In diesem zur Publikation vorgesehenen Entscheid schafft das BGer Klarheit betreffend die Berechnung der einjährigen Verwirkungsfrist von Herabsetzungsansprüchen bei verschiedenen Zuwendungsempfängern.
Solange die Pflichtteilserbin die Identität der Zuwendungsempfängerin nicht kennt, kann die Verwirkungsfrist nach Art. 533 Abs. 1 ZGB nicht zu laufen beginnen. Im Ergebnis beginnt der Lauf der einjährigen Verwirkungsfrist für die Herabsetzungsklage bei jeder einzelnen Zuwendungsempfängerin erst dann, wenn die Pflichtteilserbin über die notwendigen Kenntnisse für die jeweilige Klage verfügt (E. 11.5.).
Sachverhalt
Der Erblasser hinterliess im Zeitpunkt seines Todes im Jahr 2016 drei gesetzliche Erben: Seine zweite Ehefrau, D., sowie zwei Enkel A. und B., die Kinder seines einzigen, bereits vorverstorbenen Sohnes aus erster Ehe.
Nach dem Tod seines einzigen Sohnes im Jahr 2005 errichtete der Erblasser zwei Trusts mit Sitz in Singapur. Die C. Ltd. agierte als Trustee für die beiden Trusts. Im selben Jahr schloss der Erblasser mit D. einen Ehe- und Erbvertrag ab, wonach D. im Falle seines Vorversterbens 5/8 seines Nachlasses erhalten solle. Seine beiden Enkel A. und B. setzte er auf den Pflichtteil (nach altem Recht: 3/8 bzw. je 3/16).
Prozessuales
Am 15. Oktober 2018 reichten die Enkel eine Herabsetzungs- und Erbteilungsklage gegen D. und den Trustee ein. Das zuständige Regionalgericht beschränkte das Verfahren auf die Frage der Wahrung der einjährigen Verwirkungsfrist betreffend die Herabsetzungsklage. Es stellte fest, dass die Herabsetzungsklage verwirkt sei, sowohl in Bezug auf Herabsetzungsansprüche gegen D. als auch gegen den Trustee. Auf die Erbteilungsklage trat es ein, traf diesbezüglich aber keine weiteren Anordnungen. Die zweite Instanz bestätigte den Entscheid des Regionalgerichts und stellte fest, dass der erstinstanzliche Entscheid betreffend die Erbteilungsklage in Rechtskraft erwachsen sei.
Das BGer hiess die von den Enkeln erhobene Beschwerde teilweise gut und wies die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens bzw. zur Beurteilung der Herabsetzungsklage gegen den Trustee an die erste Instanz zurück (E. 12).
Erwägungen des BGers
Generelles zu den Verwirkungsfristen
Von zentraler Bedeutung war vorliegend die Beurteilung der Verwirkungsfrist der Herabsetzungsklage (Art. 533 Abs. 1 ZGB) – auf die weiteren Rechtsfragen wird vorliegend nicht eingegangen.
Zunächst erinnert das BGer daran, dass die Herabsetzungsklage einer einjährigen relativen und einer zehnjährigen absoluten Verwirkungsfrist unterliegt (Art. 533 Abs. 1 ZGB; E. 9.1.).
Zum Beginn der einjährigen Verwirkungsfrist
Die Jahresfrist nach Art. 533 Abs. 1 ZGB beginnt zu laufen, wenn der in seinem Pflichtteilsanspruch verletzte Erbe die «tatsächlichen Elemente kennt, die ihn auf den Erfolg einer allfälligen Herabsetzungsklage vertrauen lassen.» (E. 10.1.) Mit anderen Worten setzt der Fristbeginn Kenntnis des Klagegrunds bzw. folgender Elemente voraus:
(i) Kenntnis des Todes des Erblassers
(ii) Kenntnis der eigenen Berufung als Erbe
(iii) Kenntnis der Existenz einer den Pflichtteil beeinträchtigenden Zuwendung
(iv) Kenntnis der Identität der beklagten Person
Die Kenntnis des genauen Ausmasses der Pflichtteilsverletzung bzw. eine Bezifferung des Herabsetzungsanspruchs ist nicht vorausgesetzt. Bei vollständigem Ausschluss von der Erbfolge muss der Kläger die Höhe des Nachlasses «ungefähr» kennen (E. 10.1.).
