Im Urteil 4A_609/2023 vom 20. Dezember 2024 (zur Publikation vorgesehen) befasste sich das Bundesgericht mit dem korrekten Rechtsmittel gegen einen Entscheid betreffend vorsorgliche Beweisführung nach Art. 158 ZPO. Im konkreten Fall ersuchte der Gesuchsteller um ein Gutachten aufgrund Mängel an einer von der Gesuchsgegnerin gelieferten Maschine.
Sachverhalt
Aufgrund des kantonalen Verfahrensrechts (vgl. Art. 4 ZPO) führte die Friedensrichterin des Bezirks Lausanne das Verfahren. Sie liess u.a. ein Gutachten anfertigen, Ergänzungsfragen stellen und legte die Kosten fest, wozu sie jedoch noch einen Schriftenwechsel anordnete. Zwischenzeitlich reichte die Gesuchsgegnerin Klage in der Hauptsache auf Gewährleistung von Werkmängel gegen die Gesuchsgegnerin ein. Daraufhin beantragte die Gesuchsgegnerin im Verfahren der vorsorglichen Beweisführung, die Friedensrichterin habe sich für sachlich unzuständig zu erklären. Die Friedensrichter wies die Einrede der Unzuständigkeit ab, entschied über die Gerichtskosten und schrieb den Fall ab.
Bevor sich das Bundesgericht dem konkreten Fall zuwandte, nutze es die Gelegenheit zu allgemeinen Bemerkungen. Es erinnerte insbesondere daran, dass bei Entscheiden betreffend vorsorgliche Beweisführung die Bestimmungen über die vorsorglichen Massnahmen anzuwenden sind (Art. 158 Abs. 2 ZPO) und vor Bundesgericht folglich nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden kann (Art. 98 BGG; E. 2).
Wesentliche Erwägungen
Zum Rechtsmittelsystem weist das Bundesgericht auf einen Unterschied zwischen der ZPO und dem BGG hin: «Le système des voies de recours du Code de procédure civile repose sur des critères différents de ceux de la Loi sur le Tribunal fédéral.» (E. 3.1.). Demnach stelle die ZPO im Gegensatz zum BGG nicht End- und Zwischenentscheide gegenüber, sondern wählt ein differenziertes System, dass auf die Art des Falles und ggf. auf den Streitwert abstellt.
Anschliessend widmete sich das Gericht den Voraussetzungen der vorsorglichen Beweisführung und fasst seine bisherige Praxis zusammen (E. 3.2), ehe es sich den verschiedenen Rechtsmittelwegen bei Entscheiden der vorsorglichen Beweisführung zuwandte und festhielt, dass es auf die Art der Entscheidung und das Verfahrensstadium ankomme («il faut tenir compte de la nature de la décision rendue et du stade auquel elle intervient dans le cours de la procédure dans son ensemble» E. 3.3). Tabellarisch lassen sich die verschiedenen Konstellationen wie folgt zusammenfassen:
Zur Verdeutlichung (E. 3.3.1–3.3.4)
- Entscheid: Ablehnung Beweisantrag → Rechtsmittel: Berufung (Art. 308 Abs. 1 lit. b ZPO) → Qualifikation nach BGG: Endentscheid (Art. 90 BGG) (E. 3.3.1);
- Entscheid: Anordnung des Beweises (analog Art. 231 ZPO) → Rechtsmittel: Beschwerde (Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO; aber i.d.R. kein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil) → Qualifikation nach BGG: Zwischenentscheid (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; bei nicht wieder gutzumachender Nachteil) (E. 3.3.2);
- Entscheid: Anordnung des Beweises und Kostenentscheid, wenn keine richterliche Handlung mehr nötig ist → Rechtsmittel: Beschwerde (Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO; nur wenn nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil) → Qualifikation BGG: Endentscheid (Art. 90 BGG);
- Entscheid: Streitigkeiten während laufendem Beweisverfahren → Rechtsmittel: Beschwerde (Art. 319 lit. b Ziff. 1 ZPO; in den vom Gesetz vorgeschriebenen Fällen, z.B. Ablehnung Sachverständiger nach Art. 50 Abs. 2 ZPO oder Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO; nur wenn nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil) → Qualifikation nach BGG: Zwischenentscheid (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; nur bei nicht wieder gutzumachendem Nachteil) (E. 3.3.3);
- Entscheid: Erledigung nach Beweisabnahme und Kostenverteilung (Art. 242 ZPO) → Rechtsmittel: Beschwerde (Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO; nur wen nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil); wenn nur Kosten angefochten werden soll, dann Beschwerde (Art. 110 i.V.m. Art. 319 lit. b Ziff. 1 ZPO) → Qualifikation nach BGG: Endentscheid (Art. 90 BGG) (E. 3.3.4).
Conclusio
Im konkreten Fall hielt das Bundesgericht fest, dass die Entscheidung der Friedensrichterin das Beweisverfahren abgeschlossen hatte und die Unzuständigkeitseinrede deshalb gegenstandslos geworden war. Es qualifizierte das Urteil als Abschreibungsentscheid nach Art. 242 ZPO, wogegen lediglich die Beschwerde zulässig sei, sofern die Abschreibung einen nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteil schaffe.
Weiterführende Links:
BGE 140 III 16: Bindung an den vorinstanzlichen Prozesssachverhalt / Vorsorgliche Beweisführung zwecks Abklärung der Prozessaussichten