BGer 5A_347/2024 vom 13.08.2025 (zur Publikation vorgesehen)

In diesem zur Pub­lika­tion vorge­se­henen Entscheid schafft das BGer Klarheit betr­e­f­fend die Berech­nung der ein­jähri­gen Ver­wirkungs­frist von Her­ab­set­zungsansprüchen bei ver­schiede­nen Zuwendungsempfängern.

Solange die Pflicht­teilserbin die Iden­tität der Zuwen­dungsempfän­gerin nicht ken­nt, kann die Ver­wirkungs­frist nach Art. 533 Abs. 1 ZGB nicht zu laufen begin­nen. Im Ergeb­nis begin­nt der Lauf der ein­jähri­gen Ver­wirkungs­frist für die Her­ab­set­zungsklage bei jed­er einzel­nen Zuwen­dungsempfän­gerin erst dann, wenn die Pflicht­teilserbin über die notwendi­gen Ken­nt­nisse für die jew­eilige Klage ver­fügt (E. 11.5.).

Sachver­halt

Der Erblass­er hin­ter­liess im Zeit­punkt seines Todes im Jahr 2016 drei geset­zliche Erben: Seine zweite Ehe­frau, D., sowie zwei Enkel A. und B., die Kinder seines einzi­gen, bere­its vorver­stor­be­nen Sohnes aus erster Ehe.

Nach dem Tod seines einzi­gen Sohnes im Jahr 2005 errichtete der Erblass­er zwei Trusts mit Sitz in Sin­ga­pur. Die C. Ltd. agierte als Trustee für die bei­den Trusts. Im sel­ben Jahr schloss der Erblass­er mit D. einen Ehe- und Erb­ver­trag ab, wonach D. im Falle seines Vorver­ster­bens 5/8 seines Nach­lass­es erhal­ten solle. Seine bei­den Enkel A. und B. set­zte er auf den Pflicht­teil (nach altem Recht: 3/8 bzw. je 3/16).

Prozes­suales

Am 15. Okto­ber 2018 reicht­en die Enkel eine Her­ab­set­zungs- und Erbteilungsklage gegen D. und den Trustee ein. Das zuständi­ge Region­al­gericht beschränk­te das Ver­fahren auf die Frage der Wahrung der ein­jähri­gen Ver­wirkungs­frist betr­e­f­fend die Her­ab­set­zungsklage. Es stellte fest, dass die Her­ab­set­zungsklage ver­wirkt sei, sowohl in Bezug auf Her­ab­set­zungsansprüche gegen D. als auch gegen den Trustee. Auf die Erbteilungsklage trat es ein, traf dies­bezüglich aber keine weit­eren Anord­nun­gen. Die zweite Instanz bestätigte den Entscheid des Region­al­gerichts und stellte fest, dass der erstin­stan­zliche Entscheid betr­e­f­fend die Erbteilungsklage in Recht­skraft erwach­sen sei.

Das BGer hiess die von den Enkeln erhobene Beschw­erde teil­weise gut und wies die Sache zur Fort­set­zung des Ver­fahrens bzw. zur Beurteilung der Her­ab­set­zungsklage gegen den Trustee an die erste Instanz zurück (E. 12).

Erwä­gun­gen des BGers

Generelles zu den Verwirkungsfristen

Von zen­traler Bedeu­tung war vor­liegend die Beurteilung der Ver­wirkungs­frist der Her­ab­set­zungsklage (Art. 533 Abs. 1 ZGB) – auf die weit­eren Rechts­fra­gen wird vor­liegend nicht eingegangen.

Zunächst erin­nert das BGer daran, dass die Her­ab­set­zungsklage ein­er ein­jähri­gen rel­a­tiv­en und ein­er zehn­jähri­gen absoluten Ver­wirkungs­frist unter­liegt (Art. 533 Abs. 1 ZGB; E. 9.1.).

Zum Beginn der ein­jähri­gen Verwirkungsfrist

Die Jahres­frist nach Art. 533 Abs. 1 ZGB begin­nt zu laufen, wenn der in seinem Pflicht­teil­sanspruch ver­let­zte Erbe die «tat­säch­lichen Ele­mente ken­nt, die ihn auf den Erfolg ein­er allfäl­li­gen Her­ab­set­zungsklage ver­trauen lassen.» (E. 10.1.) Mit anderen Worten set­zt der Frist­be­ginn Ken­nt­nis des Klage­grunds bzw. fol­gen­der Ele­mente voraus:

(i) Ken­nt­nis des Todes des Erblassers

(ii) Ken­nt­nis der eige­nen Beru­fung als Erbe

(iii) Ken­nt­nis der Exis­tenz ein­er den Pflicht­teil beein­trächti­gen­den Zuwendung

(iv) Ken­nt­nis der Iden­tität der beklagten Person

Die Ken­nt­nis des genauen Aus­mass­es der Pflicht­teilsver­let­zung bzw. eine Bez­if­fer­ung des Her­ab­set­zungsanspruchs ist nicht voraus­ge­set­zt. Bei voll­ständi­gem Auss­chluss von der Erb­folge muss der Kläger die Höhe des Nach­lass­es «unge­fähr» ken­nen (E. 10.1.).

