Berück­sich­ti­gung dieser Aspek­te zum Schluss, dass die bean­stande­ten Äusserun­gen in den Kun­den­magazi­nen wed­er für sich allein, noch zusam­men genom­men geeignet seien, das Resul­tat der Abstim­mung wesentlich zu beeinflussen.