In dem zur amtlichen Publikation vorgesehenen Urteil 1C_420/2010 vom 25. Januar 2011 beschäftigt sich das Bundesgericht mit dem Begriff des Wohnsitzes im Zusammenhang mit opferhilferechtlichen Entschädigungs- und Genugtuungsansprüchen. Es hält fest, dass der Wohnsitzbegriff des OHG grundsätzlich an jenen des Zivilrechts anzulehnen sei, sich also nach den Art. 23–26 ZGB richte (E. 3.6).
Die Eltern und der Bruder eines bei einem Verkehrsunfall in Saudi-Arabien verstorbenen Studenten mit schweizerischer Staatsangehörigkeit hatten Beschwerde erhoben gegen die Abweisung ihres Gesuchs um finanzielle Leistungen nach dem OHG (vgl. Art. 11–17 aOHG), die damit begründet wurde, dass das Opfer seinen Wohnsitz von der Schweiz nach Saudi-Arabien verlegt habe. Die Beschwerde wurde gutgeheissen; der Entscheid wurde aufgehoben und die Angelegenheit ist zur korrekten Sachverhaltsfeststellung zurückgewiesen.
Ein Wohnsitz in der Schweiz war und ist gemäss Art. 11 Abs. 3 aOHG bzw. Art. 17 Abs. 1 OHG eine Voraussetzung für Entschädigung und Genugtuung, sofern sowohl der strafrechtliche Begehungs- als auch der Erfolgsort im Ausland liegen (vgl. BGE 124 II 507 E. 2b S. 508 f.). Die Vorinstanz hatte den Wohnsitz primär nach Art. 20 IPRG bestimmt, was insofern relevant war, als in internationalen Verhältnissen Art. 26 ZGB nicht gilt (Art. 20 Abs. 2 Satz 3 IPRG). Im OHG selbst findet sich zwar hinsichtlich des Wohnsitzbegriffs weder eine eigenständige Definition noch ein ausdrücklicher Verweis auf das ZGB. Doch laut der Botschaft vom 9. November 2005 zur Totalrevision des OHG ist ein Wohnsitz im Sinne von Art. 23 ff. ZGB erforderlich (BBl 2005 7214 Ziff. 2.2.3). Diese Auffassung wird vom Bundesgericht gestützt:
3.5 […] Die Anlehnung des Wohnsitzbegriffs des OHG an den zivilrechtlichen Begriff ist im Sinne der Einheitlichkeit und Rechtssicherheit die vorzugswürdige Lösung, zumal kein Grund besteht, davon abweichende Wohnsitzdefinitionen aus anderen öffentlich-rechtlichen Erlassen zu übernehmen. Im Übrigen hat das Bundesgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung den Wohnsitz gemäss Art. 11 Abs. 3 aOHG angewendet, ohne einen vom Zivilrecht abweichenden Begriffsinhalt auch nur in Erwägung zu ziehen (BGE 128 II 107 E. 2 S. 109 mit Hinweisen; 122 II 315 E. 2a S. 318 […]). Eine Anlehnung an den Wohnsitzbegriff gemäss Art. 20 IPRG drängt sich nicht auf, zumal dem Wohnsitzbegriff von Art. 11 Abs. 3 aOHG nicht die Rolle eines im internationalen Verhältnis relevanten Anknüpfungspunkts zukommt.
Im vorliegenden Fall spielte zudem eine Rolle, dass das Opfer sein Studium im Ausland angetreten hatte. Nach Auffassung der Vorinstanz sei darin die Verlegung des Lebensmittelpunktes gemäss Art. 23 ZGB zu sehen, was die Vermutung in Art. 26 ZGB widerlege, wonach u.a. der Aufenthalt an einem Ort zum Zweck des Besuchs einer Lehranstalt keinen Wohnsitz begründe. Die gegen eine Wohnsitzverlegung sprechenden Vorbringen der Beschwerdeführer fanden dabei keine Berücksichtigung. Darin sah das Bundesgericht eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) und eine unvollständige und unrichtige Sachverhaltsfeststellung (Art. 97 Abs. 1 BGG):
3.6 […] Obwohl der Wortlaut nicht ohne Weiteres darauf schliessen lässt, wird in Art. 26 ZGB lediglich eine widerlegbare Vermutung angestellt, wonach der Aufenthalt am Studienort oder in einer Anstalt nicht bedeutet, dass auch der Lebensmittelpunkt an den fraglichen Ort verlegt worden ist; Art. 26 ZGB umschreibt somit im Ergebnis negativ, was Art. 23 Abs. 1 ZGB zum Wohnsitz in grundsätzlicher Hinsicht positiv festhält. Die Vermutung kann umgestossen werden, wenn eine Person freiwillig in eine Anstalt eintritt und sich dort mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Unter dieser Voraussetzung kann die Begründung eines Wohnsitzes am Anstaltsort bejaht werden (BGE 134 V 236 E. 2.1 S. 239 f.; 133 V 309 E. 3.1 S. 312 f. […]).
3.7 […] Die Bestimmung des Mittelpunkts der Lebensbeziehungen und die damit einhergehende Widerlegung der Vermutung von Art. 26 ZGB erfordern eine Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls (BGE 136 II 405 E. 4.3 S. 410 […]).