Im Vorfeld der Abstimmung zur Anpassung des Mindestumwandlungssatzes hatte Presse TV am 7. Februar 2010 in der Sendung “Cash TV” ein rund vierminütiges Gespräch mit dem Geschäftsleiter von “Swisscanto Vorsorge” ausgestrahlt. Mehrere Personen hatten dagegen Beschwerde bei der UBI erhoben — erfolgreich; die UBI hiess die Beschwerde gut und stellte fest, der Beitrag habe das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt (RTVG 4 II).
Das BGer heisst die dagegen von Presse TV direkt beim BGer erhobene Beschwerde (RTVG 99) gut. Es fasst zunächst die Grundsätze der sachgerechten redaktionellen Berichterstattung (RTVG 4 II) und des Vielfaltsgebots (RTVG 4 IV) zusammen und hält sodann fest, dass bloss meldepflichtige Veranstalter (RTVG 3 lit. a) wie die Presse TV nur dem Sachgerechtigkeitsgebot unterstehen, aber nicht dem Vielfaltsgebot, wie aus RTVG 4 IV hervorgeht (nur konzessionierte Veranstalter unterliegen dieser Anforderung):
[…] bloss meldepflichtige Veranstalter wie die Beschwerdeführerin […] sind von Gesetzes wegen ausdrücklich bloss an das Sachgerechtigkeitsgebot (Art. 4 Abs. 2 RTVG) und nicht (auch) an das Vielfaltsgebot und an die in der Rechtsprechung daraus abgeleiteten Grundsätze gebunden (Art. 4 Abs. 4 RTVG). Die Ausgewogenheit einzelner Wahl- und Abstimmungssendungen oder entsprechender Beiträge ist bei ihnen ausschliesslich auf der Basis des Sachgerechtigkeitsgebots und der dazu entwickelten Kriterien zu beurteilen. […] Meldepflichtige Veranstalter sind in ihrer Programmgestaltung unter diesem Gesichtswinkel freier als konzessionierte; sie dürfen auch einseitig Stellung nehmen, jedoch nicht manipulativ berichten oder politische Propaganda betreiben […]. Ihre Beiträge müssen sachgerecht bleiben und die Meinungsbildung des Publikums ermöglichen, wobei die Beurteilungskriterien weniger streng sind als die in diesem Zusammenhang aus dem Vielfaltsgebot abgeleiteten Anforderungen für die Veranstalter von Service-public-Programmen. Im Rahmen der Anwendung des Sachgerechtigkeitsgebots ist zwar auch der Empfehlung Nr. R (99) 15 vom 9. September 1999 des Ministerkomitees des Europarats über die Massnahmen betreffend die Berichterstattung der Medien über Wahlkampagnen Rechnung zu tragen, wonach die Mitgliedstaaten Vorkehren treffen, “in Anwendung derer die öffentlichen und privaten Rundfunkveranstalter während der Wahlperioden in ihren Informations- und Aktualitätsprogrammen, einschliesslich der Diskussionssendungen wie Interviews oder Debatten, besonders fair, ausgewogen und unparteiisch” vorzugehen haben. Doch muss umgekehrt auch berücksichtigt werden, dass nach Art. 10 EMRK besonders strenge Anforderungen an eine allfällige Beschränkung der Programmfreiheit der privaten Veranstalter im Bereich des politischen Diskurses und bei Fragen von allgemeinem Interesse gelten […]. Das Bedürfnis, die Medienfreiheit zu beschränken, muss hier jeweils in besonders begründeter Weise ausgewiesen erscheinen […].
Vor diesem Hintergrund erachtet das BGer die Beurteilung der UBI hier als zu streng. Der Beitrag sei “vertretbar” ausgestaltet gewesen, sei relativ früh vor dem Abstimmungstermin ausgestrahlt worden und habe sich an ein avisiertes Publikum gerichtet. Er habe deshalb das Sachgerechtigkeitsgebot nicht verletzt.