In dem Urteil 1B_504/2011 vom 6. Dezember 2011 (amtl. Publ.) bestätigt das Bundesgericht seine Rechtsprechung, wonach auch jugendlichen Beschuldigten der grundrechtliche Anspruch auf Offizialverteidigung (Art. 29 Abs. 3 BV) zukommt.
In seiner Begründung verweist es auf die Erwägungen in einem früheren Leitentscheid (BGE 111 Ia 81 E. 3a S. 83 f. m.w.H.):
5.3 […] Eine auf dem Fürsorgegedanken beruhende Praxis dürfe jedoch dem Jugendlichen nicht den Rechtsschutz entziehen, der dem erwachsenen Beschuldigten zusteht, jedenfalls dann nicht, wenn er mit vergleichbaren Sanktionen strafrechtlicher Natur zu rechnen hat. Dass Jugendanwältinnen und Jugendanwälte die Offizialmaxime anzuwenden und primär die Entwicklung des fehlbaren Jugendlichen (und erst sekundär das Verhältnis der zu verhängenden Strafe oder Massnahme zur Tatschuld) zu berücksichtigen hätten, vermöge daran nichts zu ändern. Auch die fähigsten Jugendanwältinnen und ‑Anwälte könnten nicht gleichzeitig den staatlichen Strafanspruch verfechten und dasjenige Vorkehren, was im Regelfall Aufgabe des Verteidigers ist, nämlich im Rahmen der Rechtsordnung auf ein freisprechendes oder ein möglichst mildes Urteil hinzuwirken.
Ferner bezieht sich das Urteil auf die herrschende Lehre:
5.3 […] In der (damals) neueren Literatur sei denn auch einhellig die Auffassung vertreten worden, dem Jugendlichen müsse unter den gleichen Voraussetzungen wie dem erwachsenen Beschuldigten ein Anspruch auf den Beistand eines Verteidigers zugebilligt werden. Die Mehrzahl der Lehrmeinungen betone die besondere Schutzbedürftigkeit des Jugendlichen und erblicke darin ein zusätzliches Argument für die Notwendigkeit der Verteidigung bei schweren Fällen. In entsprechenden Konstellationen genüge es nicht, die Offizialverteidigung erst für die allfällige Verhandlung vor dem Jugendgericht zu gewährleisten. Es sei allgemein anerkannt, dass die Mitwirkung des Rechtsbeistandes schon während der Untersuchung von erheblicher Bedeutung sei. Dies müsse auch für die jugendstrafprozessuale Untersuchung gelten, wo regelmässig wesentliche verfahrensrechtliche Vorentscheidungen zu treffen seien, zu denen der Verteidiger Stellung zu nehmen habe.
Im vorliegenden Fall waren die Voraussetzungen der amtlichen und notwendigen Verteidigung (Art. 25 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 24 lit. b JStPO) zu prüfen:
6.1 […] Zwar sind die Kriterien von Art. 24 lit. a‑e JStPO (im Gegensatz zu Art. 25 Abs. 1 lit. a‑c JStPO) im Gesetzeswortlaut nicht ausdrücklich mit der Konjunktion “oder” verbunden. Aus dem Sinn und Zweck von Art. 24 JStPO ergibt sich jedoch eindeutig, dass es sich bei den literae a‑e um alternative Anspruchsvarianten (und nicht um kumulative Voraussetzungen) handeln muss.
6.3 Gestützt auf Art. 24 lit. b (i.V.m. Art. 25 Abs. 1) JStPO ist die Offizialverteidigung zu bewilligen, wenn der beschuldigte Jugendliche und seine gesetzliche Vertretung die eigenen Verfahrensinteressen nicht ausreichend wahren können. Dafür können persönliche Gründe sprechen (wie z.B. mangelnde Sprachkenntnisse, Interessenkonflikte oder eine spezifische Unterstützungsbedürftigkeit) oder auch fallbezogene sachliche Gründe wie eine besondere Schwierigkeit oder Komplexität des Verfahrens […]. In diesem Zusammenhang ist auch der Schwere des Tatvorwurfes angemessen Rechnung zu tragen […]. Im Jugendstrafprozess ist an die Gewährung der amtlichen Verteidigung grundsätzlich ein grosszügiger Massstab anzulegen […].
In casu geben das Alter des beschuldigten Jugendlichen, die Schwere der gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe, die prozessuale Konstellation des Falles sowie die Schulbildung und Sprachkenntnisse seiner gesetzlichen Vertreterin den Ausschlag für die sachliche Gebotenheit einer Offizialverteidigung. Das Bundesgericht kommt zu dem Schluss, dass es bundesrechtskonform war, dass die Vorinstanz die Jugendanwaltschaft angehalten hat, dem privaten Verfahrensbeteiligten eine amtliche Verteidigung zu gewähren, und weist die dagegen eingelegte Beschwerde der Jugendanwaltschaft ab.