Entscheidend war vorliegend die Feststellung des BGers, wonach die Verwirkungsfrist von Art. 533 Abs. 1 ZGB nicht zu laufen beginnt, solange der Pflichtteilserbe die Identität des Zuwendungsempfängers nicht kennt (E. 11.4.3.). Damit beginnt im Ergebnis die einjährige Verwirkungsfrist für die Herabsetzungsklage bei jeder einzelnen Zuwendungsempfängerin erst dann, wenn der Pflichtteilserbe über die notwendigen Kenntnisse für die jeweilige Klage verfügt (E. 11.5.).
Verwirkung der Herabsetzungsansprüche gegen D.
Vorliegend war die Herabsetzungsklage betreffend diverse Zuwendungen des Erblassers an D. bereits verwirkt. Der Erblasser hatte D. zu Lebzeiten eine Schenkung von CHF 1.5 Mio. ausgerichtet, «Beträge zur freien Verfügung» in Höhe von rund CHF 1.65 Mio. ausbezahlt und diverse Liegenschaften übertragen. Das BGer schützte die Feststellungen der Vorinstanz, wonach die Pflichtteilsverletzungen bzw. Herabsetzbarkeit der Zuwendungen spätestens im August 2017 erkennbar gewesen seien, weshalb die erst im Oktober 2018 erhobene Herabsetzungsklage verwirkt war (E. 10.7.; vgl. Art. 527 Ziff. 4 ZGB).
Keine Verwirkung der Herabsetzungsansprüche gegen den Trustee
Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz erlangten die Kläger erst am 17. Oktober 2017 Kenntnis von der Identität des Trustees. Die Vorinstanz ging allerdings zu Unrecht davon aus, dass die Erben nur einmal von einer Pflichtteilsverletzung Kenntnis nehmen können und die Verwirkung der Herabsetzungsansprüche gegen D. auch die Verwirkung derjenigen gegen den Trustee nach sich zog (E. 11.2).
Gemäss den Feststellungen des BGers könne die Schutzfunktion der Herabsetzungsklage vor pflichtteilsverletzenden Verfügungen nicht verwirklicht werden, wenn die Verwirkung bereits eintreten könne, bevor der Herabsetzungsanspruch überhaupt geltend gemacht werden kann. Entgegen der Argumentation der Vorinstanz seien prozessuale Instrumente wie die Klageänderung, das Novenrecht, die unbezifferte Forderungsklage und die Stufenklage ungenügend, um die Verwirkungsfrist in solchen Fällen zu wahren. Insbesondere erlauben diese Instrumente nicht den Einbezug von Dritten in einen bereits rechtshängigen, gegenüber einem bestimmten Zuwendungsempfänger fristwahrend eingeleiteten Prozess (E. 11.4.3.). Entsprechend läuft die Verwirkungsfrist für die Herabsetzungsklage betreffend jeden Zuwendungsempfänger einzeln — und zwar ab dem Zeitpunkt, in dem der Kläger über die notwendigen Kenntnisse für eine Klage verfügt (E. 11.5.).
Ausschüttungen des Trusts an D. unterliegen offenbar (doch) nicht der Herabsetzung (?)
Vorliegend wird die erste Instanz zu beurteilen haben, inwiefern die Zuwendungen des Erblassers an die Trusts der Herabsetzung unterliegen.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine «Randbemerkung» des BGers, wonach Ausschüttungen aus dem Trust an D. keine Vermögensverfügungen des Erblassers seien, weshalb nicht weiter darauf einzugehen sei (E. 11.1.). Dies überrascht, da das BGer in einem jüngeren Entscheid in Bezug auf die Ausgleichung feststellte, dass Zuwendungen aus einem Trust, die Nachkommen bereits zu Lebzeiten des Erblassers erhalten haben, im Grundsatz nach Art. 626 Abs. 2 ZGB ausgleichungspflichtig seien. Dasselbe müsse gelten, wenn die Begünstigten des Trusts einen durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Ausschüttung von Ertrag und/oder Kapital haben, wie dies beim fixed interest trust der Fall sei (BGer 5A_89/2024 vom 16. Dezember 2024, E. 7.4.4.; siehe Kommentierung hierzu auf swissblawg). Es scheint, als seien diese Grundsätze nicht ohne Weiteres auf die Herabsetzung anwendbar. Immerhin stehe gemäss BGer «ausser Frage» stehe, dass Vermögensübertragungen an einen Trustee im Grundsatz der Herabsetzung unterliegen (BGer 5A_89/2024, E. 8.).