1C_635/2024: Baubewilligung | Würdigung unterschiedlicher Gutachten bei Einordnungsfragen

Im Entscheid 1C_635/2024 set­zt sich das Bun­des­gericht mit der Frage auseinan­der, welche Bedeu­tung im Ergeb­nis ver­schieden­er Gutacht­en bei der Beurteilung der Bewil­li­gungs­fähigkeit eines Bau­vorhabens zuzumessen ist.

Die Beschw­erde­führerin ist Eigen­tümerin eines Grund­stücks in Paspels, Gemeinde Dom­leschg (GR), welch­es inner­halb eines im ISOS- und BLN-Inven­tar verze­ich­neten Objek­ts liegt. Im Juni 2022 reichte die Beschw­erde­führerin ein Bauge­such für den Bau eines Mehrfam­i­lien­haus­es ein. Die Beschw­erdegeg­n­er (Eigen­tümer der Nach­barparzelle) erhoben Ein­sprache gegen das Bau­vorhaben, welche mit Entscheid der Baukom­mis­sion der Gemeinde Dom­leschg abgewiesen wurde. Das Ver­wal­tungs­gericht des Kan­tons Graubün­den hob die Baube­wil­li­gung wiederum auf. Hierge­gen gelangte die Beschw­erde­führerin an das Bundesgericht.

Das Bun­des­gericht äusserte sich im Wesentlichen zur Frage, wie die Vorin­stanz mit im Ergeb­nis unter­schiedlichen Gutacht­en zur Einord­nung des Bau­vorhabens bzw. poten­ziellen Ein­grif­f­en in das betrof­fene ISOS-Objekt umzuge­hen hat­te. Es standen sich eine Stel­lung­nahme der Bauber­a­terin der Gemeinde Dom­leschg, ein Bericht, der von den Beschw­erdegeg­n­ern in Auf­trag gegeben wor­den war, und ein von der Vorin­stanz einge­holter Amts­bericht der kan­tonalen Denkmalpflege gegenüber.

Das Bun­des­gericht wies darauf hin, dass let­ztin­stan­zliche kan­tonale Gerichte den Sachver­halt frei zu prüfen und das mass­gebende Recht von Amtes wegen anzuwen­den haben (Art. 110 BGG). Als Aus­fluss des Anspruchs auf rechtlich­es Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) – der im Sinne eines Mitwirkungsrechts eben­falls der Sachver­halt­saufk­lärung diene – habe sich die kan­ton­al zuständi­ge Instanz auch mit den Vor­brin­gen und Beweis­mit­teln der Parteien auseinan­derzuset­zen (E. 3.1). Vor­liegend komme es, so das Bun­des­gericht, wed­er darauf an, ob die Vorin­stanz die Stel­lung­nahme der Bauber­a­terin und den Bericht der von der Beschw­erdegeg­n­er­schaft beige­zo­ge­nen Exper­tin “gle­ichge­set­zt” habe, noch sei mass­ge­blich, welche objek­tive Beweiskraft sie diesen Doku­menten beigemessen habe. Selb­st wenn man näm­lich dem Bericht der kom­mu­nalen Bauber­a­terin eine höhere Beweiskraft zuerken­nen wollte als der Ein­schätzung des von der Beschw­erdegeg­n­er­schaft pri­vat man­datierten Beratungs­büros, ändere dies nichts daran, dass let­ztere geeignet sein könne, Zweifel an der Schlüs­sigkeit des ersteren aufkom­men zu lassen (vgl. Urteil 1C_526/2015 vom 12. Okto­ber 2016 E. 6.5 mit Hin­weisen, nicht publ. in: BGE 142 II 517). Das Bun­des­gericht stellt somit klar, dass einem Parteigutacht­en nicht per se eine tief­ere Beweiskraft als einem Gutacht­en ein­er Bauber­a­terin zuzumessen ist, son­dern sämtliche Beweis­mit­tel ein­er neu­tralen Über­prü­fung und Würdi­gung unter­liegen. Ver­füge die Vorin­stanz zur Beurteilung der sich dabei stel­len­den Tat­fra­gen nicht selb­st über das notwendi­ge Fach­wis­sen, sei, so das Bun­des­gericht weit­er, nicht zu bean­standen, wenn sie sich dieses mit der Ein­hol­ung eines (zusät­zlichen) Amts­berichts ver­schaffe (E. 3.2).

Schliesslich begründe die selb­ständi­ge Ein­hol­ung eines Amts­berichts durch die Vorin­stanz wed­er eine Ver­let­zung der Gemein­deau­tonomie noch einen Ver­stoss gegen das Willkürver­bot: Wie erwäh­nt, sei es ger­ade die Pflicht der Vorin­stanz, den Sachver­halt von Amtes wegen festzustellen und die Beweis­mit­tel frei zu würdi­gen. Dazu gehöre auch, bei Zweifeln an der Schlüs­sigkeit des von der Gemeinde einge­holten Fach­berichts zusät­zlich einen Amts­bericht einzu­holen. Eine gegen­teilige Auf­fas­sung liefe im Ergeb­nis darauf hin­aus, dass es den kan­tonalen Gericht­en ver­wehrt bliebe, in geschützten Autonomiebere­ichen eine freie Sachver­halt­skon­trolle und Beweiswürdi­gung vorzunehmen, was von Bun­desrechts wegen nicht ange­he (E. 4.5).

Das Bun­des­gericht wies die Beschw­erde ab.

Entscheid 1C_635/2024