In dem für die amtliche Sammlung vorgesehenen Urteil 5A_235/2011 vom 8. August 2011 beschäftigt sich das Bundesgericht mit Inhalt und Umfang von Abbaurechten und Ausbeutungsrechten. Dabei geht es um die Frage, ob eine im Grundbuch eingetragene Dienstbarkeit “Kiesausbeutungsrecht” die dingliche Berechtigung enthält, den ursprünglichen Zustand des Grundstücks fortlaufend wiederherzustellen. Das Bundesgericht hat diese Frage in Übereinstimmung mit der Vorinstanz bejaht.
Zum Sachverhalt: Die Beschwerdeführerin und die Beschwerdegegnerin verfügen je über Dienstbarkeiten für den Kiesabbau zulasten eines Grundstücks. Die Beschwerdegegnerin baut auf einem Teil des Grundstücks Kies und weitere Materialien ab und richtet den ursprünglichen Zustand dauernd wieder her. Zu ihren Gunsten besteht seit 1979 eals “Kiesausbeutungsrecht” im Grundbuch eingetragene Dienstbarkeit. Die zu Gunsten der Beschwerdeführerin 2006 im Grundbuch eingetragenen Dienstbarkeiten umfassen das “Abbaurecht für Sand, Kies, Aushub und übrige Materialien” mit dazugehörigen “Fahrweg- Leitungs- und Deponierechten”. Sie bestreitet, dass die Beschwerdegegnerin befugt sei, auf dem Grundstück Aushubmaterial zu deponieren und das Grundstück mit Aushubmaterial zu befahren. Ihre Beschwerde gegen die von der Vorinstanz abgewiesene Klage war nicht erfolgreich.
Der auf “Kiesausbeutungsrecht” lautende Grundbucheintrag legt Inhalt und Umfang der Dienstbarkeit nicht eindeutig fest, weshalb das Bundesgericht zunächst diesen Begriff auslegt:
3.1 Grundbuchtechnisch wird das Stichwort “Kiesausbeutungsrecht” als “Bezugsrecht für Kies” verstanden […]. Die Umschreibung ist zu allgemein, als dass sie genauen Aufschluss darüber geben könnte, welche einzelnen Ausübungsbefugnisse das “Kiesausbeutungsrecht” dem Berechtigten verleiht (vgl. zur Bedeutung des Stichworts: BGE 128 III 169 E. 3a S. 172).
3.2 Nach dem zur Zeit der Begründung bestehenden und dem heutigen allgemeinen Sprachgebrauch meint “Ausbeutung” bzw. “ausbeuten” nicht nur “abbauen” als Tätigkeit hier des Tagebaues, sondern ganz allgemein “wirtschaftlich nutzen” […]. Dass ein “Kiesausbeutungsrecht” vom Wortlaut und Wortsinn her weiter geht als ein “Kiesabbaurecht” belegen die im Grundbuch zu Gunsten der Beschwerdeführerin eingetragenen Dienstbarkeiten. Neben dem “Abbaurecht für Sand, Kies, Aushub und übrige Materialien” wurden die zu dessen Ausübung erforderlichen Dienstbarkeiten “Fahrwegrecht” und “Leitungsrecht” separat begründet und im Grundbuch eingetragen, während das “Kiesausbeutungsrecht […] ohne Begründung einer eigenen Dienstbarkeit das Fahrwegrecht zum Transport von Kies mit umfasst und über den Abbau von Kies auch die Entnahme von Sand und weiteren Materialien zulässt (vgl. zur Auslegung des Grundbucheintrags: BGE 86 II 243 E. 5 S. 251 […]).
Da der Grundbucheintrag “Kiesausbeutungsrecht” die damit verbundenen Rechte und Pflichten im Einzelnen nicht klar regelt, wird die Dienstbarkeit anhand ihres Erwerbsgrundes genauer bestimmt:
4.1.2 Für das Bundesgericht ist unangefochten und verbindlich festgestellt, dass die Wiederauffüllung der ausgehobenen Kiesgrube und die Renaturierung bzw. Rekultivierung der Abbauflächen eine Bedingung der erteilten Bewilligung zum Kiesabbau ist. […] Danach kann die Bewilligung jederzeit widerrufen werden, wenn die Bedingungen, Auflagen und Vorschriften nicht eingehalten werden. Zu diesen Bedingungen und Auflagen gehört, dass die Wiederinstandstellung und Begrünung der abgebauten Fläche schrittweise mit dem Abbau zu erfolgen hat […].
4.1.3 Es kann somit festgehalten werden, dass die Beschwerdegegnerin kraft öffentlichen Rechts verpflichtet ist, schrittweise mit dem Kiesabbau den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen und die abgebauten Flächen zu renaturieren bzw. zu rekultivieren.
Ferner ist entscheidend, dass die Beschwerdegegnerin ihre Verpflichtung zur Wiederherstellung des früheren Zustandes nur erfüllen kann, wenn sie berechtigt ist, zu diesem Zweck das Grundstück zu betreten und die erforderlichen Arbeiten auszuführen, was im Dienstbarkeitsvertrag festgehalten ist:
4.2.3 Die Vertragsabrede mit ihrer ausdrücklichen Bezugnahme auf “die Rekultivierung gemäss behördlicher Vorschrift” kann nur dahin gehend verstanden werden, dass der Grundeigentümer der Beschwerdegegnerin gestattet und damit das Recht eingeräumt hat, ihrer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung zur Wiederherstellung des früheren Zustandes nachzukommen, d.h. das belastete Grundstück auch zu diesem Zweck zu nutzen. Aus diesem Gesamtrechtsverhältnis von öffentlich-rechtlicher Kiesabbaubewilligung und damit verbundener privatrechtlicher Dienstbarkeit einen Teil — […] die Wiederherstellung des früheren Zustandes — herauszubrechen, wäre nicht sachgerecht, darf doch nicht leichthin angenommen werden, die Parteien hätten eine unangemessene vertragliche Lösung gewollt (vgl. BGE 122 III 420 E. 3a S. 424; 126 III 119 E. 2c S. 121).
Somit lautet das Fazit des Bundesgerichts:
4.3 […] Zur wirtschaftlichen Nutzung des Kiesvorkommens bzw. der Kiesabbaustätte auf dem belasteten Grundstück und damit zur Ausübung des im Grundbuch eingetragenen Kiesausbeutungsrechts gehören einerseits der Abbau von Sand, Kies und weiteren Materialien und andererseits die fortlaufende Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes verbunden mit der Renaturierung bzw. Rekultivierung. Die Beschwerdegegnerin ist aufgrund ihrer Dienstbarkeit deshalb insbesondere auch berechtigt, auf dem belasteten Grundstück Aushubmaterial zu deponieren und das belastete Grundstück mit Aushubmaterial zu befahren. Da die Dienstbarkeit der Beschwerdegegnerin zeitlich vor den allenfalls gleichgerichteten Dienstbarkeiten der Beschwerdeführerin im Grundbuch eingetragen wurde, gehen die Rechte der Beschwerdegegnerin nach dem Grundsatz der Alterspriorität den Rechten der Beschwerdeführerin vor (vgl. Art. 972 ZGB; BGE 57 II 258 E. 2 S. 262; 131 III 345 E. 2.3.1 S. 352).