2C_880/2010: Cash TV: bloss meldepflichtige Veranstalter dürfen einseitig berichtigen, aber nicht manipulativ (amtl. Publ.)

Im Vor­feld der Abstim­mung zur Anpas­sung des Min­des­tumwand­lungssatzes hat­te Presse TV am 7. Feb­ru­ar 2010 in der Sendung “Cash TV” ein rund vier­minütiges Gespräch mit dem  Geschäft­sleit­er von “Swiss­canto Vor­sorge” aus­ges­trahlt. Mehrere Per­so­n­en hat­ten dage­gen Beschw­erde bei der UBI erhoben  — erfol­gre­ich; die UBI hiess die Beschw­erde gut und stellte fest, der Beitrag habe das Sachgerechtigkeits­ge­bot ver­let­zt (RTVG 4 II).

Das BGer heisst die dage­gen von Presse TV direkt beim BGer erhobene Beschw­erde (RTVG 99) gut. Es fasst zunächst die Grund­sätze der sachgerecht­en redak­tionellen Berichter­stat­tung (RTVG 4 II) und des  Vielfalts­ge­bots (RTVG 4 IV) zusam­men und hält sodann fest, dass bloss meldepflichtige Ver­anstal­ter (RTVG 3 lit. a) wie die Presse TV nur dem Sachgerechtigkeits­ge­bot unter­ste­hen, aber nicht dem Vielfalts­ge­bot, wie aus RTVG 4 IV her­vorge­ht (nur konzes­sion­ierte Ver­anstal­ter unter­liegen dieser Anforderung):

[…] bloss meldepflichtige Ver­anstal­ter wie die Beschw­erde­führerin […] sind von Geset­zes wegen aus­drück­lich bloss an das Sachgerechtigkeits­ge­bot (Art. 4 Abs. 2 RTVG) und nicht (auch) an das Vielfalts­ge­bot und an die in der Recht­sprechung daraus abgeleit­eten Grund­sätze gebun­den (Art. 4 Abs. 4 RTVG). Die Aus­ge­wogen­heit einzel­ner Wahl- und Abstim­mungssendun­gen oder entsprechen­der Beiträge ist bei ihnen auss­chliesslich auf der Basis des Sachgerechtigkeits­ge­bots und der dazu entwick­el­ten Kri­te­rien zu beurteilen. […] Meldepflichtige Ver­anstal­ter sind in ihrer Pro­gram­mgestal­tung unter diesem Gesichtswinkel freier als konzes­sion­ierte; sie dür­fen auch ein­seit­ig Stel­lung nehmen, jedoch nicht manip­u­la­tiv bericht­en oder poli­tis­che Pro­pa­gan­da betreiben […]. Ihre Beiträge müssen sachgerecht bleiben und die Mei­n­ungs­bil­dung des Pub­likums ermöglichen, wobei die Beurteilungskri­te­rien weniger streng sind als die in diesem Zusam­men­hang aus dem Vielfalts­ge­bot abgeleit­eten Anforderun­gen für die Ver­anstal­ter von Ser­vice-pub­lic-Pro­gram­men. Im Rah­men der Anwen­dung des Sachgerechtigkeits­ge­bots ist zwar auch der Empfehlung Nr. R (99) 15 vom 9. Sep­tem­ber 1999 des Min­is­terkomi­tees des Europarats über die Mass­nah­men betr­e­f­fend die Berichter­stat­tung der Medi­en über Wahlkam­pag­nen Rech­nung zu tra­gen, wonach die Mit­glied­staat­en Vorkehren tre­f­fen, “in Anwen­dung der­er die öffentlichen und pri­vat­en Rund­funkver­anstal­ter während der Wahlpe­ri­o­den in ihren Infor­ma­tions- und Aktu­al­ität­spro­gram­men, ein­schliesslich der Diskus­sion­ssendun­gen wie Inter­views oder Debat­ten, beson­ders fair, aus­ge­wogen und unpartei­isch” vorzuge­hen haben. Doch muss umgekehrt auch berück­sichtigt wer­den, dass nach Art. 10 EMRK beson­ders strenge Anforderun­gen an eine allfäl­lige Beschränkung der Pro­gramm­frei­heit der pri­vat­en Ver­anstal­ter im Bere­ich des poli­tis­chen Diskurs­es und bei Fra­gen von all­ge­meinem Inter­esse gel­ten […]. Das Bedürf­nis, die Medi­en­frei­heit zu beschränken, muss hier jew­eils in beson­ders begrün­de­ter Weise aus­gewiesen erscheinen […].

Vor diesem Hin­ter­grund erachtet das BGer die Beurteilung der UBI hier als zu streng. Der Beitrag sei “vertret­bar” aus­gestal­tet gewe­sen, sei  rel­a­tiv früh vor dem Abstim­mung­ster­min aus­ges­trahlt wor­den und habe sich an ein avisiertes Pub­likum gerichtet. Er habe deshalb das Sachgerechtigkeits­ge­bot nicht verletzt.