BGer 5A_238/2023 vom 18. März 2024 (amtl. publ.): Die altrechtliche “Zahlvaterschaft” begründet per se keinen Erbanspruch

In diesem zur Pub­lika­tion vorge­se­henen Entscheid bestätigt das Bun­des­gericht seine bish­erige Recht­sprechung, wonach die altrechtliche «Zahlvater­schaft» kein geset­zlich­es Erbrecht und damit auch kein Pflicht­teil­srecht begrün­det. Der geset­zliche Erbanspruch set­zt ein rechtlich­es Kindesver­hält­nis voraus, das nur durch Anerken­nung, Adop­tion oder Vater­schaft­sklage hergestellt wer­den kann. Das Beste­hen ein­er «Zahlvater­schaft» begrün­det demge­genüber kein rechtlich­es Kindesver­hält­nis, weshalb dem Beschw­erde­führer vor­liegend die Aktivle­git­i­ma­tion zur Erhe­bung ein­er Her­ab­set­zungsklage fehlte.

Da die Vater­schaft nur durch Gestal­tung­surteil fest­gestellt wer­den kann, ist die Fest­stel­lung der Vater­schaft im Rah­men der Prü­fung rechtlich­er Vor­fra­gen nicht möglich – es muss zwin­gend eine Vater­schaft­sklage geführt werden.

Zur altrechtlichen Zahlvaterschaft

Mit der Revi­sion des Kindesrechts per 1. Jan­u­ar 1978 wur­den aussere­he­lich geborene Kinder den während ein­er Ehe gebore­nen Kindern gle­ichgestellt. Gle­ichzeit­ig wurde der diskri­m­inierende Dual­is­mus zwis­chen der Standes­folge und der sog. «Zahlvater­schaft», welche kein rechtlich­es Kindesver­hält­nis begrün­dete, aufge­hoben (vgl. auch BGE 149 III 370, E. 3.6.2.).

Unter altem Recht kon­nte das rechtliche Kindesver­hält­nis eines aussere­he­lich gebore­nen Kindes zu seinem Vater nur auf zwei Wegen hergestellt wer­den: (i) mit­tels Anerken­nung durch den Vater oder (ii) auf Klage der Mut­ter oder des Kindes auf Zus­prechung mit Standes­folge hin. Diese Klage war allerd­ings nur unter sehr engen Voraus­set­zun­gen möglich, näm­lich wenn der Vater «der Mut­ter die Ehe ver­sprochen, oder sich mit der Bei­woh­nung an ihr eines Ver­brechens schuldig gemacht oder die ihm über sie zuste­hende Gewalt miss­braucht hat.» (Art. 323 aZGB).

Auf­grund dieser Ein­schränkun­gen wur­den unter altem Recht vor allem rein ver­mö­gen­srechtliche Kla­gen gegen die Puta­tivväter erhoben. Das Urteil oder der Abschluss eines Unter­haltsver­trags war «ohne Standes­folge», d.h. es wurde damit kein rechtlich­es Kindesver­hält­nis begrün­det. Aus diesem Grund hat­ten die Kinder solch­er sog. «Zahlväter» keine erbrechtlichen Ansprüche (E. 4.5.1.).

Sachver­halt

Der Beschw­erde­führer A. war der 1958 geborene, mut­massliche Sohn des Erblassers. Der Erblass­er hat­te sich in einem vom 31. Mai 1958 datieren­den Ver­trag zur Leis­tung von Unter­halt­szahlun­gen (monatlich CHF 120.-) verpflichtet.

Der Erblass­er errichtete im Jahr 2015 ein Tes­ta­ment, in welchem er seine bei­den Kinder B. und C. aus sein­er mit­tler­weile geschiede­nen Ehe begün­stigte. Im Jahr 2017 ergänzte der Erblass­er sein Tes­ta­ment und ver­fügte die Errich­tung ein­er Erb­s­tiftung. Gle­ichzeit­ig schloss er mit seinen bei­den Kindern B. und C. einen Erb­ver­trag, worin diese betr­e­f­fend die der Stiftung gewid­me­ten Ver­mö­genswerte auf ihren Pflicht­teil verzichteten.

