4A_563/2017: Kündigungsanfechtung, materielle Rechtskraft (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht äusserte sich in diesem, in öffentlich­er Beratung ergan­genem Urteil erst­mals zur Frage, ob und gegebe­nen­falls unter welchen Voraus­set­zun­gen der Mieter eine Schaden­er­satzk­lage wegen vorgeschobe­nen Eigenbe­darfs erheben kann, wenn er die Kündi­gung bere­its erfol­g­los nach Art. 271 f. OR ange­focht­en hat.

Hin­ter­grund war die Kündi­gung ein­er Miet­woh­nung, welche die Ver­mi­eter (ein Ehep­aar) mit Eigenbe­darf begrün­de­ten, da deren Sohn die Woh­nung mit sein­er Fam­i­lie beanspruche. Die Mieterin focht die Kündi­gung an und machte gel­tend, der Eigenbe­darf sei als Kündi­gungs­grund vorgeschoben. In Wahrheit werde beab­sichtigt, die Woh­nung teur­er weit­erzu­ver­mi­eten. Das Miet­gericht gelangte zum Schluss, es sei den Ver­mi­etern ins­ge­samt gelun­gen, den Kündi­gungs­grund Eigenbe­darf glaub­haft zu machen. Demgemäss habe die Mieterin den Beweis, dass der Kündi­gungs­grund vorgeschoben gewe­sen sei, nicht erbrin­gen kön­nen. Die Kündi­gung ver­stosse damit nicht gegen den Grund­satz von Treu und Glauben und sei gültig. Gestützt darauf stellte das Miet­gericht in seinem Urteil unter anderem aus­drück­lich fest, dass die Kündi­gung nicht miss­bräuch­lich sei. Dieses Urteil blieb unange­focht­en. In der Folge ver­starb ein­er der Vermieter.

Rund 10 Monate später gelangte die Mieterin erneut an die Schlich­tungs­be­hörde und ver­langte vom über­leben­den Ver­mi­eter Schaden­er­satz, unter anderem für Umzugskosten und die Miet­zins­d­if­ferenz zwis­chen dem let­zten Miet­zins für das Mieto­b­jekt und ihrem aktuellen Miet­zins. Zur Begrün­dung machte die Mieterin gel­tend, der Eigenbe­darf der Ver­mi­eter sei vorgeschoben gewe­sen. Das Miet­gericht hies die Klage teil­weise gut. Der Ver­mi­eter erhob Beru­fung und machte unter anderem gel­tend, das Miet­gericht hätte die Schaden­er­satzk­lage nicht gutheis­sen dür­fen, nach­dem es bere­its die Klage der Mieterin auf Anfech­tung der Kündi­gung abgewiesen und recht­skräftig fest­gestellt habe, dass die Kündi­gung recht­mäs­sig sei. Das Oberg­ericht wies die Beru­fung ab, mit der Begrün­dung, “in Würdi­gung aller im Kon­text des Kündi­gungss­chutzver­fahrens und nach dessen Abschluss bekan­nt gewor­de­nen Umstände” erweise sich der gel­tend gemachte Eigenbe­darf als vorgeschoben und nicht als nachträglich dahinge­fall­en. Es bejahte daher die Schaden­er­satzpflicht des Vermieters.

Das Bun­des­gericht hob auf Beschw­erde hin das Urteil des Oberg­erichts auf und wies die Klage der Mieterin ab. Es wies darauf hin, dass die Abweisung ein­er Gestal­tungsklage, wie die Kündi­gungsan­fech­tung gemäss Art. 271 f. OR eine ist, bedeute, dass das Nichtbeste­hen eines Gestal­tungs­grun­des fest­gestellt werde und diese Fest­stel­lung in Recht­skraft erwachse. Bezo­gen auf die Kündi­gungsan­fech­tung bedeute dies, dass das Vor­liegen des Anfech­tungs­grun­des mit der Klage­ab­weisung recht­skräftig verneint sei und diese Frage in einem späteren Prozess nicht neu beurteilt wer­den könne (E. 5.2). Die Fest­stel­lung des Miet­gerichts im ersten Urteil, wo aus­drück­lich fest­gestellt wor­den sei, dass die Kündi­gung der Miet­woh­nung nicht miss­bräuch­lich sei, binde das Gericht im zweit­en Prozess, wenn im Rah­men ein­er Klage auf Schaden­er­satz erneut gel­tend gemacht werde, die Kündi­gung ver­stosse gegen Treu und Glauben. Die Auf­fas­sung der Vorin­stanz und der Mieterin, wonach beim Kündi­gungss­chutzver­fahren und im Schaden­er­satzprozess “zwei ver­schiedene Stre­it­fra­gen eines Lebenssachver­halts” zu beurteilen seien, tre­ffe nicht zu: Im Schaden­er­satzprozess sei wie bere­its im Anfech­tungsver­fahren zu entschei­den, ob der Eigenbe­darf der Ver­mi­eter im Zeit­punkt der Kündi­gung vorgele­gen habe oder ob dieser Kündi­gungs­grund vorgeschoben war. Indem das Oberg­ericht dieselbe Frage erneut beurteilte und dabei ins­beson­dere die Beweis­mit­tel nochmals frei würdigte, die bere­its im Anfech­tungsver­fahren berück­sichtigt wor­den waren, hätte es sich über die Recht­skraftwirkung des Urteils hin­wegge­set­zt (E. 5.3). Die Recht­skraft des ersten Urteils des Miet­gerichts könne auss­chliesslich mit­tels formeller Revi­sion (Art. 328–333 ZPO) beseit­igt wer­den (E. 5.4).

Offen liess das Bun­des­gericht bei diesem Aus­gang die Frage, ob und unter welchen Voraus­set­zun­gen der Mieter all­ge­mein dazu berechtigt ist, vom Ver­mi­eter wegen ein­er treuwidri­gen Kündi­gung Schaden­er­satz zu verlangen.