4D_66/2012: Kostenverteilung beim Entscheid über vorsorgliche Beweisführung nach Ergänzungsfragen; Willkür (HGer AG) (amtl. Publ.)

Gegen­stand des vor­liegen­den Urteils war die Kosten­ver­legung beim Entscheid über vor­sor­gliche Bewe­is­führung i.S.v. ZPO 158. Die Vorin­stanz, das HGer AG, hat­te das Bewe­is­führungs­begehren gut­ge­heis­sen und einen gerichtlichen Sachver­ständi­gen zur Beurteilung von Bauschä­den bestellt. Die dafür anfal­l­en­den Kosten hat­te es den beteiligten Parteien zu gle­ichen Teilen aufer­legt, gestützt auf ZPO 107 I lit. f, weil  auch die bei­den Gesuchs­geg­ner­in­nen Gutachter­fra­gen gestellt hatten. 


Das BGer heisst die dage­gen gerichtete Beschw­erde gut. Grund­sät­zlich wird die unter­liegende Partei kostenpflichtig (ZPO 106 I), doch gibt es bei der vor­sor­glichen Bewe­is­führung im Nor­mal­fall keine unter­liegende Seite, so dass nach Lehre und Recht­sprechung zu den bish­eri­gen kan­tonalen Regelun­gen der Gesuch­steller – unter Vor­be­halt ein­er anderen Verteilung im Haupt­prozess – die Gerichts- und Beweiskosten der vor­sor­glichen Bewe­is­führung vor Ein­leitung des Haupt­prozess­es zu tra­gen hat (so auch OR 367 II). Der Gesuchs­geg­n­er wird jedoch kostenpflichtig, wenn die vor­sor­gliche Bewe­is­führung auf seinen Antrag auf weit­ere Tat­sachen oder Beweis­mit­tel aus­gedehnt wird, nicht aber bei blossen Zusatz- oder Erläuterungs­fra­gen, die Bestandteil der vom Gesuch­steller ver­langten Bewe­is­führung bilden.

Diese Grund­sätze hat­te das HGer AG ver­let­zt. Das BGer prüft zunächst die Trag­weite von ZPO 107 I lit. f (Verteilung nach Ermessen) und hält Fol­gen­des fest:

4.2 […] Das Gesetz räumt dem Gericht den Spiel­raum ein, auf Bil­ligkeit­ser­wä­gun­gen zurück­zu­greifen, wenn im Einzelfall die Belas­tung der unter­lege­nen Partei mit Prozesskosten als ungerecht erscheint […]. Dazu wur­den in Art. 107 Abs. 1 lit. a‑f ZPO typ­isierte Fall­grup­pen geschaf­fen. So nen­nt Art. 107 Abs. 1 lit. f ZPO andere beson­dere Umstände und bildet damit einen Auf­fang­tatbe­stand.  [Hin­weise auf Beispiele und Botschaft]. […] Daraus lässt sich der Grund­satz ableit­en, dass die Anwen­dung des Auf­fang­tatbe­standes ein­er­seits bei erhe­blich­er wirtschaftlich­er Dis­par­ität der Parteien greifen kann und ander­er­seits gestützt auf die ange­führte Bes­tim­mung eine Koste­nau­flage gegenüber der nicht unter­lege­nen Partei begrün­det ist, wenn und soweit diese durch ihr Ver­hal­ten ungerecht­fer­tigten Aufwand zu ver­ant­worten hat.

 Die vor­liegende Kon­stel­la­tion — Ergänzungs­fra­gen; s. oben — recht­fer­tigt dage­gen nicht die Anwen­dung von ZPO 107 I lit. f:

[…] Selb­st wenn diese Fra­gen einen Mehraufwand des Gutachters zur Folge gehabt haben soll­ten, würde dies indessen für sich genom­men nicht recht­fer­ti­gen, die Partei, die diese Fra­gen ein­gere­icht hat, mit den für deren Beant­wor­tung anfal­l­en­den Kosten zu belas­ten. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Beschw­erdegeg­ner­in 1 darf die Ergänzungs­fra­gen stel­lende Partei, auch wenn sie mit der Anord­nung der vor­sor­glichen Beweis­ab­nah­men ein­ver­standen war, nicht so behan­delt wer­den, wie wenn sie selb­st ein Gesuch um vor­sor­gliche Bewe­is­führung gestellt hätte. Es ist näm­lich Sache des Gerichts, dafür zu sor­gen, dass der durch das Gesuch definierte Prozess­ge­gen­stand gewahrt bleibt und nicht durch Ergänzungs­fra­gen erweit­ert wird. Die (mut­massliche) Gegen­partei des (kün­fti­gen) Prozess­es ist zwar im Ver­fahren der vor­sor­glichen Bewe­is­führung anzuhören […]. Stellt sie bei der Wahrnehmung ihres Gehör­sanspruchs jedoch Fra­gen, die den durch die das Gesuch stel­lende Partei abgesteck­ten Rah­men spren­gen, hat das Gericht diese als unzuläs­sig zu erk­lären und dem Gutachter nicht zu unter­bre­it­en […]. Der endgültige Entscheid über die For­mulierung der Fra­gen obliegt stets dem Gericht […].

Im vor­liegen­den Fall hat­te das HGer AG diese Ver­ant­wor­tung wahrgenom­men und die von den Parteien gestell­ten Fra­gen über­prüft, z.T. umfor­muliert und über deren Zulas­sung entsch­ieden. Fol­glich betrafen die Ergänzungs­fra­gen das von der Gesuch­stel­lerin bes­timmte Beweis­the­ma. Vor diesem Hin­ter­grund ist nicht ersichtlich, welche ZPO 107 I lit. f zugrunde liegen­den Bil­ligkeit­ser­wä­gun­gen die Kosten­verteilung recht­fer­ti­gen kon­nten. Der Entscheid des HGer AG 

[…] läuft dem Regelungs­gedanken von Art. 107 Abs. 1 lit. f ZPO, der Bil­ligkeit zum Durch­bruch zu ver­helfen, stracks zuwider. Willkür ist mithin rechts­genüglich dargetan.