Prozess­geschichte

Das Bezirks­gericht Baden beschränk­te das Ver­fahren auf die Frage der Aktivle­git­i­ma­tion und wies die Her­ab­set­zungsklage von A. man­gels Aktivle­git­i­ma­tion ab. Die dage­gen erhobene Beschw­erde wies sowohl das Oberg­ericht des Kan­tons Aar­gau als auch das Bun­des­gericht ab.

Aktivle­git­i­ma­tion

Bestand eines rechtlichen Kindesverhältnisses

Betr­e­f­fend die Aktivle­git­i­ma­tion erwog das Bun­des­gericht, dass nur ein pflicht­teils­geschützter Erbe eine Her­ab­set­zungsklage erheben könne. Als solch­er gelte grund­sät­zlich auch ein voll­ständig über­gan­gener Pflicht­teilserbe (sog. «virtueller Erbe»), welch­er seine Erben­stel­lung erst mit einem zu seinen Gun­sten lau­t­en­den Her­ab­set­zungs- oder Ungültigkeit­surteil erlangt (E. 4.3.2.). Der Pflicht­teilss­chutz komme (neben Ehe­gat­ten und einge­tra­ge­nen Part­nern) nur Nachkom­men zu (Art. 470 Abs. 1 ZGB). Voraus­ge­set­zt sei ein rechtlich­es Kindesver­hält­nis, unab­hängig davon, ob dieses ehe­lich oder aussere­he­lich sei (E. 4.4.). Ein Kindesver­hält­nis kann nur durch Anerken­nung (Art. 260 Abs. 1 ZGB), Adop­tion (Art. 252 Abs. 3 i.V.m. Art. 264 ff. ZGB) oder durch Urteil (Art. 261 ff. ZGB) begrün­det werden.

Klage­fris­ten

Während die Frist zur Anhebung ein­er Vater­schaft­sklage für die Mut­ter ein Jahr seit der Geburt beträgt, ver­wirkt die Klage des Kindes ein Jahr nach Erre­ichen der Volljährigkeit (Art. 263 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB; E. 4.5.2.). Nach Ablauf der Frist wird eine Vater­schaft­sklage zuge­lassen, sofern die Ver­spä­tung mit wichti­gen Grün­den entschuldigt wird (Art. 263 Abs. 3 ZGB). Die Über­gangs­bes­tim­mungen sehen vor, dass ein Kind den “Zahlvater” auf Fest­stel­lung der Vater­schaft ein­kla­gen kann, sofern es bei Inkraft­treten des rev­i­dierten Rechts per 1. Jan­u­ar 1978 das 10. Alter­s­jahr noch nicht zurück­gelegt hat, und die Klage bin­nen 2 Jahren anhebt (Art. 13a Abs. 1 SchlT ZGB, vgl. auch 12 Abs. 1 Satz 1 SchlT ZGB; E. 4.6.1.).

Der Beschw­erde­führer hat­te vor­liegend keine Vater­schaft­sklage erhoben. Er stellte sich auf den Stand­punkt, dass von ihm nicht ver­langt wer­den kon­nte, eine auf­grund der abge­laufe­nen Klage­frist sinnlose Vater­schaft­sklage zu erheben (E. 7.4.).

Das BGer ver­warf die Argu­men­ta­tion von A. und ver­wies auf die neuere kan­tonale und bun­des­gerichtliche Recht­sprechung, welche Vater­schaft­skla­gen auch nach Ablauf der vor­ge­nan­nten Klage­fris­ten zulässt, sofern die Ver­spä­tung mit wichti­gen Grün­den entschuldigt wird (Art. 263 Abs. 3 ZGB; E. 7.4.1., m.Verw. auf BGer 5A_518/2011 vom 22. Novem­ber 2012, wichtige Gründe bejaht, sowie BGer 5A_518/2011 vom 22. Novem­ber 2012, geschützt vom EGMR: i.S. Lavanchy gegen Schweiz, Nr. 69997/17 vom 19. Okto­ber 2021, § 41, wichtige Gründe verneint).

