A_507/2010, 5A_508/2010: Verstärkte Beweiskraft öffentlicher Urkunden; Auslegung einer Dienstbarkeit

In den Ver­fahren 5A_507/2010 und 5A_508/2010, die vom Bun­des­gericht zusam­men­gelegt wor­den waren (vgl. Art. 71 BGG i.V.m. Art. 24 BZP) begehrte der Beschw­erde­führer die Grund­buchein­tra­gung ein­er altrechtlichen Dien­st­barkeit (Durch­leitungsrecht für Wasser­leitun­gen) zu Gun­sten der eige­nen Parzelle und zu Las­ten der zwei Grund­stücke der bei­den Beschw­erdegeg­n­er. Die Beschw­erde wurde mit Urteil vom 15. Dezem­ber 2010 abgewiesen, weil die einst mit den früheren Eigen­tümer der betrof­fe­nen Liegen­schaften ver­traglich begrün­dete und sein­erzeit nicht zur Ein­tra­gung angemeldete Dien­st­barkeit den jet­zi­gen Eigen­tümern nicht ent­ge­genge­hal­ten wer­den kann (E. 7).

Ursprünglich waren zwei Dien­st­barkeit­en über Durch­leitungsrechte ein­er nördlichen und südlichen Leitung vor mehr als hun­dert Jahren durch Ver­trag begrün­det wor­den. Später hat der Beschw­erde­führer bei­de Rechte durch Abtre­tungsverträge erwor­ben und den Ver­lauf der südlichen Wasser­leitung verän­dert. In diesem Zusam­men­hang hat er mit den dama­li­gen Eigen­tümer der Grund­stücke, die heute den Beschw­erdegeg­n­ern gehören, schriftliche Verträge über das Durch­leitungsrecht und die Entschädi­gung bzw. die Ver­legung der Leitung abgeschlossen. Im Rah­men der Ein­führung des eigenös­sis­chen Grund­buch­es meldete er die Ein­tra­gung der Dien­st­barkeit zu Las­ten dieser und neun weit­er­er Grund­stücke an.

In seinen Erwä­gun­gen äussert sich das BGer unter anderem zur ver­stärk­ten Beweiskraft von öffentlichen Reg­is­tern und Urkun­den gemäss Art. 9 Abs. 1 ZGB, weil der Beschw­erde­führer rüge, dass die Vorin­stanz den öffentlich beurkun­de­ten Abtre­tungsver­trag über die Rechte an der nördlichen Leitung als nicht beweiskräftig ange­se­hen hatte:

4.2 […] Mit Bezug auf den Urkun­den­in­halt umfasst die ver­stärk­te Beweiskraft nur das, was die Urkundsper­son nach Mass­gabe der Sach­lage kraft eigen­er Prü­fung als richtig bescheini­gen kann. Irgendwelche rechts­geschäftliche Erk­lärun­gen erhal­ten keine ver­stärk­te Beweiskraft für ihre inhaltliche Richtigkeit, nur weil sie öffentlich beurkun­det wor­den sind. Die öffentlich beurkun­de­ten Erk­lärun­gen, die mit dem Ver­tragswillen der Parteien — hier der Abtre­tung von 2/3 des Quell­wassers über die nördliche Leitung — unmit­tel­bar nichts zu tun haben, wie die Fest­stel­lun­gen, der Beschw­erde­führer sei nun Eigen­tümer der ganzen Quelle und alle Ab- und Durch­leitungsrechte blieben beste­hen, brauchen sich die Beschw­erdegeg­n­er, die am Ver­tragsab­schluss nicht beteiligt waren, deshalb nicht ent­ge­gen­hal­ten zu lassen. Ihnen gegenüber kann sich der Beschw­erde­führer nicht auf Art. 9 Abs. 1 ZGB berufen. Andern­falls wäre es möglich, die Regeln über die Führung des Beweis­es und die Verteilung der Beweis­last durch die Art der Abfas­sung öffentlich beurkun­de­ter Erk­lärun­gen zu Las­ten ein­er Partei, die auf die Verurkun­dung keinen Ein­fluss nehmen kon­nte, beliebig zu verän­dern. Das aber ist nicht der Zweck der Beweisvorschrift in Art. 9 ZGB (vgl. BGE 110 II 1 E. 3a S. 2/3). Erhöhte Beweiskraft geniessen eben­so wenig Erk­lärun­gen und Fest­stel­lun­gen der Urkundsper­son, die sich — wie die hier in Frage ste­hen­den — nicht auf den Ver­tragswillen der Parteien beziehen (vgl. BGE 113 Ib 289 E. 4c S. 295).

Schliesslich erläutert das BGer die Kri­te­rien zur Ausle­gung eines Dienstbarkeitsvertrags:

6.2 Aus­ge­hend vom Wort­laut des Dien­st­barkeitsver­trags ist der Sinn und Zweck der Dien­st­barkeit im Zeit­punkt der Errich­tung zu ermit­teln. Je genauer der Wort­laut abge­fasst ist, umso enger ist der Raum für die Ausle­gung auf­grund weit­er­er Kri­te­rien, sofern keine Anhalt­spunk­te dafür beste­hen, dass die Parteien den Ver­trag nicht nach dem Wort­laut ver­standen haben kön­nten. Zudem gilt der Grund­satz der Iden­tität der Dien­st­barkeit, wonach eine Dien­st­barkeit nicht zu einem anderen Zweck aufrechter­hal­ten wer­den darf als jen­em, zu dem sie errichtet wor­den ist. Aus diesem Grund­satz ergibt sich auch, dass die Ausübung der Dien­st­barkeit nicht auf einen zusät­zlichen, mit dem ursprünglichen nicht iden­tis­chen Zweck aus­geweit­et wer­den darf. Diese Ausle­gungs­grund­sätze gel­ten für Grund­di­en­st­barkeit­en wie für Per­sonal­dien­st­barkeit­en (BGE 132 III 651 E. 8 S. 655 f.). Lässt sich nicht mehr genau fest­stellen, welche Motive der Parteien für die Errich­tung ein­er Dien­st­barkeit im Einzel­nen mass­gebend gewe­sen sind, so muss davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass die Parteien mit der Begrün­dung der Dien­st­barkeit jenen Zweck ver­fol­gt haben, der sich auf­grund der dama­li­gen Bedürfnisse des herrschen­den Grund­stücks vernün­ftiger­weise ergab (BGE 115 II 434 E. 3c S. 438). Die für Grund­di­en­st­barkeit­en entwick­elte Regel gilt auch für Per­sonal­dien­st­barkeit­en, deren Inhalt sich nach den gewöhn­lichen Bedürfnis­sen der Berechtigten bes­timmt (Art. 781 Abs. 2 ZGB). Mass­gebend sind die Bedürfnisse im Moment der Begrün­dung der Dien­st­barkeit (BGE 132 III 651 E. 8.1 S. 656 […]).