2C_120/2010: Widerruf von Prüfungsentscheidungen

Das Bun­des­gericht hat mit Urteil vom 16. Dezem­ber 2010 (2C_120/2010) eine Beschw­erde gut­ge­heis­sen, die sich gegen die Ver­weigerung ein­er Diplom­erteilung richtete. Der Beschw­erde­führer rügte eine Ver­let­zung des Grund­satzes von Treu und Glauben (Art. 9 BV), weil ihm das Lehrerdiplom mit der Begrün­dung ver­weigert wurde, dass er einen Teil der Abschlussprü­fung ent­ge­gen den geset­zlichen Vor­gaben unter Auss­chluss der Öffentlichkeit absolviert hat, nach­dem ihm bere­its mit formell recht­skräftiger Ver­fü­gung mit­geteilt wor­den war, dass er die Aus­bil­dung erfol­gre­ich bestanden habe. Das Inter­esse an der Rechtssicher­heit der Ver­fü­gung war auf­grund der Ver­trauensgrund­lage, des guten Glaubens und der Ver­trauens­betä­ti­gung höher zu gewicht­en als die Ein­hal­tung des objek­tiv­en Rechts.

Die Beschw­erde in öffentlich-rechtlichen Angele­gen­heit­en war zuläs­sig (E. 11–1.2). Gegen­stand war zwar ein Prü­fungsentscheid. Die Auss­chluss­bes­tim­mung des Art. 83 lit. t BGG, wonach eine Beschw­erde gegen Entschei­de über das Ergeb­nis von Prü­fun­gen und anderen Fähigkeits­be­w­er­tun­gen unzuläs­sig ist, zielt aber ab auf Prü­fungsergeb­nisse im eigentlichen Sinn bzw. Bew­er­tun­gen der Fähigkeit­en eines Kan­di­dat­en (BGE 136 I 229 E. 1 S. 231; 136 II 61 E. 1.1.1 S. 63), nicht hinge­gen auf andere Entschei­de im Zusam­men­hang mit Prü­fun­gen, wie ins­beson­dere solche organ­isatorisch­er Natur (BGE 136 I 229 E. 1 S. 231).

In materieller Hin­sicht war zu prüfen, ob sich der Beschw­erde­führer im Hin­blick auf die fehler­hafte Ver­fü­gung auf den Ver­trauenss­chutz berufen kon­nte (E. 2.4–2.6). Nach der Recht­sprechung beste­ht nach Art. 9 BV ein Anspruch auf Schutz des berechtigten Ver­trauens, wenn die Per­son berechtigter­weise darauf ver­trauen durfte und darauf gestützt nachteilige Dis­po­si­tio­nen getrof­fen hat, die sie nicht mehr rück­gängig machen kann (BGE 131 II 627 E. 6.1 S. 636 f.; 129 I 161 E. 4.1 S. 170). Zudem sind das Inter­esse an der richti­gen Durch­führung des objek­tiv­en Rechts (Legal­ität­sprinzip) und das­jenige an der Wahrung der Rechtssicher­heit (Ver­trauenss­chutz) zunächst zu gewicht­en und als­dann gegeneinan­der abzuwägen.

Hier war der gute Glaube des Beschw­erde­führers gegeben, weil die Prü­fungskom­mis­sion und nicht er vorgeschla­gen hat­te, die Prü­fung unter Auss­chluss der Öffentlichkeit abzule­gen. Die zu beach­t­ende Sorgfalt­spflicht hat sich nach den Ken­nt­nis­sen und Fähigkeit­en eines Musikschülers und nicht eines Juris­ten zu richt­en, weshalb ein Kon­sul­tieren der Prü­fungsverord­nung nicht ver­langt wer­den kon­nte. Schüler dür­fen sich vielmehr auf die Aus­sagen der Prü­fung­sex­perten grund­sät­zlich ver­lassen. Fern­er hat der Beschw­erde­führer nicht rück­gängig zu machende Dis­po­si­tio­nen getrof­fen, indem er auf­grund des Vorschlags der Prü­fungskom­mis­sion nicht auf einem öffentlichen Vor­trag bestand.

Das Gewicht des öffentlichen Inter­ess­es an ein­er recht­mäs­si­gen Prü­fung vor Pub­likum war im vor­liegen­den Fall ger­ing, während das Ver­trauensin­ter­esse rel­a­tiv gewichtig war. Mit ein­er Prü­fung unter Auss­chluss der Öffentlichkeit wird die ratio legis für das Lehrdiplom nicht stark tang­iert (vgl. Art. 36 lit. a PrVK), sind dafür doch vor allem die päd­a­gogis­chen Fähigkeit­en auss­chlaggebend. Zudem ist zu berück­sichti­gen, dass die Prü­fungskom­mis­sion selb­st den Beschw­erde­führer ver­an­lasst hat, die Prü­fung unter Auss­chluss der Öffentlichkeit abzuhal­ten, wom­it sie auch für eine gesteigerte Ver­trauenslage ver­ant­wortlich ist. Der Staat ist an die von ihm geschaf­fene Ver­trauensgrund­lage gebun­den; die ursprüngliche Ver­fü­gung ist recht­ens und darf nicht wider­rufen werden.