Auch eine Ver­let­zung der EMRK liege nicht vor. Ins­beson­dere sei aus der Recht­sprechung des EGMR kein Anspruch auf eine automa­tis­che Aufw­er­tung der Zahlvater­schaft in ein rechtlich­es Kindesver­hält­nis zu ent­nehmen. Das Bun­des­gericht liess allerd­ings unter Ver­weis auf diverse Lehrmei­n­un­gen offen, ob Art. 13a SchlT ZGB die EMRK ver­let­ze, da diese Frage im Rah­men ein­er Vater­schaft­sklage zu klären wäre und der Beschw­erde­führer keine solche Klage erhoben habe (E. 8.).

Keine vor­frageweise Prü­fung bzw. Fest­stel­lung der rechtlichen Vaterschaft

Das Bun­des­gericht schützte die Erwä­gun­gen der Vorin­stanz, wonach es sich bei der Fest­stel­lung der Vater­schaft um ein Gestal­tung­surteil han­dle und die Vater­schaft daher nicht im Rah­men der Beant­wor­tung von Vor­fra­gen bei der Prü­fung der Aktivle­git­i­ma­tion rechts­gestal­tend fest­gestellt wer­den könne. Mit anderen Worten: Es muss zwin­gend ein Rechts­begehren auf Fest­stel­lung der Vater­schaft gestellt wer­den, da es sich um eine Gestal­tungsklage han­delt und die Gestal­tungswirkung nur das Urteils­dis­pos­i­tiv umfasst (E. 7.2.).

Entsprechend wiesen bei­de kan­tonalen Instanzen den Antrag des Beschw­erde­führers auf Ein­hol­ung eines Abstam­mungsgutacht­ens ab. Die Her­ab­set­zungsklage wäre selb­st dann abzuweisen gewe­sen, wenn eine biol­o­gis­che Vater­schaft mit­tels Abstam­mungsgutacht­en fest­gestellt wor­den wäre.

Faz­it

A. hätte vor­liegend zusät­zlich zur Her­ab­set­zungsklage eine Vater­schaft­sklage anheben müssen. Da A. keine Vater­schaft­sklage erhoben hat, ist unklar, ob die Vater­schaft­sklage trotz der längst ver­strich­enen Klage­frist vor­liegend aus “wichti­gen Grün­den” zuge­lassen wor­den wäre. Die Vater­schaft­sklage gegen einen bere­its ver­stor­be­nen Puta­tiv­vater richtet sich primär gegen die Nachkom­men bzw. vor­liegend gegen die Erben B. und C. (Art. 261 Abs. 2 ZGB).

Zu bedenken ist überdies, dass für diese bei­den Kla­gen nicht dieselbe Ver­fahren­sart anwend­bar ist und daher die Voraus­set­zun­gen für eine Kla­gen­häu­fung nicht erfüllt sind (Art. 90 lit. b ZPO): Für die Vater­schaft­sklage gilt das vere­in­fachte Ver­fahren (Art. 295 ZPO), während die Her­ab­set­zungsklage auf­grund ihres Stre­itwerts von über CHF 30’000.00 im ordentlichen Ver­fahren zu behan­deln ist (Art. 219 i.V.m. Art. 243 Abs. 1 ZPO).

Da somit der Gerichts­stand der Kla­gen­häu­fung nicht zur Anwen­dung kommt (vgl. Art. 15 Abs. 2 ZPO), wäre die Klage auf Fest­stel­lung der Vater­schaft des ver­stor­be­nen Puta­tiv­vaters am Wohn­sitz ein­er der beklagten Parteien und die Her­ab­set­zungsklage innert Jahres­frist am let­zten Wohn­sitz des Erblassers anhängig zu machen (Art. 28 Abs. 1 ZPO). Abhängig von den Umstän­den des Einzelfalls kann es angezeigt sein, für die Her­ab­set­zungsklage einen Antrag auf Sistierung des Ver­fahrens bis zum Entscheid über die Vater­schaft zu stellen.