Entschei­dend war vor­liegend die Fest­stel­lung des BGers, wonach die Ver­wirkungs­frist von Art. 533 Abs. 1 ZGB nicht zu laufen begin­nt, solange der Pflicht­teilserbe die Iden­tität des Zuwen­dungsempfängers nicht ken­nt (E. 11.4.3.). Damit begin­nt im Ergeb­nis die ein­jährige Ver­wirkungs­frist für die Her­ab­set­zungsklage bei jed­er einzel­nen Zuwen­dungsempfän­gerin erst dann, wenn der Pflicht­teilserbe über die notwendi­gen Ken­nt­nisse für die jew­eilige Klage ver­fügt (E. 11.5.).

Ver­wirkung der Her­ab­set­zungsansprüche gegen D.

Vor­liegend war die Her­ab­set­zungsklage betr­e­f­fend diverse Zuwen­dun­gen des Erblassers an D. bere­its ver­wirkt. Der Erblass­er hat­te D. zu Lebzeit­en eine Schenkung von CHF 1.5 Mio. aus­gerichtet, «Beträge zur freien Ver­fü­gung» in Höhe von rund CHF 1.65 Mio. aus­bezahlt und diverse Liegen­schaften über­tra­gen. Das BGer schützte die Fest­stel­lun­gen der Vorin­stanz, wonach die Pflicht­teilsver­let­zun­gen bzw. Her­ab­set­zbarkeit der Zuwen­dun­gen spätestens im August 2017 erkennbar gewe­sen seien, weshalb die erst im Okto­ber 2018 erhobene Her­ab­set­zungsklage ver­wirkt war (E. 10.7.; vgl. Art. 527 Ziff. 4 ZGB).

Keine Ver­wirkung der Her­ab­set­zungsansprüche gegen den Trustee

Gemäss den Fest­stel­lun­gen der Vorin­stanz erlangten die Kläger erst am 17. Okto­ber 2017 Ken­nt­nis von der Iden­tität des Trustees. Die Vorin­stanz ging allerd­ings zu Unrecht davon aus, dass die Erben nur ein­mal von ein­er Pflicht­teilsver­let­zung Ken­nt­nis nehmen kön­nen und die Ver­wirkung der Her­ab­set­zungsansprüche gegen D. auch die Ver­wirkung der­jeni­gen gegen den Trustee nach sich zog (E. 11.2).

Gemäss den Fest­stel­lun­gen des BGers könne die Schutz­funk­tion der Her­ab­set­zungsklage vor pflicht­teilsver­let­zen­den Ver­fü­gun­gen nicht ver­wirk­licht wer­den, wenn die Ver­wirkung bere­its ein­treten könne, bevor der Her­ab­set­zungsanspruch über­haupt gel­tend gemacht wer­den kann. Ent­ge­gen der Argu­men­ta­tion der Vorin­stanz seien prozes­suale Instru­mente wie die Klageän­derung, das Noven­recht, die unbez­if­ferte Forderungsklage und die Stufen­klage ungenü­gend, um die Ver­wirkungs­frist in solchen Fällen zu wahren. Ins­beson­dere erlauben diese Instru­mente nicht den Ein­bezug von Drit­ten in einen bere­its recht­shängi­gen, gegenüber einem bes­timmten Zuwen­dungsempfänger frist­wahrend ein­geleit­eten Prozess (E. 11.4.3.). Entsprechend läuft die Ver­wirkungs­frist für die Her­ab­set­zungsklage betr­e­f­fend jeden Zuwen­dungsempfänger einzeln — und zwar ab dem Zeit­punkt, in dem der Kläger über die notwendi­gen Ken­nt­nisse für eine Klage ver­fügt (E. 11.5.).

Auss­chüt­tun­gen des Trusts an D. unter­liegen offen­bar (doch) nicht der Herabsetzung (?)

Vor­liegend wird die erste Instanz zu beurteilen haben, inwiefern die Zuwen­dun­gen des Erblassers an die Trusts der Her­ab­set­zung unterliegen.

Bemerkenswert ist in diesem Zusam­men­hang eine «Randbe­merkung» des BGers, wonach Auss­chüt­tun­gen aus dem Trust an D. keine Ver­mö­gensver­fü­gun­gen des Erblassers seien, weshalb nicht weit­er darauf einzuge­hen sei (E. 11.1.). Dies über­rascht, da das BGer in einem jün­geren Entscheid in Bezug auf die Aus­gle­ichung fest­stellte, dass Zuwen­dun­gen aus einem Trust, die Nachkom­men bere­its zu Lebzeit­en des Erblassers erhal­ten haben, im Grund­satz nach Art. 626 Abs. 2 ZGB aus­gle­ichungspflichtig seien. Das­selbe müsse gel­ten, wenn die Begün­stigten des Trusts einen durch­set­zbaren Recht­sanspruch auf Auss­chüt­tung von Ertrag und/oder Kap­i­tal haben, wie dies beim fixed inter­est trust der Fall sei (BGer 5A_89/2024 vom 16. Dezem­ber 2024, E. 7.4.4.; siehe Kom­men­tierung hierzu auf swiss­blawg). Es scheint, als seien diese Grund­sätze nicht ohne Weit­eres auf die Her­ab­set­zung anwend­bar. Immer­hin ste­he gemäss BGer «auss­er Frage» ste­he, dass Ver­mö­gen­süber­tra­gun­gen an einen Trustee im Grund­satz der Her­ab­set­zung unter­liegen (BGer 5A_89/2024, E. 8.).