4A_609/2023: Vorsorgliche Beweisführung (Art. 158 ZPO) und dazugehöriges Rechtsmittel (Art. 308 bzw. Art. 319 ZPO)

Im Urteil 4A_609/2023 vom 20. Dezem­ber 2024 (zur Pub­lika­tion vorge­se­hen) befasste sich das Bun­des­gericht mit dem kor­rek­ten Rechtsmit­tel gegen einen Entscheid betr­e­f­fend vor­sor­gliche Bewe­is­führung nach Art. 158 ZPO. Im konkreten Fall ersuchte der Gesuch­steller um ein Gutacht­en auf­grund Män­gel an ein­er von der Gesuchs­geg­ner­in geliefer­ten Maschine.

Sachverhalt

Auf­grund des kan­tonalen Ver­fahren­srechts (vgl. Art. 4 ZPO) führte die Frieden­srich­terin des Bezirks Lau­sanne das Ver­fahren. Sie liess u.a. ein Gutacht­en anfer­ti­gen, Ergänzungs­fra­gen stellen und legte die Kosten fest, wozu sie jedoch noch einen Schriften­wech­sel anord­nete. Zwis­chen­zeitlich reichte die Gesuchs­geg­ner­in Klage in der Haupt­sache auf Gewährleis­tung von Werk­män­gel gegen die Gesuchs­geg­ner­in ein. Daraufhin beantragte die Gesuchs­geg­ner­in im Ver­fahren der vor­sor­glichen Bewe­is­führung, die Frieden­srich­terin habe sich für sach­lich unzuständig zu erk­lären. Die Frieden­srichter wies die Einrede der Unzuständigkeit ab, entsch­ied über die Gericht­skosten und schrieb den Fall ab.

Bevor sich das Bun­des­gericht dem konkreten Fall zuwandte, nutze es die Gele­gen­heit zu all­ge­meinen Bemerkun­gen. Es erin­nerte ins­beson­dere daran, dass bei Entschei­den betr­e­f­fend vor­sor­gliche Bewe­is­führung die Bes­tim­mungen über die vor­sor­glichen Mass­nah­men anzuwen­den sind (Art. 158 Abs. 2 ZPO) und vor Bun­des­gericht fol­glich nur die Ver­let­zung ver­fas­sungsmäs­siger Rechte gerügt wer­den kann (Art. 98 BGG; E. 2).

Wesentliche Erwägungen

Zum Rechtsmit­tel­sys­tem weist das Bun­des­gericht auf einen Unter­schied zwis­chen der ZPO und dem BGG hin: «Le sys­tème des voies de recours du Code de procé­dure civile repose sur des critères dif­férents de ceux de la Loi sur le Tri­bunal fédéral.» (E. 3.1.). Dem­nach stelle die ZPO im Gegen­satz zum BGG nicht End- und Zwis­ch­enentschei­de gegenüber, son­dern wählt ein dif­feren­ziertes Sys­tem, dass auf die Art des Fall­es und ggf. auf den Stre­itwert abstellt.

Anschliessend wid­mete sich das Gericht den Voraus­set­zun­gen der vor­sor­glichen Bewe­is­führung und fasst seine bish­erige Prax­is zusam­men (E. 3.2), ehe es sich den ver­schiede­nen Rechtsmit­tel­we­gen bei Entschei­den der vor­sor­glichen Bewe­is­führung zuwandte und fes­thielt, dass es auf die Art der Entschei­dung und das Ver­fahrenssta­di­um ankomme («il faut tenir compte de la nature de la déci­sion ren­due et du stade auquel elle inter­vient dans le cours de la procé­dure dans son ensem­ble» E. 3.3). Tabel­lar­isch lassen sich die ver­schiede­nen Kon­stel­la­tio­nen wie fol­gt zusammenfassen:

Zur Verdeutlichung (E. 3.3.1–3.3.4)

  • Entscheid: Ablehnung Beweisantrag → Rechtsmit­tel: Beru­fung (Art. 308 Abs. 1 lit. b ZPO) → Qual­i­fika­tion nach BGG: Endentscheid (Art. 90 BGG) (E. 3.3.1);
  • Entscheid: Anord­nung des Beweis­es (ana­log Art. 231 ZPO) → Rechtsmit­tel: Beschw­erde (Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO; aber i.d.R. kein nicht leicht wiedergutzu­machen­der Nachteil) → Qual­i­fika­tion nach BGG: Zwis­ch­enentscheid (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; bei nicht wieder gutzu­machen­der Nachteil) (E. 3.3.2);
  • Entscheid: Anord­nung des Beweis­es und Koste­nentscheid, wenn keine richter­liche Hand­lung mehr nötig ist → Rechtsmit­tel: Beschw­erde (Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO; nur wenn nicht leicht wiedergutzu­machen­der Nachteil) → Qual­i­fika­tion BGG: Endentscheid (Art. 90 BGG);
  • Entscheid: Stre­it­igkeit­en während laufen­d­em Beweisver­fahren → Rechtsmit­tel: Beschw­erde (Art. 319 lit. b Ziff. 1 ZPO; in den vom Gesetz vorgeschriebe­nen Fällen, z.B. Ablehnung Sachver­ständi­ger nach Art. 50 Abs. 2 ZPO oder Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO; nur wenn nicht leicht wiedergutzu­machen­der Nachteil) → Qual­i­fika­tion nach BGG: Zwis­ch­enentscheid (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; nur bei nicht wieder gutzu­machen­dem Nachteil) (E. 3.3.3);
  • Entscheid: Erledi­gung nach Beweis­ab­nahme und Kosten­verteilung (Art. 242 ZPO) → Rechtsmit­tel: Beschw­erde (Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO; nur wen nicht leicht wiedergutzu­machen­der Nachteil); wenn nur Kosten ange­focht­en wer­den soll, dann Beschw­erde (Art. 110 i.V.m. Art. 319 lit. b Ziff. 1 ZPO) → Qual­i­fika­tion nach BGG: Endentscheid (Art. 90 BGG) (E. 3.3.4).

Conclusio

Im konkreten Fall hielt das Bun­des­gericht fest, dass die Entschei­dung der Frieden­srich­terin das Beweisver­fahren abgeschlossen hat­te und die Unzuständigkeit­seinrede deshalb gegen­stand­s­los gewor­den war. Es qual­i­fizierte das Urteil als Abschrei­bungsentscheid nach Art. 242 ZPO, woge­gen lediglich die Beschw­erde zuläs­sig sei, sofern die Abschrei­bung einen nicht leicht wiedergutzu­machen­den Nachteil schaffe.


Weit­er­führende Links:

BGE 140 III 16: Bindung an den vorin­stan­zlichen Prozess­sachver­halt / Vor­sor­gliche Bewe­is­führung zwecks Abklärung der Prozessaussichten