Mit Entscheid vom 12. Dezember 2011 (6B_305/2011) hat das Bundesgericht die Verurteilung von zwei Angestellten des Sozialdepartements der Stadt Zürich wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320 Ziff. 1 Abs. 1 StGB) bestätigt. Die beiden Frauen hatten einem Journalisten der Weltwoche zahlreiche Unterlagen betreffend verschiedene Sozialhilfeempfänger übergeben, um über Missstände ihrer Amtsstelle zu informieren.
Ihre Beschwerde begründeten die Amtsträgerinnen damit, dass ihr Vorgehen durch den aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen gerechtfertigt und aus diesem Grunde nicht strafbar sei. Sie seien als sog. „Whistleblowerinnen“ anzusehen, und „Whistleblowing“ sei mittlerweile als zur Wahrung öffentlicher Interessen gesellschaftlich anerkannt. Das Bundesgericht folgt dieser Argumentation nicht und weist die Beschwerde ab.
Der aussergesetzliche Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass die Tat ein zur Erreichung des berechtigten Ziels notwendiges und angemessenes Mittel ist, sie insoweit den einzig möglichen Weg darstellt und offenkundig weniger schwer wiegt als die Interessen, welche der Täter zu wahren sucht (BGE 134 IV 216 E. 6.1).
Diese Voraussetzungen müssen auch erfüllt sein, wenn es dem Täter nicht um die Wahrung von eigenen privaten, sondern um die Wahrnehmung öffentlicher Interessen geht:
4.1 […] Ob die zu schützenden Interessen privater oder öffentlicher Art sind, betrifft die Abwägung respektive Gewichtung der auf dem Spiel stehenden Interessen. Dass ein Vorgehen der inkriminierten Art […] neuerdings als „Whistleblowing“” bezeichnet wird, ändert an ihrer strafrechtlichen Beurteilung unter dem Gesichtspunkt des aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrundes der Wahrung berechtigter Interessen nichts. Ob bei sog. opferlosen Straftaten und bei Delikten mit Doppeltäterschaftscharakter die Strafverfolgungsbehörden in besonderem Masse auf Informationen von „Whistleblowern“ angewiesen sind, kann hier dahingestellt bleiben, da die Beschwerdeführerinnen nicht Strafanzeige erstatteten, sondern einem Journalisten Dokumente zum Zwecke der publizistischen Verwertung übergaben.
Die inkriminierte Handlung war hier nicht der einzig mögliche Weg zur Erreichung des Ziels, den Kampf gegen den Sozialhilfemissbrauch zu intensivieren:
4.2 […] Die Beschwerdeführerinnen hätten sich an verschiedene Stellen ausserhalb der Hierarchie des Sozialdepartements, in dem sie tätig waren, wenden können, um über ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen in der Praxis zu berichten. […] Wohl konnte von den Beschwerdeführerinnen nicht erwartet werden, dass sie alle Ämter und Behörden kontaktierten, die als Ansprechpartner irgendwie in Betracht kommen könnten. Die Beschwerdeführerinnen sprachen indessen überhaupt keine departementsexterne Stelle an. Inwiefern eine Kontaktaufnahme mit einer solchen Stelle für ihre berufliche Zukunft riskanter gewesen wäre als die inkriminierte Übergabe von Dokumenten an einen Journalisten, ist nicht ersichtlich.
Vorliegend war zudem zu berücksichtigen, dass schon vor den inkriminierten Handlungen bestimmte Schritte zur Verbesserung der Bekämpfung des Sozialhilfemissbrauchs eingeleitet worden waren, was den Beschwerdeführerinnen bekannt war:
4.3 […] Die Beschwerdeführerinnen setzen sich mit diesen Tatsachen nicht auseinander und legen nicht dar, dass und inwiefern die Massnahmen objektiv oder zumindest aus ihrer subjektiven Sicht nicht zielführend sein konnten. In Anbetracht der Massnahmen war jedenfalls im Zeitpunkt der inkriminierten Handlungen der Schritt in die Öffentlichkeit durch Übergabe von Dokumenten an einen Journalisten objektiv weder notwendig noch angemessen.
Fazit: Der aussergesetzliche Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen ist nicht gegeben, weil die inkriminierten Handlungen zur Erreichung des angestrebten Ziels objektiv weder notwendig und angemessen noch der einzig mögliche Weg waren und weil die Beschwerdeführerinnen subjektiv mangels diesbezüglicher konkreter Anhaltspunkte nicht in guten Treuen annehmen konnten, dass das Ziel nur durch die inkriminierten Taten erreichbar sei.
Die nachträglich eingereichte Eingabe, welche auf ein aktuelles Urteil des EGMR verweist und eine Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit nach Art. 10 EMRK geltend macht, wurde erst nach Ablauf der Beschwerdefrist und somit verspätet eingereicht, weshalb darauf nicht einzutreten war. Allerdings hat eine der beiden Verurteilten bereits angekündigt, den Entscheid an den EGMR weiterzuziehen, wie die NZZ von heute berichtet. Sie rechne sich gute Chancen aus, da eine Frau in dem erwähnten Fall (Urteil vom 21. Juli 2011, Heinisch gegen Deutschland), der ähnlich gelagert sei, Recht bekommen habe.